Project Gutenberg's Ueber das Aussterben der Naturvoelker, by Georg Gerland

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Title: Ueber das Aussterben der Naturvoelker

Author: Georg Gerland

Release Date: November 12, 2004 [EBook #14028]

Language: German

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UeBER DAS AUSSTERBEN DER NATURVOeLKER

VON

DR. GEORG GERLAND,

LEHRER AM KLOSTER U. L. FR. ZU MAGDEBURG.


LEIPZIG,

VERLAG VON FRIEDRICH FLEISCHER.

1868.

SEINER EXCELLENZ

DEM HERRN GEHEIMEN RATH

H.C. VON DER GABELENTZ.




Vorwort.


Die Frage nach dem Aussterben der Naturvoelker ist bis jetzt nur
gelegentlich und nicht mit der Ausfuehrlichkeit behandelt, welche die
Wichtigkeit der Sache wohl verlangen kann. Am genauesten ist Waitz auf
sie eingegangen in seiner Anthropologie der Naturvoelker Bd. 1, 158-186;
aber da auch er sie nur anhangsweise bespricht und in dem Zusammenhang
seines Werkes nicht mehr als nur die Hauptgesichtspunkte angeben konnte
und wollte; da er ferner manches nur andeutet oder ganz uebergeht, was
von grosser Wichtigkeit ist, so erscheint es durchaus nicht ueberfluessig,
die Gruende fuer dies "raethselhafte" Hinschwinden selbstaendig und
moeglichst genau von neuem zu eroertern. Namentlich die psychologische
Seite des Gegenstandes hat man bisher ueber die Gebuehr vernachlaessigt;
sie wird deshalb in den folgenden Blaettern besonders betont werden
muessen.

Das Material zur Beantwortung der Frage, die uns beschaeftigen soll,
findet sich zerstreut in einer grossen Menge von Reisebeschreibungen,
ethnographischen und anthropologischen Werken. Da es mir aber darauf
ankam, einmal--denn nur strengste Empirie kann uns bei unserer Frage
foerdern--meine Saetze durch getreue Quellenangabe zu stuetzen, und
andererseits, dass die angefuehrten Citate nicht allzuschwer zugaenglich
seien, um nachgeschlagen werden zu koennen, so habe ich mich, wo es
moeglich war, auf Werke gestuetzt, die weiter verbreitet sind, und den
Quellennachweis nur da weggelassen, wo das Gesagte in allen Reisewerken
sich gleichmaessig findet. Dass ich das schon erwaehnte ausgezeichnete
Werk meines nur allzufrueh verstorbenen Lehrers Waitz, die Anthropologie
der Naturvoelker, sehr reichlich benutzt habe, wird man nicht tadeln; man
findet dort die oft sehr schwer zugaenglichen Quellen in kritischer
Auswahl beisammen--und wozu werden solche grundlegenden Werke
geschrieben, wenn man nicht auf ihnen weiterbaut?

Ich stelle hier der Uebersicht und des bequemeren Citirens wegen die
Werke zusammen, welche ich als Belege benutzt habe, ohne die mit
anzufuehren, welche nicht oefters citirt sind. Einige, welche ich gern
gehabt haette, sind mir unzugaenglich geblieben.


Angas, Savage life in Australia and N. Zealand. London 1847.

Australia felix. Berlin 1849.

Azara, Reise nach Suedamerika in den Jahren 1781-1801 (Magazin der merkw.
neuen Reisen. Bd. 31. Berlin 1810).

Bartram, Reisen durch Karolina, Georgien und Florida 1773. (eb. 10.
Band). Berlin 1793.

Beechey, Narrative of a voyage to the Pacific (1825-28). London 1831.

Behm, Geographisches Jahrbuch. 1. Theil 1866. Gotha 1866.

Bennett, Narr. of a whaling round the globe 1833-36. London 1840.

v. Bibra, Schilderung der Insel Vandiemensland bearbeitet v. Roeding.
Hamburg 1823.

Bougainville, Reise um die Welt 1766-69. Leipzig 1772.

Bratring, Die Reisen der Spanier nach der Suedsee. Berlin 1842.

Breton Excursions in N.S. Wales, W. Australia and V. Diemensland. London
1833.

Browne, N. Zealand and its aborigines. London 1845.

Carus, Ueber ungleiche Befaehigung der verschiedenen Menschheits-Staemme.
Leipzig 1849.

v. Chamisso, Bemerkungen und Ansichten auf einer Entdeckungsreise
(1815-18). Weimar 1821.

Cheyne, a description of islands in the Western Pacif. Ocean etc. London
1852.

Cook, 3te Entdeckungsreise in die Suedsee und nach dem Nordpol. 2. Bd.
Berl. 1789.--id. b, 1ste Entdeckungsreise bei Schiller.

Darwin, Naturwissenschaftliche Reise, uebersetzt von Dieffenbach,
Braunschw. 1844.

Dieffenbach, Travels in N. Zealand. London 1843.

Dillon, Narrative of a voyage in the South Sea. London 1839.

Dumont d'Urville, a, Voyage de l'Astrolabe. Paris 1830. id. b, Voy. au
Pole Sud. Paris 1841.

Ellis, Polynesian Researches. London 1831.

Erskine, Journal of a cruise among the Islands of the Western Pacific.
London 1853.

Finsch, N. Guinea und seine Bewohner. Bremen 1865.

Freycinet, Voyage autour du monde (1817-20). Paris 1827.

P. Mathias G***, Lettres sur les iles Marquises. Pasis 1843.

Gill, Gems from the Coral Islands. London 1855.

le Gobien, Histoire des Isles Marianes. Paris 1701.

Grey, Journals of two expedit. in NW and W. Australia (1837-39). London
1841.

Gulick, Micronesia, Nautical Magazin 1862.

Hale, Ethnographie and Philol. (Unit. States exploring expedition).
Philadelphia 1846.

Hearne, Reise von der Hudsonsbay bis zum Eismeere (1769-1772). Magaz. v.
Reisebeschreibungen. 14. Bd. Berlin 1797.

v. Hochstetter, Neuseeland. Stuttgart 1863.

Howitt, Impressions of Australia felix. London 1845. id. a, Abenteuer in
Australien. Berlin 1856.

A. v. Humboldt, a) Versuch ueber den politischen Zustand des Koenigreichs
                   Neuspanien. Tuebingen 1809.

                b) Reise in die Aequinoktialgegenden des neuen Continentes,
                   deutsch v. Hauff. Stuttgart 1861.

                c) Ansichten der Natur. 3. Aufl. Stuttgart u. Augsburg 1859.

Jarves, History of the Haw. or Sandw. Islands. London 1843.

v. Kittlitz, Denkwuerdigkeiten auf einer Reise nach d. russ. Amerika,
Mikronesien u. Kamtschatka (1826 etc.). Gotha 1858.

v. Kotzebue, Entdeckungsreise in die Suedsee und nach der Behringsstrasse
(1815-18). Weimar 1821.

Krusenstern, Reise um die Welt (1803-6). Berlin 1811.

v. Langsdorff, Bemerkungen auf seiner Reise um die Welt (1803-7).
Frankfurt 1812.

La Perouse, Entdeckungsreise 1785. Magazin von Reisebeschr. Band 16. 17.
Berlin 1799 f.

v. Lessep, Reise durch Kamtschatka und Sibirien, Magaz. v. Reisebeschr.
4. Berlin 1791.

Lichtenstein, Reise in Suedafrika (1803-6). Berlin 1812.

Lutteroth, Geschichte der Insel Tahiti, deutsch v. Bruns. Berlin 1843,

Mariner, Tonga Islands. London 1818.

Meinicke, a) Das Festland v. Australien. Prenzlau 1837.

          b) Die Suedseevoelker u. das Christenthum. Prenzlau 1844.

          c) Australien in Wappaeus Handbuch der Geographie und
             Statistik. 7. Aufl. 2. Bd. 2. Nachtr. Leipzig 1866.

Melville, Vier Monate auf den Marquesas-Inseln. Leipzig 1847. Id. b,
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Moerenhont, Voyage aux iles du grand Ocean. Paris 1837.

Nieuw Guinea, ethnogr. en natuurk. onderzocht in 1858 door een Nederl.
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Novara, Reise der oesterr. Fregatte (1857-59). Wien 1861.

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Schomburgk, Reisen in Britisch-Guiana 1840-44. Leipzig 1848.

Sparmann, Reise nach d. Vorgebirge der guten Hoffn. 1772-76. Berlin
1784.

Stewart, Journal of a residence in the Sandwich isl. (1823-25). London
1828.

Taylor, The Ika a Maui or N. Zealand and its inhabitants. London 1855.

Thomson, The story of N. Zealand. London 1859.

Thunberg, Reisen in Afrika und Asien 1772-79 im Mag. d. Reis. 7. Bd.
Berlin 1792.

v. Tschudi, Reisen durch Suedamerika. Leipzig 1866.

Turnbull, Reise um die Welt 1800-1804, Magaz. v. Reisebeschr. Bd. 27.
Berlin 1806.

Turner, Nineteen years in Polynesia. London 1861.

Tyermann and Bennet, Journal of voy. in the S. Sea islands. London 1831.

Vankouver, Reisen nach d. noerdl. Theile der Suedsee (1790-95). Magaz. v.
Reisebeschr. Bd. 18. 19. Berlin 1799 f.

Virgin, Erdumsegelung der Fregatte Eugenie (1831-33), uebers. v. Etzel.
Berlin 1856.

Waitz, Anthropologie der Naturvoelker. Leipzig 1859 f. id. b, Die
Indianer Nordamerikas. Leipzig 1865.

Williams, a Narrat. of Missionary enterprises in the South Sea Islands.
London 1837.

Williams and Calvert, Fiji and the Fijians ed. by Rowe. Lond. 1858.

Wilson, Missionsreise ins suedl. stille Meer 1796-98, Magaz. von
Reisebeschr. Bd. 21. Berlin 1800.

Zeitschrift fuer allgemeine Erdkunde, neue Folge.




Inhalt.


      Vorwort. Quellen
Sec.  1. Einleitung. Umfang des Aussterbens
Sec.  2. Empfaenglichkeit der Naturvoelker fuer Miasmen. Krankheiten, welche
      spontan bei der Zusammenkunft der Natur- und Kulturvoelker entstehen
Sec.  3. Direkt eingeschleppte Krankheiten
Sec.  4. Behandlung der Kranken bei den Naturvoelkern
Sec.  5. Geringe Sorgfalt der Naturvoelker fuer ihr leibliches Wohl
Sec.  6. Charakter der Naturvoelker
Sec.  7. Ausschweifungen der Naturvoelker
Sec.  8. Unfruchtbarkeit. Kuenstlicher Abortus. Kindermord
Sec.  9. Krieg und Kannibalismus
Sec. 10. Menschenopfer
Sec. 11. Verfassung und Recht
Sec. 12. Natureinfluesse
Sec. 13. Aeussere Einfluesse der hoeheren Kultur auf die Naturvoelker
Sec. 14. Psychische Einwirkungen der Kultur
Sec. 15. Schwierigkeit fuer die Naturvoelker, die moderne Kultur sich
      anzueignen
Sec. 16. Behandlung der Naturvoelker durch die Weissen. Afrika. Amerika
Sec. 17. Fortsetzung. Der stille Ozean
Sec. 18. Geographische Vertheilung der einzelnen Gruende fuer das Aussterben
      der Naturvoelker. Vergleichung dieser Gruende in Bezug auf ihr Gewicht
Sec. 19. Vergleichung der Natur- und Kulturvoelker in Bezug auf ihre
      Lebenskraft
Sec. 20. Aussterbende und ausdauernde Naturvoelker
Sec. 21. Die afrikanischen Neger
Sec. 22. Folgerungen aus der Art, wie die Naturvoelker von den Kultur
      behandelt sind
Sec. 23. Zukunft der Naturvoelker; Mittel sie zu heben
Sec. 24. Werth der Naturvoelker fuer die Menschheit und ihre Entwickelung.
      Schluss




Sec.1. Einleitung. Umfang des Aussterbens.


Die Erscheinung, dass eine Reihe von Voelkern vor unseren Augen durch
langsameres oder rascheres Hinschwinden ihrem Untergang entgegengeht,
ist eine ueberaus wichtige. Dass sie fuer die Geschichtsforschung grosse
Bedeutung hat, leuchtet ohne weiteres ein; dass sie fuer die
Naturgeschichte des Menschen, die Anthropologie entscheidend ist,
ebenfalls. Und wenn es sich als wahr bestaetigt, dass, wie man behauptet
hat, diese Voelker aus einer Lebensunfaehigkeit, welche ihrer Natur
anhaftet, dem Aufhoeren entgegengehen; so ist, da die nothwendige
Folgerung jener Behauptung dahin fuehrt, dass man verschiedene Arten,
hoehere und niedere im Geschlecht Mensch annimmt, die Beantwortung dieser
Frage auch fuer die Philosophie massgebend. Praktisch hat man sie von
jeher in den Staaten betont, wo Weisse mit Farbigen zusammenleben; wie
man eben die Theorie der geringeren Lebensfaehigkeit nicht weisser Racen
zuerst in diesen Staaten aufgestellt hat.

Und allerdings ist es auffallend, dass nur farbige Racen dies
Hinschwinden zeigen und am meisten es da zeigen, wo sie mit der weissen
in Beruehrung gekommen sind; dass die Weissen, obwohl sie doch ihre
Heimat, das gewohnte Klima u.s.w. aufgegeben haben und in unmittelbarer
Beruehrung mit denen leben, welche in ihrem Vaterlande, scheinbar unter
den alten Lebensbedingungen, verkommen, gaenzlich davon verschont zu sein
scheinen.

Waehrend wir nun dies Hinschwinden hauptsaechlich bei den kulturlosen
Racen, bei den Naturvoelkern, d.h. bei den Voelkern finden, welche dem
Naturzustande des Menschengeschlechtes noch verhaeltnissmaessig nahe
stehen (Waitz 1, 346), oder bei welchen, um mit Steinthal zu reden, noch
keine bedeutende Entwickelung der logischen Faehigkeiten stattgefunden
hat: so sehen wir es doch ebenfalls auch da, wo farbige Racen sich zur
Kultur und sogar zu einer gewissen Hoehe der Kultur emporgeschwungen
haben, in Polynesien, in Mexiko, in Peru, und man hat daher geschlossen,
einmal dass diese Kultur doch nur Halbkultur und wenig bedeutend gewesen
sei, denn waere sie wahr und ganz gewesen, so wuerde sie groessere Kraft
verliehen haben: oder aber, dass bestimmte Racen, auch wenn sie sich
wirklich ueber das Niveau der gewoehnlichen "Wilden" erhoben haetten,
dennoch einem fruehen Tode entgegengingen, weil sie nun eben von der
Natur zum Aussterben bestimmt seien, weil es ihnen eben, in Folge ihrer
Raceneigenthuemlichkeit, an Lebensfaehigkeit fehle, welche keine Kultur
ersetzen koenne: vielmehr decke jede Art von Kultur diesen Mangel nur um
so mitleidsloser auf. Allerdings gibt es auch farbige Racen und
Naturvoelker, bei welchen an ein Aussterben nicht zu denken ist; und
andererseits sind auch Theile von Kulturvoelkern, indogermanische,
semitische Staemme verschwunden und ausgestorben. Allein bei letzteren
redet man nicht von einer geringeren Lebensfaehigkeit, einmal wegen der
Verwandtschaft dieser Staemme mit den anerkannt lebensfaehigsten Voelkern
der Welt; andererseits auch wegen der Art ihres Verschwindens. Denn der
Grund, warum sie aufgehoert haben zu existiren, liegt klar auf der Hand;
theils sind sie durch Krieg vernichtet, wie so viele Voelker, welche mit
dem alten Rom kaempften, theils sind sie mit anderen Kulturvoelkern, die
sie rings umgaben, verschmolzen, wie die Gothen, die Vandalen, theils
trat beides zugleich ein: die hoehere Kulturstufe, welche sie besiegte,
nahm die besiegten Reste in sich auf, wie die alten Preussen, die Wenden
und so viele slavische Voelkerschaften durch und in Deutschland, die
Iberer, die Kelten durch und in das roemische Wesen verschwanden. So war
auch zweifelsohne das Loos der Voelker, welche vor der Einwanderung der
Indogermanen Europa inne hatten. Anders aber ist das Hinschwinden der
Naturvoelker: wo sie mit hoeherer Kultur zusammenkommen, auch da, wo diese
letztere sich friedlich gegen sie verhaelt, sehen wir sie von Krankheiten
ergriffen werden, ihr physisches und psychisches Vermoegen versiechen,
und ihre Zahl, oft ausserordentlich rasch, sich vermindern. Allerdings
sind auch einzelne Naturvoelker aufgerieben oder doch stark vermindert
durch ganz aeusserliche und leicht begreifliche Gruende: so namentlich
viele malaiische Staemme, welche durch nachrueckende verwandte Voelker ins
Gebirge zurueckgedraengt und dabei gewiss ebenso so stark vermindert
worden sind, als durch ihr gleiches Schicksal die Basken in Europa,
waehrend sie in ihren Bergen sich in ziemlich gleichbleibender Anzahl
halten; so die Bewohner der Warekauri-(Chatam-) Inseln bei Neu-Seeland,
die Moreore. welche 1832-35 noch 1500 etwa betrugen, durch die
Neu-Seelaender aber, die in jenen Jahren einen Zug nach den
Warekauriinseln unternahmen, fast ganz ausgerottet sind, so dass ihre
Zahl jetzt nur noch 200 betraegt: und auch diese nehmen, durch
Assimilation an die eingewanderten Maoris rasch ab (Travers bei Peterm.
1866, 62). Auch muessen wir hier die schwarze Urbevoelkerung
Vorderindiens, die dekhanischen und Vindhyavoelker erwaehnen, weil auch
sie nach Lassen (ind. Alterthumskunde 1, 390) allmaehlich abnehmen.
Frueher waren sie weiter ausgebreitet und einzelne Reste von ihnen
scheinen sich (Lassen a.a.O. 387 ff.) in Himalaya, in Belutschistan,
Tuebet und sonst erhalten zu haben. Sie wurden durch die nachrueckenden
arischen Inder und gewiss nicht friedlich in die Gebirge zurueckgedraengt
(Lassen 366), wo sie nun theils im barbarischen Zustande weiter lebten,
theils aber, und so namentlich die suedlicheren Dekhanvoelker, in die
indische Kultur uebergingen (Lassen 364. 371). Ein aehnliches Schicksal
hatten verschiedene amerikanische Staemme, die von anderen maechtigeren
Indianervoelkern theils aufgerieben, theils sich einverleibt wurden; auch
wird von einzelnen Hottentottenvoelkern eine aehnliche Vermischung mit
Kafferstaemmen erwaehnt (Waitz 2, 318).

Doch scheinen auch manche Voelker vermindert oder gar verschwunden, ohne
es in Wirklichkeit zu sein. Ein solcher Schein ist hervorgerufen, wie
Waitz 1, 159-160 zeigt, theils durch Umaenderung von Namen, wo man nun
faelschlich annahm, weil der Name nicht mehr existire, so sei auch das
Volk erloschen, oder durch Irrthuemer der Reisenden, indem sie manche
Namen zu weit ausdehnen, andere aber auf voelligem Missverstaendniss
beruhen, oder durch falsche Schaetzung der Volkszahl, wie man sie oft
sehr uebertrieben, namentlich bei aelteren Reisenden, z.B. fuer Polynesien
bei Cook, findet u. dergl.

Ehe wir nun aber die Gruende fuer jenes weniger leicht zu erklaerende
Hinschwinden der Naturvoelker aufsuchen, muessen wir den Umfang desselben
betrachten, wobei wir ausser Europa alle Welttheile zu beruecksichtigen
haben.

In Asien sterben aus oder sind schon ausgestorben die Kamtschadalen und
so rasch ging ihre Verminderung vor sich, das Langsdorff (1803-4,
Krusensterns Begleiter) Ortschaften, welche die Cooksche Expedition und
La Perouse noch wohl bevoelkert sahen, voellig menschenleer fand. Wenn La
Perouse 1787 auf der Halbinsel im ganzen noch 4000 Bewohner fand
(2,166), so sind die russischen Einwanderer in dieser Zahl, bei der
trotzdem auf mehrere Quadratmeilen kaum ein Mensch kommt, schon
einbegriffen. Denn Cooks Reisebegleiter (1780) fanden, nach den
Mittheilungen eines dort ansaessigen Offiziers in Kamtschatka nur noch
3000 Einwohner, wobei die Kurilen schon mitgerechnet sind; sie erzaehlen
selbst, wie sich die Eingeborenen immer mehr mit den einwandernden
Russen verbinden und ihre Zahl dadurch immer mehr abnimmt (Cook 3. R. 4,
175). La Perouses Reisegefaehrte Lessep (41) behauptet, dass nur noch ein
Viertel der eigentlichen Kamtschadalen uebrig sei; und er war noch nicht
ein volles Jahrhundert nach der ersten Unternehmung der Russen (1696)
gegen Kamtschatka dort. Dasselbe Schicksal haben ausser den Jakuten und
Jukagiren in Sibirien Waitz, (1, 164) auch die Aleuten auf den
Fuchsinseln und die ihnen verwandten Staemme auf den naechsten Kuesten von
Amerika, die wir hier gleich erwaehnen, weil auch sie wie die
Kamtschadalen unter demselben Drucke Russlands stehen. Langsdorff fand
auf den Fuchsinseln nur gegen 300 Maenner, waehrend er fuer 1796 1300 und
fuer 1783-87 gar 3000 und mehr angibt. Das Steigen der Zahlen, welches
wir im Anfang dieses Jahrhunderts finden, ist keineswegs troestlich. Denn
wenn Chamisso (177, zweite Note) nach aktenmaessigen Mittheilungen fuer
1806 die Aleuten der Fuchsinseln auf 1334 Maenner und 570 Frauen, 1817
dagegen auf 462 Maenner und 584 Frauen angibt, so versieht er erstlich
diese allerdings auffallenden Zahlen selbst mit einem Fragezeichen; und
zweitens, wenn sie auch richtig sind, Langsdorff sich geirrt und die
Volkszahl sich nicht durch russische Einwanderer vermehrt hat: das
Sinken der Bevoelkerung von 1806-1817 ist gewiss eben so arg als wie wir
es bei Langsdorff geschildert finden. Der offizielle Bericht von 1860
bei Peterm. 1863, 70 gibt 4645 Bewohner der Fuchsinseln an: allein hier
sind jedenfalls die Russen, welche jetzt auf den Inseln ansaessig sind,
mitgezaehlt, obwohl die Mischlinge, 1896 Seelen, noch besonders angegeben
werden und diese Vermehrung, welche sich auf Kamtschatka gleichmaessig
findet, ist nur eine scheinbare.

Bekannt ist das Aussterben der Ureinwohner Amerikas, deren Zahl man in
Nordamerika fuer die Zeit der Entdeckung etwa auf 16 Millionen, jetzt
kaum noch 2 Millionen schaetzt (Waitz b, 16). 1864 betrug die Zahl der
Indianer in den Vereinigten Staaten etwa 275,000; 1860 zaehlte man noch
294,431; 1841 aber, auf kleinerem Gebiete 342,058 Seelen, so dass sich
also hier in 23 Jahren ein Verlust von nahezu 70,000 Menschen
herausstellt (eb. 18). Noch geringere Zahlen gibt Behm (105 ff.) an,
naemlich 268,000 unabhaengige Indianer fuer die Vereinigten Staaten,
155,000 fuer britisch Nordamerika. Und waehrend d'Orbigny (1838) fuer den
von ihm bereisten groesseren Theil von Suedamerika 1,685,127 Indianer
zaehlte (Waitz b, 16). so stellt Behm auch hier geringere Zahlen auf:
Brasilien hat nach ihm (a.a.O.) 500,000 unabhaengige Indianer, die drei
Guyanas 9770, Venezuela 52,400, Neu-Granada 126,000, Ekuador 200,000,
Peru 400,000, Bolivia 245,000, Chile 10,000, die Staaten der
argentinischen Republik 40,000, Patagonien und Feuerland 30,000, also
zusammen 1,613,170 und zwar fuer ganz Suedamerika. So viel aber betrug
allein die Bevoelkerung von Chile zur Zeit der Entdeckung (Poeppig 385
Anmerkung) nach einer der kleinsten Annahmen. Mittelamerika hatte um
1800 zwei und eine halbe Million unvermischter Ureinwohner und diese
Zahl war im Wachsen (Humboldt a 1, 107); aber zur Zeit der Entdeckung
betrug die Volkszahl in Tenuchtitlan, der alten Hauptstadt von Mexiko
und dem ihm nahe gelegenen Tezkuko allein nach mittleren Angaben fast
eine Million und das Land war dicht bedeckt mit grossen und volkreichen
Staedten. Behm nimmt als jetzige unabhaengige Urbevoelkerung nur 6000 an
(a.a.O.), eine Zahl, welche gegen Humboldts Angaben ausserordentlich
gering ist: allein Behm schaetzt hier nur die Indianer ab, "welche sich
den Behoerden vollstaendig entziehen", waehrend Humboldt auch die
Eingeborenen mitbegreift, welche sich am europaeischen Leben so gut wie
die spanischen Mexikaner betheiligen. Behm (114) schaetzt diese auf
4,800,000. Natuerlich geht dies Aussterben auch jetzt noch weiter, wofuer
v. Tschudi 2, 216 ein Beispiel gibt: die Malalies, ein araukanischer
Stamm, 1787 noch ueber 500 Individuen stark, schmolzen in jener Zeit
durch Kriege auf 26 Seelen zusammen. Obwohl sie nun 70 Jahre lang
ansaessig sind und ungefaehrdet gelebt haben, ist ihre Zahl doch nicht
hoeher als auf einige ueber dreissig gestiegen.

In Afrika sind es die Hottentotten zunaechst, welche in den Kreis unserer
Betrachtung hineingehoeren. Waehrend sie frueher sich weit hin in das
Innere von Suedafrika ausdehnten und in eine zahlreiche Menge von
einzelnen Staemmen zerfielen, finden wir sie jetzt auf sehr viel
kleinerem Gebiete und aufgerieben bis auf 3 Staemme, die Korana, Namaqua
und Griqua (Waitz 2, 317 ff.), deren Zahl fortwaehrend im Fallen ist.
Auch die Kaffern muessen hier erwaehnt werden, denn im brittisch Kafraria
hat sich 1857 die Bevoelkerung um mehr als die Haelfte vermindert: sie
betrug am Anfang des Jahres 104,721 Seelen und am Ende desselben nur
noch 52,186 (Peterm. 1859 S. 79 nach dem Population Return v. John
Maclean Chief Commissioner): nach Behm jedoch (100) 1861 74,648
Eingeborene.

Es bleibt uns nun noch Australien und Ozeanien zu betrachten uebrig, wo
an vielen Orten die Bevoelkerung rasch hinschwindet, so namentlich in
Neuholland. Doch ist es gerade fuer dies Land schwer, ja ganz unmoeglich,
Zahlen aufzustellen, weil die Staemme fortwaehrend hin- und herziehen und
daher alle Zahlangaben sehr wenig zuverlaessig sind (Grey 2, 246). Die,
welche Meinicke a 177 aufstellt, beweisen dies zur Genuege, und selbst
die bei Behm (72) sind nicht sicherer. Nur von Suedaustralien, Queensland
und Viktoria hat er bestimmte Zaehlungsergebnisse und so ist seine
Gesammtziffer 55.000 nur eine sehr ungefaehre. Alle Quellen aber
berichten einstimmig, dass die Bevoelkerung wenigstens der Kuesten
reissend abnimmt; dass Staemme, welche frueher nach Hunderten zaehlten,
jetzt vielfach bis auf ebenso viel Zehner zusammengeschmolzen sind. Die
Bevoelkerung Tasmaniens betrug 1843 noch 54 Individuen, 1854 noch 16
(Nixon 18) und ist jetzt wohl ganz ausgestorben.

Wenn auch nicht so reissend, so vermindern sich doch auch die Melanesier
an verschiedenen Gegenden ihres Gebietes: so nach Reina (Zeitschr. 4.,
360), die Voelker der kleinen Inseln in der Naehe von Neuguinea: so nach
D'Urville 5, 213 die Bewohner von Vanikoro, nach Turner 494 die
Eingeborenen der neuen Hebriden, wie z.B. die Bevoelkerung von Anneitum
1860, welche Turner auf 3513 Seelen schaetzt, 1100 Menschen durch eine
Masernepidemie verlor (Muray bei Behm 77) und die von Erromango 1842
durch eine gefaehrliche Dysenterie um ein Drittel vermindert wurde
(Turner a.a.O.); und so finden sich noch verschiedene Angaben zerstreut.

In Mikronesien ist die Bevoelkerung der Marianen, welche bei Ankunft der
Spanier 1668 mindestens 78,000 Einwohner gehabt haben, fuer die aber auch
100,000 durchaus nicht zu hoch gegriffen ist (Gulick 170) gaenzlich
ausgestorben. Schon um 1720 hatten die Inseln (und zwar nur noch die
beiden suedlichsten) nicht mehr als etwa 2000 Einwohner, und von diesen
waren sehr viele von den Philippinen her verpflanzte Tagalen. Ponapi
(Puynipet, Ostende der Karolinen) hatte nach Hale (82) 15.000 Bewohner,
welche Annahme vielleicht etwas, aber nicht viel zu hoch ist[A]; jetzt
hat sie (Gulick 358) noch 5000, Kusaie (Ualan) hatte 1852 12-1300, 1862
nur noch 700 Menschen (Gulick 245).

In Polynesien betrug auf Tahiti die Bevoelkerung zu Cooks Zeiten (1770)
etwa 15-16,000 Seelen (G. Forster nach einer spanischen Beschreibung von
Tahiti a.d. Jahre 1778 ges. Werke 4,211, Bratring 104, welcher derselben
Quelle folgt oder wenigstens einer nahe verwandten). Dieselbe Zahl fand
Wilson noch im Jahre 1797; Turnbull (259) gibt nur 5000 an im Jahre
1803, Waldegrave bei Meinicke b, 113 6000 fuer 1830 und Ellis 1, 102 fuer
1820 etwa 10,000, welche Zahl Virgin auch fuer 1852 angibt (2, 41). Moegen
auch diese Zahlen unbestimmt und schwankend und Turnbulls Angaben
negativ uebertrieben sein: so viel ist sehr klar, dass seit der
Entdeckung durch die Europaeer die Entvoelkerung dieser Insel, welche
indess nach den Aussagen der Eingebornen (Virgin 2, 41) schon frueher
begonnen hatte, rasch fortgeschritten ist; bis unter die Haelfte der
frueheren Kopfzahl sinken die Angaben. Auf den uebrigen Societaetsinseln
war das Verhaeltniss (Meinicke a. a. O.) ein aehnliches. Auch jetzt
scheint das Aussterben, obwohl langsamer, fortzugehen: der offizielle
franzoesische Bericht fuer 1862 gibt fuer Tahiti 9086 Bewohner an (Behm
81).

Auf Laivavai, einer der Australinseln, betrug die Bevoelkerung 1822
mindestens 1200, 1830 nur noch etwa 120 und 1834 kaum noch 100 Seelen
(Moerenhout 1, 143). Guenstiger ist Meinickes Schaetzung, welcher auf der
ganzen Gruppe Ende 1830 etwa 5000 Seelen, fuer 1840 nur noch 2000 annimmt
(a.a.O. 114). Rapa schaetzte Vankouver 1795 auf 1500 Einwohner, Moerenhout
(1, 139) 1834 nur noch auf 300 und diese waren in stetem Abnehmen. Auch
die Herveygruppe, welcher Ellis 1, 102 10-11,000 Bewohner gibt, ist
jetzt viel minder zahlreich bewohnt, namentlich Rarotonga, welches durch
eine furchtbare Seuche im hoechsten Grade gelitten hat (Williams 281).

Ganz ebenso schlimm ist es in Hawaii, wo nach Ohmstedt 262, die
Bevoelkerung in den Jahren 1832-36 von 130,000 auf 102,000 Seelen, also
in 4 Jahren um 28,000 Seelen gesunken ist! Mag Ohmstedt nun auch Recht
haben, dass die Bevoelkerungsziffer fuer 1836 zu gering ist, weil eine
Menge Geburten nicht angezeigt worden sind: so ist das Hinschwinden
trotzdem ganz ausserordentlich, zumal die Insel zu Cooks Zeiten, der
400,000 Einwohner angibt, wohl an 300,000 nach Jarves Berechnung (373)
hatte. Die Zahlen bei Meinicke (b, 115-16 nach der Sandwich Isl.
gazette) sind zwar nicht genau dieselben, das Verhaeltniss der Abnahme
aber bleibt, auch wenn wir ihnen folgen, unveraendert. Nach Virgin 1, 267
hatte die Hawaiigruppe 1823 etwa 142,000 Seelen, 1832 noch 130,313, 1836
108,579 und 1850 betrug die Zahl nur noch 84,165! also in 78 Jahren hat
sich die Bevoelkerung um ein Drittel gemindert und die Zahl der Geburten
verhielt sich zu den Todesfaellen wie 1:3! Auch jetzt noch schreitet die
Verminderung fort: die Zahl der Eingeborenen betrug nach dem Census von
1860 nur 67,084 Seelen (Behm 85).

Auch auf dem Markesasarchipel, dessen Bevoelkerung nach Meinicke (b, 115)
22,000 Menschen betraegt, ist ein Hinschwinden bemerkt: so verlor
Nukuhiva (Rodriguet in Revue de 2 mondes 1859 2, 638) von 1806-12 zwei
Drittel seiner Bevoelkerung durch Hungersnoth. Auf Neu-Seeland betraegt
die Abnahme der Bevoelkerung in den letzten 14 Jahren etwa 19-20 Percent;
1770 betrug sie etwa 100,000 und 1859 noch 56,000 (Hochstetter 474, nach
Fenton). Nach offiziellen Berichten im Athenaeum (Zeitschr. 9, 325),
welche zu Hochstetters Angaben nicht ganz stimmen, war die Zahl der
Eingebornen 1858 87,766, und zwar, auffallend genug, 31,667 Maenner und
56,099 Frauen. Dagegen treffen die offiziellen Berichte von 1861
(Meinicke c 557) mit Hochstetter ueberein: denn sie geben 55,336
Eingeborene an. Letzteres ist wohl das richtigere. Nach Fenton (Reise
der Novara 3, 178) verhielten sich bis gegen 1830 die Sterbefaelle und
Geburten zur Gesammtbevoelkerung wie 1: 33,04 und 1: 67,12.

Auf Samoa nimmt nach Erskine 104 die Bevoelkerung, 37,000 Seelen,
gleichfalls ab, und zwar soll die Abnahme nach den Berichten der
Missionaere in 10 Jahren auf einer Insel von 4000 bis zu 3700 oder 3600
vorgeschritten sein (eb. 60).

Auch die Pageh auf Engano, ein den Polynesiern aehnlicher malaiischer
Stamm auf einer kleinen Insel suedlich von Sumatra sterben aus nach
Wallands Urtheil, der auf der Insel eine aeusserst geringe Kinderzahl
vorfand--nur fuenf im Ganzen (Zeitschr. 16, 420).




Sec. 2. Empfaenglichkeit der Naturvoelker fuer Miasmen. Krankheiten, welche
spontan bei der Zusammenkunft der Natur- und Kulturvoelker entstehen.


Indem wir uns nun anschicken, die Gruende fuer dies Hinschwinden
aufzusuchen, wollen wir zuerst vernehmen, wie man sich ueber die
Lebensunfaehigkeit dieser Staemme geaeussert hat. Poeppig (386) sagt von
Amerika: "Es ist eine unbezweifelte Thatsache, dass der kupferfarbene
Mensch die Verbreitung europaeischer Civilisation nicht in seiner Naehe
vertraegt, sondern in ihrer Atmosphaere ohne durch Trunk, epidemische
Krankheiten oder Kriege ergriffen zu werden, dennoch wie von einem
giftigen Hauche beruehrt ausstirbt. Die zahlreichen Versuche der
Regierungen haben Sitte und Buergerthum unter jener Race nie einheimisch
machen koennen, denn ihr fehlt die noethige Perfektibilitaet. Dieser Mangel
macht die durchdachten und menschenfreundlichen Plaene der Erziehung zu
nichte und rechtfertigt den Vergleich jener Menschheit mit jener eine
eigenthuemliche Physiognomie tragenden, aber niederen Vegetation, die das
dem Meere entstiegene Land zuerst in Besitz nimmt, aber in dem Masse wie
hoeher ausgebildete und kraeftigere Pflanzen sich entwickeln, sich
vermindert und zuletzt auf immer verschwindet. Wie sehr das menschliche
Gefuehl sich gegen eine solche Annahme straeubt, so glauben wir doch in
den Amerikanern _einen von der Natur selbst dem Untergang geweihten_
Zweig unseres Geschlechtes zu sehen. In den leer gewordenen Raum tritt
eine _geistig vorzueglichere_, beweglichere, aus dem Osten stammende
grosse Familie. Wie diese ihrer Bestimmung zur allgemeinsten Verbreitung
gehorsam sich ausdehnt und die entlegensten Wildnisse sich unterwirft,
so legt die Urbevoelkerung sich zum Todesschlafe nieder und verschwindet
selbst aus dem Gedaechtnisse des neuen Volkes. In weniger als einem
Jahrhundert wird vielleicht die Forschung ueber die ersten Bewohner eines
ganzen Welttheils dem Gebiete der Archaeologie ueberwiesen werden muessen,
und dann erst wird das Tragische und Raethselhafte ihres Schicksals
begriffen (?) und tief empfunden werden."

So schrieb 1840 ein deutscher Gelehrter, der lange Reisen in Amerika
gemacht hatte. Auch Carus Phantastereien von Tag-, Nacht- und
Daemmerungsvoelkern (17 ff.) gehoeren hierher; seine westlichen
Daemmerungsvoelker, "sie, die wirklich dem Untergange zugewendet sind und
ihrem Verloeschen mehr und mehr entgegengehen", sind die Amerikaner;
seine Nachtvoelker, welche sich "ueber Afrika ausdehnen und hinab gegen
Sueden ueber Australien (!), Van Diemensland und einen Theil von
Neuseeland (als Papus!!) erstrecken", stehen noch tiefer in ihrer
geistigen Entwickelung und Faehigkeit. Ganz aehnlicher Ansicht ueber die
Neuhollaender, wie Poeppig ueber die Amerikaner, scheint Meinicke zu sein,
nur dass er sich verhuellter ausdrueckt; doch nennt er sie einen "dem
Untergang _geweihten_" Volksstamm (c 522) und spricht hier n. a 2, 215
von ihrer "gaenzlichen Unbildsamkeit". Viel direkter hat man von der
Unbildsamkeit, von dem nothwendigen Untergang, von der geringen
Lebensfaehigkeit der tieferstehenden und mangelhaft organisirten Racen in
Amerika (Waitz 3, 45) und den Kolonieen in Afrika, Neuholland und
Polynesien gesprochen; da man denn sich auch weiter kein Gewissen
machte, den Untergang, welchem diese Racen nun doch einmal geweiht
seien, damit auf ihren Truemmern sich das bessere Leben hoeherstehender
Racen entwickeln koenne, mit allen Mitteln beschleunigen zu helfen.

Aber auch vorurtheilsfreie Forscher sehen in diesem Hinschwinden etwas
Raethselhaftes, so Waitz 1, 173, wenigstens in Beziehung auf Australien
und Polynesien, da hier eine Hauptursache der Entvoelkerung, welche in
Amerika so wirksam war, der Druck durch die Weissen, in Polynesien ganz
wegfalle, in Australien wenigstens nicht weitgreifend gewirkt habe.
"Begreiflicher Weise, faehrt er jedoch fort, ist das Aussterben eines
Volkes, das frueher kraeftig und gesund gewesen ist, nicht damit erklaert,
dass man ihm die Lebenskraft abspricht oder einen urspruenglichen Mangel
der Organisation zuschreibt, und es hat an sich schon etwas sehr
Unbefriedigendes fuer eine so seltene und abnorme Erscheinung einen
geheimnissvollen Zusammenhang anzunehmen, dem sie ihre Entstehung
verdanke; man wird vielmehr hier wie ueberall nach dem natuerlichen
Zusammenhange der Sache zu suchen haben, wenn man sich auch schliesslich
zu dem Gestaendnisse genoethigt finden sollte, dass es bis jetzt nicht
gelingen will, denselben vollstaendig aufzuklaeren."

Wir wollen sehen, ob wir zu diesem Gestaendniss genoethigt werden.

Auch Darwin (2, 213) sieht bei diesem Aussterben, fuer welches er viele
natuerliche Gruende anfuehrt, auch "noch irgend eine mehr raethselhafte
Wirksamkeit" thaetig. "Die Menschenracen, sagt er, scheinen auf dieselbe
Art aufeinander zu wirken, wie verschiedene Thierarten, von denen die
staerkere die schwaechere vertilgt." Er macht darauf aufmerksam, dass fast
bei jeder Beruehrung der Naturvoelker und der Weissen, oft auch von
Staemmen ein- und desselben Volkes, welche in verschiedener Gegend
wohnen, seuchenartige Krankheiten entstehen, oft bei voelliger Gesundheit
der Schiffsmannschaft und der von ihr besuchten Voelkerschaft, "von denen
alsdann vorzugsweise die niedere von beiden Racen oder die der
Eingeborenen, welche in ihrem Lande von Fremden aufgesucht werden, zu
leiden hat" (Waitz 1, 162). Und hierzu lassen sich die Beispiele
allerdings haeufen. So sagt Humboldt (a 4, 392), dass in Panama und Calao
der Anfang grosser Epidemien des gelben Fiebers "am haeufigsten durch
die Ankunft einiger Schiffe aus Chile bezeichnet werde", obwohl doch
Chile selbst eines der gesuendesten Laender der Welt sei und das gelbe
Fieber gar nicht kenne; aber die schaedlichen Folgen der ausserordentlich
erhitzten und durch ein Gemisch von faulen Duensten verdorbenen Luft, an
welche die Organe der Eingeborenen gewoehnt seien, wirkten maechtig auf
Individuen aus einer kaelteren Region. Aehnlich verhaelt es sich mit dem
Ausbrechen des gelben Fiebers in Mittel- und Nordamerika, das
eingeschleppt zu haben so haeufig die eine der genannten Gegenden
Besuchern aus der anderen vorwirft (Humboldt a.a.O. 384). Die "grausame
Epidemie" von 1794, wo Verakruz ungewoehnlich heftig vom gelben Fieber
heimgesucht war, fing an mit der Ankunft dreier Kriegsschiffe (eb. 423).
Ebenso schreiben die Einwohner Egyptens das Ausbrechen der Pest der
Ankunft griechischer Schiffe zu und umgekehrt die Bewohner Griechenlands
und Konstantinopels egyptischen (eb. 384), wobei keineswegs immer an
eine Einschleppung zu denken ist. Auf Rapa (Australinseln) traten
toedtliche Krankheiten nach dem Besuch von englischen Schiffen auf,
welche die Haelfte der Eingeborenen dahinrafften (Moerenh. 1, 139); auf
Tubuai (Australinseln) ward die Bevoelkerung durch Krankheiten, welche
mit der Mission 1822 auftraten, auf die Zahl von 150 heruntergebracht
(eb. 2, 343). Raivavai, welches 1822 noch 1200 Einwohner hatte, besass
1830 etwa noch 120 durch gleiches Schicksal (eb. 1, 143). Williams
(283-84) spricht es als seine eigene Erfahrung aus, dass die meisten der
Seuchen, die er in der Suedsee erlebte, durch Schiffe, deren Mannschaft
ganz gesund sei und nur auf ganz erlaubtem, gewoehnlichem Wege mit den
Eingeborenen verkehrte, veranlasst wurden. Das erste Zusammentreffen
zwischen Europaeern und Eingeborenen, sagt er, ist fast immer mit dem
Fieber, mit Dysenterie u. dergl. bezeichnet; so starb auf Rapa die
Haelfte der Eingeborenen aus; so entstand die furchtbare Seuche auf
Rarotonga (Herveyinseln), die er 282 schildert. Ganz dasselbe sagt
Virgin 1, 268; "Auch nur kurze Besuche von Fahrzeugen haben auf den
Inselgruppen der Suedsee Krankheiten von mehr oder minder verderblicher
Natur verursacht, die sich sogar erst laengere Zeit nachher gezeigt
haben. Es hat sich dies auch sogar zugetragen, ungeachtet die Besatzung
der Schiffe vollkommen gesund war und die Krankheiten sind nicht stets
solche gewesen, welche moeglicherweise durch eigentliche Ansteckung
mitgetheilt werden konnten oder welche in Europa zu denen gehoeren, deren
Beschaffenheit in der Regel mehr oder weniger toedtlich ist." Von Tahiti
erzaehlt Bratring 145, dass 1775 bei der Anwesenheit der Spanier unter
Boenechea ein ansteckendes Katarrhalfieber ausbrach. Nach Cooks Besuch
litt die Insel unter Dysenterie (Moerenh. 2, 425) und die Tahitier selbst
schrieben schon um 1800 alle Krankheiten den Beruehrungen mit fremden
Schiffen zu (Turnbull 266). Beechey 1, 94-95 berichtet Aehnliches von
den Inseln Pitkairn. Bei regnichtem Wetter und bei gelegentlichen
Besuchen von Schiffen, sagt er, leiden die Eingeborenen (eine
Mischbevoelkerung von Tahitiern und Englaendern) staerker an Blutandrang
(plethora) und Schwaeren als sonst; sie glauben ganz fest, dass diese
Krankheiten durch den Verkehr mit ihren Gaesten, moegen diese selbst auch
ganz gesund sein, herruehren. Das eine Schiff sollte ihnen Kopfschmerzen,
ein anderes Scharbock, das dritte Geschwuere u.s.w. gebracht haben, wie
sie denn auch von Beecheys Schiff, dessen Mannschaft ganz gesund war,
aehnliches erwarteten: ja sie fuehlten schon Kopfweh und Schwindel.
Beechey erklaert diese Zufaelle durch die Veraenderung ihrer Lebensweise
waehrend solcher Besuche, da sie gegen ihre sonstige Gewohnheit dann viel
Fleisch essen und reichlichere Kleidung tragen. Von Melanesien (Tanna)
erzaehlt Turner 91 nach den Aussagen der Eingeborenen, welche alle
Krankheiten, wie Fieber, Dysenterie, Husten u. dergl. "fremde Dinge"
nennen, ganz Gleiches. Auch in Celebes (Waitz 1, 163) herrschte diese
Meinung und ebenso auch bei den alten Marianern, welche nach jedem
fremden (europaeischen) Schiff von einer Seuche heimgesucht zu werden
behaupteten; so brachte 1688 ein Schiff von Mexiko, welches mit
Verbrechern beladen an der Insel scheiterte, Rheuma, Fieber, Blutungen
(le Gobien 376), und die Eingeborenen sahen alle Krankheiten als durch
die Spanier eingeschleppt an (ebd. 140). Die Einwohner von St. Kilda
(westl. v. d. Hebriden bei Schottl.) sind der festen Ansicht, fuer die
sie eine lange Erfahrung haben, dass der Besuch eines Fremden ihnen
Schnupfen bringe (Macculloch bei Darwin 2, 214).

Nach dem medizinischen Theil der Novara Reise (1, 225) glauben die
Eingeborenen der Nikobaren, dass die Kokosnuesse von den Baeumen fielen,
sobald ein Missionaer die Insel betraete. So mag denn auch diese
weitverbreitete Ansicht der Grund sein, weshalb in Ponapi, sobald ein
Schiff in Sicht kommt, das Volk flieht und der Priester aufs
Feierlichste die Goetter um Huelfe anruft (Gulick 175), wenn wir es hier
nicht mit etwas Religioesem zu thun haben. Jedenfalls ist wohl zu
beachten, dass die Naturvoelker vor der Bekanntschaft mit den Europaeern
fast nichts von Krankheit wussten; weder die Marianer (le Gobien 140)
noch die uebrigen Mikronesier (Chamisso) noch die Polynesier, von denen
freilich die Neu-Seelaender, obwohl der Gesundheitszustand auch ihrer
Insel im Allgemeinen trefflich war, von schweren Seuchen, die sie schon
vor Cook heimgesucht haetten, erzaehlten (Dieffenbach 2, 12-14), noch die
Neu-Hollaender, Hottentotten und Amerikaner (Waitz 1, 140-41).

Fuer die Indianerstaemme steigert sich die Wirkung solcher Epidemien noch
durch Folgendes, was v. Tschudi, einer der ausgezeichnetsten Kenner der
amerikanischen Voelker, 2, 216 sagt: "Es ist eine hoechst eigenthuemliche
Erscheinung, dass Indianerstaemme, die durch Krieg oder Epidemien
ploetzlich sehr stark reducirt wurden, sich in der Regel nie wieder
erholen und nur noch als wenig zahlreiche Familien gewoehnlich Jahrzehnte
lang hinsiechen, bis sie endlich ganz aussterben. Bei ihnen tritt nicht
mehr die Vermehrungsprogression ein, wie sie vor dem vernichtenden
Schlage stattgefunden hatte, und bei anderen unter den naemlichen
physischen Bedingungen lebenden Voelkern beobachtet wird. Meines Wissens
ist dieses Verhaeltniss noch nirgends eroertert worden. Ich habe es bei
einem genauen Studium der Geschichte der nord- und suedamerikanischen
Indianer als Regel gefunden. Sehr verminderte Fruchtbarkeit des Weibes
ist die Hauptursache: auf welchen physiologischen Einwirkungen sie aber
beruht, ist wohl schwer zu ermitteln." Waitz freilich (1, 163) bringt
Beispiele vom Gegentheil: die Creeks (nach Simpson), die Winibegs (nach
Schoolcraft), die Apachen (Kendall) u.s.w. haben sich nach schweren
Epidemien wieder erholt. Wir kommen hierauf zurueck.

Man hat nun diese auffallende Erscheinung, dass Krankheiten durch
Beruehrung gesunder, aber aus verschiedener Gegend oder Race stammender
Menschen entstehen, zu erklaeren versucht. Darwin, der in Shropshire
gehoert, dass gesunde Schafe, die aber auf Schiffen eingefuehrt wurden, in
einem Pferch zu anderen gebracht, diese krank machen, Darwin meint, dass
das Effluvium von Menschen--und wohl auch, nach dem letzten Beispiel,
von Thieren--die lange Zeit eingeschlossen gewesen seien, giftig auf
andere wirke, namentlich dann, wenn sie von verschiedenen Racen waeren
(2, 214); eine Ansicht, welche indess weder von medizinischer Seite noch
durch die Erfahrung bestaetigt wird.

Will man sich aber mit Waitz dabei begnuegen zu sagen, dass beim
Zusammentreffen verschiedener Racen, selbst bei voelliger Gesundheit
beider, sich bisweilen Krankheiten erzeugen, welche dann meist die
niedere Race ergreifen, so kommt einmal durch das Wort niedere Race
leicht etwas Missverstaendliches in den Ausdruck, und andererseits wird
nichts durch dies blosse Zusammenfassen der Erscheinung erklaert. Dazu
kommt, dass z.B. der Bericht Humboldts ueber das gelbe Fieber in Panama
und Callao sich ja auf gleiche Racen bezieht und eben so doch auch die
Angabe Darwins von den Schafen. Und wenn man ferner die Geschichte der
kultivirten Voelker betrachtet, so findet man eine aehnliche Erscheinung:
eine neu auftretende Krankheitsform wuethet viel allgemeiner und
verheerender, als eine fortwaehrend herrschende; so die Pest, der
schwarze Tod, die Pocken, die Cholera u.s.w., die dann oft nach und nach
verloeschen. Die Pocken aber hat man dadurch unschaedlich gemacht, dass
man eine verwandte, aber unschaedlichere Krankheitsform einimpft. Es
scheint also, als ob der menschliche Koerper um so empfaenglicher fuer ein
Miasma oder einen Krankheitsstoff ist, je ferner und freier von
demselben er frueher war. Ist er aber, wie bei der Pockenimpfung
geschieht, durch ein Minimum des Giftes affizirt und dadurch anders
disponirt worden, so dass er sich nun allmaehlich an jenen feindlichen
Stoff gewoehnt, ihn der eignen Natur und die eigene Natur ihm
einigermassen assimilirt hat: so hat er dadurch Faehigkeit zum Widerstand
gegen die Krankheit gewonnen, da sie ja nun seiner Natur nicht mehr
absolut feindlich ist; daher denn solche Seuchen nach und nach
erloeschen, denn die Ueberlebenden werden nach und nach durch das
Einathmen der miasmatischen Luft koerperlich selbst immer fester.
Keineswegs hilft aber eine solche Gewoehnung fuer alle Zeit, wie ja auch
die Pocken nach bestimmten Zeitraeumen von neuem eingeimpft werden
muessen. Merkwuerdig, aber fuer uns wichtig genug ist, was Humboldt a 1, 92
ueber diese Krankheit in Mexiko sagt: "die Pocken scheinen
ihre Verwuestungen nur alle 17 Jahre anzurichten. In den
Aequinoktial-Gegenden"--ob das aber nicht in allen Gegenden oder
wenigstens bei allen menschlichen Individuen auf gleiche Weise
gilt?--"haben sie, wie das schwarze Erbrechen und mehrere andere
Krankheiten, ihre festen Perioden, an denen sie sich regelmaessig wieder
einfinden: und man moechte glauben, dass sich in diesen Laendern die
Anlage der Eingeborenen fuer gewisse Miasmen nur in sehr weit von
einander entfernten Perioden erneuert; indem die Pocken, deren Samen
sehr oft von europaeischen Schiffen gebracht wird, nur in sehr
ansehnlichen Zwischenraeumen epidemisch, aber auch dem Erwachsenen nur
desto gefaehrlicher werden." Alles dies scheint sehr fuer unsere obige
Annahme zu sprechen. Der Europaeer, der Civilisirte kommt nun fortwaehrend
mit unendlich mehr Krankheitsstoffen und Miasmen, in den meisten Faellen
ohne es selbst zu merken, in Beruehrung, als der im Naturzustande und der
freien Natur lebende Mensch. Und nicht nur durch eigene Gewoehnung von
Kindheit an, sondern auch durch Vererbung der Accommodation von Eltern
und Grosseltern her hat er eine viel groessere Widerstandsfaehigkeit gegen
solche schaedliche Einfluesse, als sie jemals frueher Isolirte und
namentlich, wenn sie vielleicht schon erwachsen zuerst mit diesen
Einfluessen in Beruehrung kommen, sich erwerben koennen. Hiergegen spricht
nicht, wenn einzelne Individuen der Naturvoelker gesund etwa in Europa
laengere Zeit gelebt haben. Denn in den meisten Faellen ist da eine
Gewoehnung von Jugend auf eingetreten und jedenfalls sind alle solche
Faelle wissenschaftlich nur dann zu verwerthen, wenn man die Geschichte
des Besuchers, seine Natur, die Natur seines Volkes u.s.w. bis ins
Einzelne verfolgen kann. Uebrigens gibt es auch Beispiele genug, dass
solche Besuche ungluecklich abliefen: Liholiho, der Sohn Tamehameha I.
und seine Gemahlin starben bei ihrem Aufenthalt in England, wo alle
Sorgfalt ihnen zu Theil wurde, an den Masern bei raschem Verlauf der
Krankheit; und der Prinz Libu, welchen Wilson gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts von den Palau-Inseln mit nach England genommen hatte und
dort sehr sorgfaeltig pflegte, an einer aehnlichen Krankheit, kurz nach
seiner Ankunft (Keate die Pelewinseln, Schluss). Jetzt beweisen solche
Besuche um so weniger, als jetzt die meisten Voelker Bekanntschaft mit
der weissen Race haben.

Nach alledem wuerde es kein Wunder, nichts Raetselhaftes sein, wenn die
Naturvoelker gegen solche Miasmen, die auch von ganz Gesunden ganz
unbemerkt eingeschleppt werden koennen, um so empfaenglicher und
empfindlicher sind, je weniger sie Schutz durch irgend welche Gewoehnung
haben; daher denn solche Krankheiten, welche scheinbar unerklaerlich
entstehen, mit einer Heftigkeit wuethen, wie, vor Zeiten die Pest. So
erzaehlt Williams (280 ff.), dass bei jener Seuche auf Rarotonga von
mehreren tausend Einwohnern kaum ein einziger ganz davon befreit
blieb.--Die Krankheiten, welche am meisten so ganz spontan dem Schein
nach entstehen, sind Dysenterie, Influenza, Fieber, Blutungen,
Geschwuere, Husten und Hautkrankheiten. (Einige Belegstellen: Turner 91;
Dieffenbach 2, 12-14; le Gobien 376; Beechey 1, 94-95.)

Dass auch Geschwuere genannt werden, koennte auffallen. Die ausbrechenden
Krankheiten richten sich jedenfalls theils nach den Miasmen, durch
welche sie hervorgerufen sind, theils und wohl ganz besonders nach der
Natur des Inficirten. Wie ja bei herrschenden Epidemien oder in der Naehe
gefuellter Krankenhaeuser jede Krankheit, jede oft unbedeutendste
Verwundung durch den giftigen Einfluss der Miasmen schlimmer werden, ja
bis zum Tode fuehren kann, auch ohne in die herrschende Krankheitsform
ueberzugehen: ebenso natuerlich ist es, dass sich solche eingefuehrten
Miasmen gerade auf den Theil des inficirten Organismus werfen, welcher
schon zuvor, in den meisten Faellen gewiss gleichfalls unbewusst, der
schwaechste oder gerade bei der Einfuehrung des Miasma irgendwie erregt
oder afficirt war. Auch erklaert es sich hieraus, wie bei gleichen
Miasmen--vorausgesetzt, dass sie gleich sind; denn eine
Schiffsmannschaft kann leicht verschiedene zugleich
bringen--verschiedene Individuen, wie sich das gar nicht selten zeigt
(z.B. bei Turner in Melanesien, bei le Gobien auf den Marianen, bei
Beechey auf Pitkairn) verschiedene Krankheiten bekommen koennen.

So erklaert sich das raethselhafte Faktum (welches als Faktum durch die
sichersten und verschiedenartigsten Zeugnisse feststeht), dass eine
gesunde Schiffsmannschaft gesunden Menschen Krankheiten bringen kann[B].
Dabei duerfen wir nicht unerwaehnt lassen, was Humboldt an sich und
seinen Begleitern in Centralamerika beobachtete: "Es kommt haeufig vor,
sagt er b 6, 142, dass sich bei Reisenden die Folgen der Miasmen erst
dann aeussern, wenn sie wieder in reinerer Luft sind und sich zu erholen
anfangen. Eine gewisse geistige Anspannung kann eine Zeitlang die
Wirkung krankmachender Ursachen hinausschieben." Denn aus diesem Satze
erklaeren sich manche Erscheinungen bei jenen spontanen Krankheiten der
Naturvoelker--so darf man wohl, ohne Gefahr missverstanden zu werden, die
Krankheiten nennen, welche nach der blossen Beruehrung mit den
Kulturvoelkern, ohne direkte Einschleppung entstehen--Erscheinungen,
welche sonst auffallen muessten. So, dass diese Uebel waehrend der
Anwesenheit der Europaeer noch nicht verspuert werden, denn jene
Schwindel- und Kopfwehanfaelle der Pitkairner noch waehrend Beecheys
Besuch beruhten sicher, nach aecht polynesischer Art, auf anticipirender
und uebertreibender Einbildung; dann, dass sie ungleich seltener bei
feindlichem Zusammenstoss zweier Racen sich zeigen, welcher freilich
meist auch von kuerzerer Dauer ist, als ein freundlicher Besuch. Auch
scheint es, als ob das Durchmachen _einer_ Epidemie gegen Miasmen
verschiedener Art abhaerte; wiewohl es gar nicht selten ist, dass ein und
derselbe Volksstamm von mancherlei Seuchen nach einander (oder auch von
derselben wieder) heimgesucht wird. Doch ist dann fast immer der erste
Anfall der verheerendste.

Jedenfalls aber haben wir hier die erste Ursache fuer das Aussterben der
Naturvoelker: ihre leichte Empfaenglichkeit fuer Miasmen, welche die
Kulturvoelker ohne Wissen und Willen und bei eigener Gesundheit, zu ihnen
bringen; und die geringe Widerstandsfaehigkeit ihres Organismus gegen
solche durch jene Miasmen entstehende Krankheiten.




Sec. 3. Direkt eingeschleppte Krankheiten.


Zu diesen eben besprochenen Krankheiten kommen noch andere hinzu, deren
Mittheilung zwar auf demselben Grunde beruht, den wir im vorigen
Paragraphen betrachteten, die aber doch, da man sie als direkt
eingeschleppte allgemein betrachtet und nachweisen kann, fuer den
Beobachter weit mindere Schwierigkeit bieten. Hierher gehoeren aber
gerade die furchtbarsten Seuchen, welche die Naturvoelker betroffen
haben; und kann man sich denken, wie verheerend sie auf die
empfaenglichen Naturen jener Voelker wirkten. Nicht bloss Weisse haben sie
eingeschleppt: auch einzelne Zweige desselben Stammes haben andere mit
solchen Gaben bedacht. So ward ein boeser Aussatz von Polynesien aus Rapa
nach Pitkairn verschleppt und den Bewohnern dieser Insel gefaehrlich; und
andere gleiche Beispiele finden sich. Schlimmer aber ist, was die
Weissen brachten, vor allen Syphilis und Blattern. Erstere Seuche ist
zwar ueberall bekannt genug, wo die Europaeer hinkommen, und so also auch
von Alters her in Afrika und Amerika, wo sie eingeschleppt wurde (in
Californien nach Rollin, La Perouses Schiffsarzt bei La Perouse 2, 289;
in Guyana nach Schomburgk 2, 336). Gefaehrlicher aber ist sie vor allen
fuer die Polynesier geworden, denn hier beguenstigte ihre Mittheilung und
Verbreitung die ausserordentliche Luederlichkeit dieser Voelker gar sehr;
und da die Polynesier durch ihre Lueste vielfach entnervt waren, so
wurden hierdurch auch die Formen dieser Krankheiten immer grauenvoller.
Und so finden wir sie hier vom aeussersten Osten bis zum fernsten Westen.
Auf Waihu (Osterins.) ist sie jetzt haeufig eingeschleppt von Europaeern
(Moerenhout 1, 26). Auf Neu-Seeland findet sie sich, namentlich an den
Kuesten, wo die Eingeborenen mit den Europaeern am meisten verkehren, und
so schlimm, dass eine Menge Verwachsungen u. dergl. durch sie entstehen
(Dieffenbach 2, 17-25). Auf Tonga hatte sie Cooks Mannschaft, wie Cook
selbst erzaehlt dritte Reise 2, 390 eingeschleppt; doch kann sie hier
nicht allzu heftig gewirkt haben, denn Mariner (2, 270) gibt an, dass
durchaus nichts Syphilitisches sich auf der Gruppe finde und dass ein
Fall, welcher auf franzoesischer Ansteckung beruhte, so rasch toedtlich
verlief, dass er weiter keine Folgen hatte. Allein ob nicht die Art von
Gonorrhoee mit ardor urinae, die er 268 als in Tonga heimisch erwaehnt,
doch noch vielleicht von Cooks Mannschaft herstammte? Auch auf dem
Gilbertarchipel und den Ratakinseln--denselben Inseln, wo Chamisso
Anfang dieses Jahrhunderts so paradiesische Tage verlebte--ist die
Syphilis und andere Seuchen durch europaeische Seeleute eingeschleppt
(Meinicke Zeitschr. 398), wie denn ueberhaupt Mikronesien auch sonst sehr
durch solche boesen Einwirkungen gelitten hat (Gulick 245).

Aber am schlimmsten hat diese Seuche auf Tahiti und Hawaii gewuethet. In
Tahiti ist sie so allgemein, dass fast jede Familie von ihr beruehrt ist
(Moerenhout 1, 228-29); und schon um 1790 waren zwei Fuenftel der Insel
venerisch (eb. 2, 425). Da nun diese entsetzliche Krankheit theils gar
nicht, theils schlecht geheilt und behandelt wurde, so ward sie ein
Hauptmittel fuer die Dezimirung der Eingeborenen (eb. 2, 405). Vankouver
(1790) spricht von den Verheerungen, die sie unter den tahitischen
Weibern angerichtet hatte (1, 111): sie musste also schon lange
verbreitet sein und ist zweifelsohne gleich von den ersten Besuchern
eingeschleppt, gleichviel ob von Wallis (Anfang 1767) oder Von
Bougainville (1767, 15. Apr.), genug, Cook fand sie vor. Meinicke zwar
(b, 118) versucht zu beweisen, dass dies Uebel in der Suedsee schon
heimisch war, vor der Beruehrung mit den Europaeern: allein sein Beweis
ist ihm nicht gelungen und seiner Hypothese stehen die gewichtigsten
Autoritaeten entgegen, so Cook selbst fuer Tahiti (dritte Reise 2, 331)
und fuer Hawaii (King ebendas. 4, 379), Turnbull (291) fuer Tahiti und so
noch andere. Auch thut Meinicke nicht recht, das Zeugniss der
Eingeborenen fuer so ganz nichtig zu halten; um so weniger, als die
Tahitier nach Cook sehr bestimmt Bougainvilles Schiff als das
bezeichneten, welches die verhaengnissvolle Gabe brachte, sich also
keineswegs in allgemeinen Behauptungen hielten. Auch was Cook a.a.O.
390-91 ueber die Schwierigkeit, Ansteckung zu verhueten, die Gesundheit
der eigenen Mannschaft zu ermitteln und die Leichtigkeit, mit der sich
die Krankheit ausbreitet, und gewiss sehr richtig auseinandersetzt,
spricht gegen Meinicke. Allerdings stuetzt dieser sich fuer die
Sandwichgruppe auf den Umstand, dass, obwohl Cook zuerst nur auf Atuai
und Onihiau landete, er gleichwohl schon neun Monate spaeter die Seuche
auf Maui verbreitet fand--was auch La Perouse mit mehreren anderen
Gruenden medizinischer Art, die aber nicht ganz stichhaltig erscheinen
(1, 246, 276), als Grund gegen die Einschleppung durch Cook anfuehrt. Er
schreibt die erste Verbreitung dieser Seuche den Spaniern zu, welche im
16. Jahrhundert oefters die Hawaiigruppe besucht haben. Wenn man nun auch
auf die rasche Verbreitung der Krankheit, wie sie bei der Luederlichkeit
und dem fortwaehrenden Verkehr der Eingeborenen nur zu moeglich war,
hinweisen koennte, so ist uns das fuer unsere Zwecke gleichgueltig; genug
die Seuche ist jetzt ueberall verbreitet in Polynesien und Meinicke gibt
ja selbst zu, dass die Eingeborenen wenigstens die schwereren Formen des
Unheils den Europaeern verdanken. Jedenfalls sind die Verheerungen,
welche gerade diese Krankheit in Polynesien angerichtet hat, auch wenn
es Meinicke nicht ganz zugeben will, entsetzlich genug, wie aeltere und
neuere Schriftsteller einstimmig bezeugen. (Vergl. ueber Hawaii noch
Virgin 1, 265; Rollin bei La Perouse 2, 271; ueber Tahiti Turnbull 291;
Cook dritte Reise 2, 331). Doch scheint es, als ob in Tahiti sich jetzt
(1852) der Gesundheitszustand wieder gehoben habe (Virgin 2, 41). Auch
werden von frueher (Cook a.a.O. 2, 331) schon Beispiele erwaehnt, wo
Infizirte, freilich selten genug, von selbst genassen. Nur in Tonga
scheint, bei dem keuscheren Leben der Tonganer das Unheil wenigstens
nach Mariners Bericht, nicht um sich gegriffen oder doch leichtere
Formen nach und nach angenommen zu haben.

Die Seuche ist auch unter den Eingeborenen von Neu-Holland verbreitet
und auch hier will Meinicke (a 2, 179) die Annahme, sie sei ihnen von
den Europaeern gebracht, als "aeusserst unwahrscheinlich" dadurch
beweisen, dass bei der Gruendung der Colonie von Sydney und auch
neuerdings diese Krankheit tief im Inneren des Continentes gefunden sei.
Als ob das bei dem Wanderleben dieser Staemme auffallen koennte! als ob
sie nicht schon vor der Gruendung der Colonie mit Europaeern und wahrlich
nicht mit den reinsten in mannigfacher Beruehrung gewesen waeren! Den
Aleuten, bei denen es Cook schon vorfand (dritte Reise 3, 265), und den
Kamtschadalen ist dieses Unheil von den Russen, den Pelzhaendlern,
mitgetheilt. Da nun aber die Kamtschadalen ebenfalls zu Ausschweifungen,
sei es im Trunk, sei es in der Liebe, geneigt waren, so sind auch hier
seine Folgen nicht ohne Gewicht fuer unsere Betrachtung.

Bei weitem schlimmer, aber und allgemeiner haben die Blattern gewuethet,
die schlimmste Geissel aller Naturvoelker. Am bekanntesten ist dies von
Amerika, in dessen noerdlicher Haelfte sie zuerst um 1630 auftraten (Waitz
b, 15). Neun Zehntel von den Nordindianern rafften sie hin; die
Mandans starben 1837 fast ganz aus, die Schwarzfuesse schmolzen durch
sie von 30-40,000 auf 1000 zusammen: aehnlich erging es anderen
nordamerikanischen Staemmen, den Kraehenindianern, Minetarris, Cumanchen,
Rikkaris; von den Omahas und den Eingeborenen des Oregongebietes erlagen
ihnen zwei Drittel, von den Californiern die Haelfte (Waitz 1, 161).
Aehnlich wuetheten sie unter den Voelkern von Suedamerika, den Indianern
von Paraguay und Gran Chako, den Puelchen, den Cariben, den Araukanern,
in Peru, am Maranon, in Guyana, wo ganze Voelkerstaemme durch sie
aufgerieben sind. Nie aber sind sie, wie Humboldt b 4, 224 bezeugt, am
oberen Orinoko aufgetreten, obwohl sie bei den Voelkern Brasiliens wieder
ihre ganze Furchtbarkeit zeigten, bei den Chaymas, die 1730-36 von ihnen
dezimirt wurden (Humboldt eb. 2, 180), bei den Chiquitas (Waitz 3, 533),
welche schwer von ihnen zu leiden hatten. Nicht minder heftig aber
traten sie bei den kultivirten Staemmen Amerikas auf.

In Mexiko brachen, nach Torribio, die Pocken eingeschleppt durch einen
Negersklaven 1520 zuerst aus und rafften gleich damals die Haelfte der
Mexikaner hin (Humboldt a 1, 97); nach Herrera traten sie schon 1518 auf
(Poeppig 373) und schon 1517 mit denselben Verheerungen, ohne jedoch
einen Europaeer hinzuraffen, auf den Antillen, zu deren Entvoelkerung sie
wesentlich beigetragen haben. Ueberall, in ganz Amerika, waren die
Verwuestungen so arg, dass die Todten bisweilen unbeerdigt blieben, weil
es an Haenden hierzu fehlte (Waitz b, 15). Man begreift es, dass, wenn
die Pocken ausbrachen, die Indianer im aeussersten Entsetzen vielfach
ihre Huetten verbrannten, ihre Kinder toedteten und in die Einsamkeit
flohen (Humboldt b 4, 224); oder dass z.B. die Chilesen die Huette mit
sammt den in ihr liegenden Kranken verbrannten (Waitz 1, 161). Waitz ist
der Ansicht und wir stimmen ihm bei, denn alle Quellen sprechen dafuer,
dass diese Krankheit zahlreichere Opfer forderte, als Krieg und
Branntwein zusammengenommen; dass ihr gewiss die Haelfte bis zwei Drittel
der Urbevoelkerung Amerikas erlegen sind.

Allein nicht bloss auf Amerika beschraenken sich die Verheerungen der
Pocken. 1767 brachen sie, eingeschleppt durch einen russischen Soldaten,
in Kamtschatka aus und wuetheten wie die Pest: nicht weniger als 20,000
Kamtschadalen, Kuriler und Koriaeken sollen ihnen erlegen sein. Ganze
Doerfer starben aus und Cooks Reisebegleiter fanden selbst noch eine
Menge ganz leer stehender Doerfer vor. Ein anderes, vor der Epidemie mit
360 Menschen bevoelkert, hatte nachher noch 36 Seelen (Cook 3. Reise 4.
174-75). Aehnliche, wenn auch minder starke Epidemien traten 1800 und
1801 auf, welche gegen 5000 Kamtschadalen dahinrafften und bei dem schon
lange immer mehr um sich greifenden Schwinden der Bevoelkerung so
verheerend wirkten, dass in den Ostrogen (kleinen Doerfern des Inneren),
welche vorher meist 30-40 Einwohner hatten, nachher meistens nur 8-10,
in einigen wenigen 15-20 Bewohner uebrig blieben (Krusenstern 3, 49. 52.
2. Theil, 2. Abtheil. Cap. 8).

Auf Neuholland brachen die Blattern zuerst 1789 aus und verwuesteten ganz
Cumberland; 1830 verheerten sie, bis zur Nordkueste hin das Innere von
Ostaustralien (Meinicke a 2, 179). Auch diese Seuche entstand nach
Meinicke a.a.O. ohne Einschleppung spontan unter den Eingeborenen. Von
einer furchtbaren Pockenepidemie auf Ponapi (Puinipet, Banabe,
Carolinen) erzaehlt die Novarareise 2, 395: die Krankheit war durch einen
englischen Matrosen eingeschleppt und raffte 3000 Menschen hin; 2000
blieben uebrig. Auf der Hawaiigruppe starben 1853 an den Pocken 5-6000
Menschen (Waitz 1, 176).

Auch die Hottentotten, wenigstens in der Naehe der Capstadt, sind
wesentlich durch die Pocken vermindert (Waitz 2, 346).

Ausser dieser Krankheit haben dann die Masern und Roetheln schlimm unter
den Naturvoelkern gehaust, so in Brasilien, Guyana, im Mosquitolande
(Waitz 1, 162), in Neuholland (Darwin 2, 213); und noch gefaehrlicher
verschiedene Fieber, welche z.B. die Oregonindianer schwer heimsuchten,
die oberen Tschinuks 1823 von 10,000 auf 500 zusammenschmolzen und zwar
so schnell, dass die Zahl der Ueberlebenden nicht hinreichte, die Todten
zu begraben (Wilkes und Haie bei Waitz 1, 162).

Doch sind wir durch diese Fieber bei den Seuchen angekommen, denen die
Naturvoelker vor dem Auftreten der Europaeer unterworfen waren.
Epidemische Krankheiten sind zwar vorher selten, doch finden sie sich
auch. So jene Seuche, welche vor Cook auf der Ostkueste von Neu-Seeland
wuethete, und zwar so heftig und rasch, dass auch hier nicht alle Todten
begraben werden konnten (Dieffenbach 2, 12-14); so die Fieber, welche,
wie es scheint, durch das Klima hervorgerufen am Orinoko epidemisch sind
(Humboldt b 4, 215), so und vor allen jene beruechtigte mexikanische
Krankheit, Matlazahuatl von den Eingeborenen genannt, ein furchtbares,
dem gelben Fieber verwandtes Gallenfieber mit Blutbrechen, das schon
lange vor Cortes Ankunft in Mexiko, ja wohl schon im 11. Jahrhundert
unter den Tolteken, die damals noch in Nordamerika waren, herrschte
(Humboldt a 4, 379), wie sich denn ueberhaupt die Krankheit mit
Leichtigkeit in die kalte Zone verpflanzt und ihr "die kupferfarbige
Race in beiden amerikanischen Haelften seit undenklichen Zeiten
unterworfen ist" (eb. 380). Wie furchtbar aber diese Krankheit wuethete,
geht aus den Zahlen hervor, welche Torquemada fuer die beiden Epidemien
1545 und 1576 angibt: 1545 sollen 800,000, 1576 zwei Millionen Indianer
gestorben sein (Humboldt a 1, 97). Mag auch Humboldt, obgleich er sich
verwahrt, Torquemadas Glaubwuerdigkeit anzuzweifeln, Recht haben--und er
hat es gewiss--dass diese Zahlen nur auf ungefaehrer und ungenauer,
vielleicht uebertriebener Schaetzung beruhen: auch wenn wir die Ziffern
halbiren, welch furchtbarer Verlust an Menschenleben bleibt immer noch!
Humboldt meint (a.a.O.), dass auch diese Krankheit sich alle hundert
Jahre einmal zeige: da er aber 4, 379 die Jahre 1545, 1576, 1736, 1761
und 1762 als Jahre, worin die Krankheit wuethete, aufstellt, so ist, wenn
anders die Periodicitaet dieser Krankheit richtig ist, ihr Erscheinen in
den einzelnen Jahren dann auf Staemme und Landschaften eingeschraenkt,
welche sie frueher nicht hatten.

Einen Hauptgrund fuer die furchtbare Wirksamkeit solcher eingeschleppter
Krankheiten, auf den wir spaeter zurueckkommen, fuehrt Humboldt an, wenn er
a 4, 410-11 sagt: "Die Niedergeschlagenheit des Geistes und die Furcht
vermehren natuerlich die Praedisposition der Organe, um die Miasmen
aufzunehmen; daher es kein Wunder ist, wenn solche Epidemien namentlich
dann besonders heftig sind, wenn sie von siegreichen Eroberern
eingeschleppt werden."




Sec.4. Behandlung der Kranken bei den Naturvoelkern.


Alle diese Krankheiten nun, welche den Naturvoelkern durch die eigene
Natur derselben gefaehrlich genug waren, wurden es noch mehr durch die
ganz verkehrte Art, mit der jene Voelker Krankheiten behandelten. Die
Syphilis ward dadurch so gefaehrlich in Polynesien, dass man sich theils
gar nicht um sie kuemmerte, theils aber, wenn man es that, das Uebel nur
vermehrte. So glaubte man in dem berauschenden Kavatrank, der aus den
Wurzeln des Piper methysticum bereitet wird, ein Mittel gegen sie
gefunden zu haben, und es konnte doch nichts Gefaehrlicheres angewendet
werden, als bei dieser Krankheit dieses Mittel, das denn auch nicht
verfehlte, die Wirkungen der Seuche erst recht schlimm zu machen
(Moerenhout 2, 405). In Amerika wendete man gegen die Blattern
vornehmlich Dampfbaeder mit unmittelbar folgenden kalten Abwaschungen an
und in Neuholland und Polynesien ausserdem noch andere und noch
thoerichtere Mittel; natuerlich wurde schon durch diese Kuren die
Krankheit fast immer toedtlich. Dass sich aber diese Voelker bei neuen
unerhoerten Krankheiten nicht zu helfen wussten, wird uns nicht Wunder
nehmen, wenn wir sehen, wie sie sich Kranken gegenueber fuer gewoehnlich zu
benehmen pflegen.

Die Neuhollaender haben fuer ihre Kranken nur eine Ceremonie der Priester,
welche den boesen Geist, der im Kranken sitzt, oder den Zauber, der ihn
krank macht, beschwoert, indem er unter allerlei Faxen einen Stein, meist
ein glaenzendes Stueck Quarz, aus dem Kranken zieht und damit ihn vom
Zauber, der in jenen Stein eingeschlossen ist, befreit (Grey 2, 337). Da
nun jede Krankheit auf Bezauberung beruht und zwar haeufig auf Entziehung
der Seele, welche im Nierenfett ihren Sitz hat (Howitt 189), so wurde in
einigen Gegenden der Kranke mit dem Nierenfett dessen, den man fuer den
versteckten Moerder hielt und dem man es oft noch lebend ausschneidet
(Angas 1, 123), bestrichen: oder man versucht die Krankheit aus dem
betreffenden Glied auszusaugen, durch Aderlass zu entfernen, den boesen
Geist, indem man den Kranken knetet, schlaegt, tritt und sonst
misshandelt, zu verjagen u. dergl. mehr. Geschickter sind die
Neuhollaender im Behandeln aeusserer Verletzungen; auch haben sie manche
rationelle Mittel gegen den Biss giftiger Schlangen (Brehm Thierleben 5,
262).

So ziemlich dasselbe Bild wird nun von der Heilkunst aller Naturvoelker
zu entwerfen sein. Auf den Fidschiinseln werden schwer Kranke schon als
todt betrachtet, aufgeputzt und ausgestellt (Williams und Calvert 183);
Ruecksicht nimmt man auf sie durchaus nicht, hat vielmehr, da man sie fuer
boeswillig haelt und glaubt, dass sie die Gesunden nur absichtlich
quaelten, nicht das mindeste Mitleid mit ihnen (eb. 188). Ebenso sonst in
Melanesien. Sehr gewoehnlich werden Kranke ohne weiteres erschlagen, oder
ausgesetzt, z.B. auf der Fichteninsel (Cheyne 88). Auf Vate (neue
Hebriden) toedtet man phantasirende Kranke sogleich, damit sie nicht
Andere anstecken koennen (Turner 444); man begraebt sie und andere
schwerer Erkrankte lebendig (450). Ebenso machen es die Ajetas der
Philippinen, eine Negritobevoelkerung der Gebirge Luzons mit
Schwerkranken (de la Gironiere Aventures d'un gentilhomme Breton aux
iles Philippines 325). In andern Gegenden Melanesiens (auf den kleinen
Inseln bei Neu-Guinea) setzen sich die Kranken ans Meeresufer und
essen, was sie koennen, da nicht mehr essende Kranke sofort getoedtet
werden. Kranke Glieder schnueren sie ein, um den Daemon, der die Krankheit
verursacht, zu fangen (Reina in Zeitschr. 4, 360). Denn auch hier gilt
alle Krankheit fuer Behexung (Turner 18-19), obwohl auch die Melanesier
Aderlass und derartige Mittel kennen (eb. 92). Auch in Mikronesien
toedtete man entweder die Kranken (indem man sie in einem lecken Schiff
ins Meer stiess, Hale 80) oder man wandte, um sie zu curiren, Zauberei
an, so auch auf den Marianen (le Gobien 47).

Und nicht anders in Polynesien. Auch hier wurden sie oft ermordet, oder
doch ganz gleichgueltig behandelt, wo denn jeder Kranke fuer sich sorgte,
so gut es ging, d.h. in den Wald oder die Einsamkeit ging und entweder
gesund oder gar nicht wieder zurueckkehrte. In Nukuhiva hielt man
Schwerkranken Mund und Nase zu, um den Geist festzuhalten (Mathias
_G***_, 115); ebenso in Suedamerika bei den Moxos (Waitz 3, 538; b 151).
In Tonga bestand die Behandlung der Kranken fast nur darin, dass man sie
von einem Tempel zum andern schleppte, um die Priester und Goetter fuer
sie anzuflehen; je kraenker Jemand ist, je weiter schleppt man ihn--und
fuehrt seinen Tod natuerlicherweise gerade dadurch herbei (Mariner 1, 110;
362 ff. u. sonst). Oder man opferte wie in Tahiti und sonst in
Polynesien, Kinder oder Sklaven, um das Leben eines Vornehmeren zu
erhalten. Doch waren die Tonganer als Chirurgen nicht ungeschickt und
sie wagten sich an gefaehrliche Operationen. Auch war Skarifikation und
der Gebrauch gewisser Pflanzensaefte in Anwendung (Mariner 2, 267-270).
So wie bei ihnen, so gilt auch sonst in Polynesien Krankheit als
Bezauberung, oder als Rache und Strafe der Goetter: in Neu-Seeland
(Dieffenb. 2, 59 ff.); in Tahiti (Bratring 181-82, Moerenh. 1, 543); in
Nukuhiva (Math. G. 228); und in Hawaii (Tyermann u. Bennet 1, 129).
Daher waren auch hier die haeufigsten Mittel Opfer und Gebete. Nur auf
Neu-Seeland scheint man etwas zweckmaessiger verfahren zu haben.
Wenigstens kannten die Eingeborenen die Heilkraft ihrer heissen Quellen
und wendeten sie fuer kranke Kinder an (Dieffenb. 1, 246), man gab den
Kranken leichtere Kost, gebrauchte Daempfe von Pflanzenaufguessen
(Pflanzenaufguesse kannten auch die Marianer nach le Gobien),
Einreibungen mit warmen Pflanzensaeften u. dergl. (Dieffenb. 2, 41).
Dampfbaeder und darauf unmittelbar folgende kalte Abwaschungen waren
gleichfalls gebraeuchlich (Moerenhout 2, 164) und Kneten der Glieder
ueberall verbreitet: in Nukuhiva, in Tahiti, Hawaii u.s.w. In Tahiti
hielt man jede Krankheit fuer Wirkung goettlichen Zornes und es galt daher
fuer suendlich, Arzeneien zu nehmen (Turnbull 260), gegen die sie auch
einen unueberwindlichen Abscheu haben (292). Wird ein Eingeborener dieser
Insel krank, so wird er sofort von allen Angehoerigen und Landsleuten
gemieden: er ist ganz hilflos und auf sich allein angewiesen, ein
Verfahren, welches sich bitter genug raecht: denn die bei ihnen
gewoehnlichsten Uebel sind solche, die schon bei geringer Pflege leicht
heilen, bei Vernachlaessigung aber toedtlich werden (Turnbull 260 u. 292).
Als Chirurgen waren auch sie wie alle Polynesier geschickt (Moerenhout 1,
161).

In Amerika finden wir so ziemlich dasselbe. Denn auch die Mexikaner,
obwohl tuechtige Chirurgen und mit mancherlei medizinischen Mitteln
bekannt, setzten ihre festeste Hoffnung auf aberglaeubische Mittel (Waitz
4, 165, 174). Die Californier versuchten durch Anblasen und Aussaugen
des kranken Gliedes oder dadurch, dass sie andere opferten oder
verstuemmelten, die Krankheit zu heben (Waitz 4, 250). Aussaugen,
Anblasen, Reiben galt auch auf Haiti als Hauptmittel, so wie denn,
merkwuerdig genug, hier die Aerzte dieselbe Ceremonie anwandten, welche
die Neuhollaender noch jetzt haben: sie zogen dem Kranken einen Stein und
mit ihm den Anlass aller Krankheiten aus dem Mund. Schwerkranke wurden,
wie in Mikronesien, ausgesetzt, oder, wie in Nukuhiva erstickt (Waitz 4,
327). Das Hervorziehen des Steines oder Knochens aus dem Koerper des
Kranken fand sich auf dem brasilianischen Festland unter den Payaguas
(Azara 269). Auch in Peru war das Heilverfahren, obwohl man einige
Arzneipflanzen kannte, purgirte und zur Ader liess, fast durchaus auf
Zauberei begruendet (Waitz 4, 463). In Nordamerika nun waren bei fast
allen den minder kultivirten Voelkern die Aerzte ganz und gar Zauberer,
die Krankheit nur Besessenheit, der boese Geist ward daher, zur Kur,
ausgesaugt und ausgespieen, oder durch Blasen, Kneten, Schlagen und
aehnliche Mittel entfernt (Waitz 3, 213-14). Auch in Suedamerika ist
Zauberei, Aussaugen Anblasen u.s.w. Hauptmittel und fast ueberall der
Arzt zugleich Zauberer, nur bei den Botokuden nicht, welche nur
natuerliche Mittel, Reiben, Kneten, Urtikation, auch, aber meist ohne
Erfolg, innerliche Arzneien anwenden (Tschudi 2, 286-87) und als
Chirurgen nicht ungeschickt sind. Aber Zauberer waren die Aerzte bei den
Tupis, den Makusis, deren Heilverfahren, das neben vieler Zauberei auch
manche wirklich wirksame Mittel kannte, Schomburgk (2, 333) schildert,
ferner bei den Waraus (eb. 1, 170), den Cariben (2, 427), den
Araukariern, welche indess neben den Zauberaerzten auch noch andere und
tuechtigere Aerzte hatten (Waitz 3, 519), den Feuerlaendern (Bouqainville
130) u.s.w.

Dampfbaeder sind sehr allgemein verbreitet und bei fast allen Krankheiten
angewendet; so bei den Mexikanern und bei den alten Tolteken (Waitz 4,
270); ebenso in Nordamerika (3, 217) in Suedamerika bei den Makusi
(Schomburgk 2, 333) und sonst.

Nicht anders war im grossen Ganzen, nach Langsdorff, das Heilverfahren
der Aleuten.

Auch die Hottentotten betrachteten alle Krankheiten als Wirkungen von
Zauberei und boesen Geistern, und behandeln sie darnach, durch
Beschwoerung u. dergl., doch wendet der Zauberer oder die Zauberin dabei
auch andere, innerliche und aeusserliche Heilmittel an. Wunderbarer Weise
findet sich denn auch hier, wie auf den Antillen, jener sonderbare
neuhollaendische Gebrauch wieder, einen Stein--hier einen Knochen--unter
mancherlei Ceremonien aus dem Leibe (Mund, Ohr, Ruecken u.s.w.) des
Kranken, der ihm eingehext und der Sitz der Krankheit sei,
hervorzuziehen, damit jener genese (Sparmann 197-98). Ihre Giftaerzte
sollen freilich sehr ausgezeichnete Mittel gegen Schlangenbiss haben,
und die Colonisten haben, was sie von Heilpflanzen der suedafrikanischen
Flora kennen, erst von den Eingeborenen gelernt (Waitz 2, 344). Allein
Schwerkranke, Alte und Huelflose setzen die Hottentotten haeufig aus
(Sparmann 320); Sterbende schuettelt und stoesst man, gewiss um den Daemon
der Krankheit zu verscheuchen, ueberhaeuft ihn mit Vorwuerfen, dass er die
Verwandten durch seinen Tod betruebe, bittet ihn zu bleiben u.s.w.
(Sparmann 273).

Die Zauberer aber gerathen sehr haeufig, wenn ihre Kur nicht anschlaegt,
in Gefahr, von den erbitterten Angehoerigen arg gemisshandelt oder
getoedtet zu werden. Fuer Amerika bringt Waitz und die angefuehrten Autoren
eine Menge Beispiele bei: fuer Afrika genuege eins, welches bei Sparmann
198 erwaehnt wird: ein Fuerst, der an schlimmen Augen litt und von den
Zauberern nicht geheilt werden konnte, liess diese alle umbringen, weil
er glaubte, dass einer von ihnen, der ihm feindlich gesinnt sei, seine
Heilung verhuete. Denn jeder unglueckliche Ausgang einer Krankheit gilt
als bewirkt durch staerkeren Zauber, hier und in Amerika und Polynesien.




Sec. 5. Geringe Sorgfalt der Naturvoelker fuer ihr leibliches Wohl.


Indess, da ja Krankheiten die Naturvoelker in ihrem gewoehnlichen Zustand
nur wenig plagen, so moechte alles dies Verkehrte, und wenn es manchem
Kranken den Tod brachte, doch nicht allzuviel fuer ihr Hinschwinden
bewirkt haben; viel gefaehrlicher ist die geringe Sorge, welche fast alle
Naturvoelker auf ihre leibliche Pflege verwenden und verwenden koennen.
Freilich sind sie abgehaertet gegen Vieles durch eigene Gewoehnung und,
wodurch diese erst in so hohem Grade ermoeglicht wird, durch Vererbung;
und so fuehlen sich auch noch die Feuerlaender, nach Darwin die elendesten
und niedersten Menschen, in ihrem entsetzlichen Klima, ohne rechtes
Obdach, auf dem nassen Boden schlafend, nackt, nur kuemmerliche Nahrung
und diese nur mit Muehe findend, nach ihrer Art wohl und begehren nichts
Besseres (Darwin 1, 230). Die Eskimos sind an ihre Schneewuesten, die
Neuhollaender an ihre unfruchtbaren Steppen, die ihre wandernde Lebensart
bedingen, die neuhollaendischen Weiber an ein Leben voll Last und Muehe,
an die schrecklichste Behandlung gewoehnt, so weit menschliche Natur sich
gewoehnen kann. Trotz aller Gewoehnung aber haengt es mit der Lebensart der
Naturvoelker zusammen, dass sie, auch bei der ersten Bekanntschaft mit
den Europaeern, bisweilen selbst wenn sie schon eine gewisse Halbkultur
erlangt hatten, verhaeltnissmaessig so geringe Bevoelkerungsziffern
aufweisen; sie leben eben so, dass die menschliche Natur nicht anders
als kuemmerlich gedeiht--wenn auch die einzelnen Individuen oft ganz
besonders stark erscheinen. Es ist ja aber gerade ein oft wiederholter
Ausspruch, die Naturvoelker seien deshalb koerperlich so kraeftig, weil
alle schwaechlichen Kinder ohne weiteres erlaegen; so z.B. Humboldt b 2,
189.

Nicht bloss schwaechliche Kinder erliegen indess; und diese Sterblichkeit
der Kinder ist das erste, was wir hier zu betrachten haben. Die
Feuerlaender, deren Wohnung nicht den geringsten Schutz bietet (Darwin 1,
228), setzen ihre Kinder nackt der Wuth ihres Klimas aus (eb. 229). Fast
alle Indianer in Nord- und Suedamerika fuehren jetzt ein elendes
Wanderleben; und ueberall hin werden die Kinder von den Muettern
mitgeschleppt, auf den rauhesten und weitesten Maerschen und oft noch,
waehrend sie durch aufgelegte Bretter und andere gewaltsame Mittel (um
ihrem Kopf eine eigenthuemliche Gestalt zu geben) in der natuerlichen
Entwickelung gestoert sind. Schon bei der Geburt werden viele Kinder
sterben. Denn ueberall ist es Sitte, dass das Weib kurz vor der Geburt
sich in den Wald begiebt, dort allein gebiert, sich selbst die
Nabelschnur abschneidet und unterbindet, dann sich und das Kind sogleich
in kaltem Wasser badet und nun zurueckkehrt, nicht etwa zur Pflege,
sondern zur erneuten Arbeit. Dies war der Fall bei den Waraus in Guyana
(Schomburgk 1, 166), bei den Cariben und Makusi (eb. 2, 315, 431); und
in Nordamerika sehr vielfach (Waitz b, 98). Die Nahrung aber, welche ein
Kind nach und neben der Muttermilch bekommt, ist oft schon an und fuer
sich schaedlich und ungesund. Grosse Sterblichkeit herrscht noch unter
den Kindern des heutigen Mexiko in Folge verkehrter Diaet (Waiz 4, 196).
Die Nahrung wird ihnen auch noch beschraenkt durch die eigenthuemliche
Sitte, neben den Kindern Thiere, Affen, Beutelratten u.s.w. zu saeugen,
was die Makusi, die Waraus, die Cariben und verschiedene andere Voelker
thun (Schomburgk 2, 315. 1, 167). Von der schlechten Wartung der Kinder,
wenn sie krank sind, spricht Humboldt b. 4, 224 und der Schmutz, in
welchem sie aufwachsen, und von denen Schomburgk aus Guyana
Abschreckendes erzaehlt, kann auch keinen guten Einfluss haben. Und doch
lieben die Amerikaner in Nord-und Suedamerika ihre Kinder aufs innigste.

In Tahiti nehmen die Frauen unmittelbar nach der Geburt sofort
Dampfbaeder mit kalten Abwaschungen (Wilson 461), in Neuseeland
gleichfalls, wo die Kinder, wie in Tahiti, ganz nackt bleiben und eher
schwimmen als laufen koennen (Dieffenbach 2, 24-25, Ellis 1, 261 und
Moerenh. 2, 61); und ebenso auf Nukuhiva (Melville 2, 191).
Hautkrankheiten, und zwar sehr boesartige der Kinder (jaws, framboesia)
werden oefters erwaehnt, z.B. in Tonga, wo die Kinder gut gepflegt und
sonst sehr gesund sind (Mariner 2, 179) und in Ponapi (Cheyne 122).
Grosse Sterblichkeit herrscht aber unter den Kindern wegen Mangel an
Pflege und Wartung in Hawaii (Virgin 1, 268) und ebenso in Tahiti
(Bennett 1, 148). Ellis sagt, dass die tahitischen Kinder, obwohl dem
Aussehen nach dick und gesund, doch bis zu einem Alter etwa von 12
Monaten sehr zart und hinfaellig waeren (1, 260). Formation des Schaedels
durch Platt- und Hochdruecken war in Tahiti sehr haeufig 1, 261. Auch auf
Mikronesien ist die Wartung der Kinder schlecht. Auf Tobi (Lord North,
aeusserstes Sued-Westende Mikronesiens) erhalten die Kinder sofort nach
der Geburt ganz gleiche Speise wie die Erwachsenen (Pickaring, Memoir of
the Language and Inhabitants of Lord Norths Isl. 1845; 228), und ebenso
auf Ratak Kokosmilch und Pisang, den ihnen die Mutter vorkaut;
schaedlicher aber als diese Nahrung ist ihnen die Unregelmaessigkeit, mit
der sie ueberhaupt etwas bekommen (Gulick 180-181), daher denn auch hier
die Sterblichkeit unter ihnen gross ist. Auch in Polynesien saeugen die
Weiber gern Thiere auf neben den Kindern, wie z.B. die Hawaierinnen nach
Remy XLII Hunde und Schweine.

In Melanosien ist es nicht besser: die Kinder werden nicht gepflegt und
muessen von der Geburt an das Leben der Alten mitmachen. In einigen
Gegenden Neu-Guineas (Finsch 103) wird der Gebaerenden fortwaehrend kaltes
Wasser ueber den Kopf gegossen, ist aber das Kind geboren, Mutter und
Kind sofort kalt gebadet und dann einer moeglichst starken Hitze neben
einem lodernden Feuer ausgesetzt, und so abwechselnd weiter. Je heisser
und laenger Mutter und Kind diese Hoellenkur vertragen, fuer desto gesuender
gelten beide. In einer anderen Gegend hatte eine Frau ein unlaengst erst
geborenes Kind auf den heissen Sand gelegt und arbeitete in der Naehe;
als Fremde kamen, grub sie es ohne weiteres bis an den Hals in den Sand
und arbeitete fort (eb. 63).

Fast nirgends aber sterben mehr Kinder als in Neuholland: von vieren
wird kaum mehr als eins drei Jahre alt (Turnbull 43), was sich aus der
Behandlung, die ihnen zu Theil wird, und die nur ausserordentlich starke
Kinder ueberstehen, erklaert. Kaum geboren wird das Kind in ein
Opossumfell gewickelt, ueberall mit hingeschleppt und meist im hoechsten
Grade nachlaessig behandelt, dem Feuer zu nahe gelegt und dergl. (Grey
2, 250-251). Dies Wandern fuehrt auch Darwin (2, 213) als Grund der
Sterblichkeit unter den Kindern an, und es ist beachtenswerth, was er
zusetzt: "Wie die Schwierigkeit, sagt er, sich Nahrung zu verschaffen,
waechst, so waechst ihre wandernde Lebensweise und darum wird die
Bevoelkerung ohne eigentlichen Hungerstod auf eine so ausnehmend
gewaltsame Weise zurueckgehalten, im Vergleich mit civilisirten Laendern,
wo der Vater seine Arbeit mehren kann, ohne den Sproessling zu
vernichten". Dazu wird ihnen auch noch die Nahrung dadurch verkuerzt,
dass auch hier die Weiber vielfach junge Thiere, Hunde, saeugen (Grey 2,
279) und gewiss oft nur aus Noth: denn ein Hund ist jetzt um so mehr,
als die Jagdthiere immer scheuer und seltener werden, ein grosser Schatz
fuer den jagenden Eingeborenen und die Nahrung fuer die jungen Thiere ist
gewiss oft genug selten.

Kurz aber mit allem Nachdruck muessen wir hier erwaehnen, dass auch das
Tattuiren, was in ganz Polynesien haeufig betrieben wird, haeufig den Tod
nach sich zieht (Ellis 1, 266); und da man nur eben heranwachsende
dieser Operation unterwirft, so wird der Jugend auch durch sie ein nicht
zu unterschaetzender Abbruch gethan.

Wichtiger freilich, weil eine Sache von groesstem Einfluss auf das
leibliche Gedeihen der Naturvoelker, ist die oft ueber alle Begriffe
schlechte Behandlung der Weiber. So vor allen Dingen in Neuholland. Die
armen Weiber muessen, schwanger oder nicht, mit allem Gepaeck und oft noch
mit 1-2 Kindern beladen, dem Manne, der nur das Jagdgeraeth traegt,
folgen; sie muessen, kaum angekommen, alle Arbeit fuer den Haushalt
besorgen, die Huette aufschlagen, Feuer machen, Wurzeln, Muscheln erst
suchen, dann kochen, fuer den Mann, die Kinder alles Noethige bereiten,
und dann, wenn sie bei alle dem oft aufs brutalste behandelt sind, dem
Manne Nachts geschlechtlich zu Willen sein. Die beste Nahrung, die sie
finden, ist fuer den Mann und ihre Soehne; sie duerfen erst essen, was
diese uebrig lassen und wenn sie fertig sind. So ist ihr Loos Tag fuer
Tag: denn von dem, was sie noch ausser diesem gewoehnlichen Elend
besonderes Schlimmes trifft (z.B. die Art, wie sie von den Maennern zur
Ehe geraubt werden), brauchen wir hier nicht zu reden. Ein wichtiger
Umstand ist ferner, dass ihre Pubertaet schon mit 11 oder 12 Jahren
beginnt und sie schon mit diesen Jahren verheirathet werden. Nimmt man
zu alle dem nun noch hinzu, dass sie ihre Kinder sehr lange saeugen, oft
bis 3 Jahre (Grey 2, 248-250) ja laenger (4-6 Jahre nach Salvado 311), so
wird man sich nicht wundern, dass die Lebensdauer dieser Ungluecklichen,
die nichts desto weniger oft ganz froehlich sind und ihren Maennern mit
Liebe anhangen, nicht allzulang ist und dass es weniger Weiber als
Maenner gibt, im Verhaeltniss wie 1:3 nach Grey, nach anderen wie 2:3--ein
Umstand indess, der wahrscheinlich mit bedingt ist durch die Sitte,
neugeborene Maedchen umzubringen, von der wir spaeter reden muessen.

Und in Amerika ist es nicht besser. "Entbehrung und Leiden, sagt
Humboldt b 2, 192, sind bei den Chaymas, wie bei allen halbbarbarischen
Voelkern, das Loos des Weibes. Wenn wir die Chaymas Abends aus ihren
Gaerten heimkommen sahen, trug der Mann nichts als ein Messer, mit dem er
sich einen Weg durchs Gestraeuch bahnt. Das Weib ging gebueckt unter einer
gewaltigen Last Bananen und trug ein Kind auf dem Arm und zwei andere
sassen nicht selten oben auf dem Buendel". Auch die Botokudinnen muessen,
wie ihre Leidensgenossinnen in Neuholland, alle Arbeit thun, alles
Gepaeck schleppen und sich dann noch von ihren Maennern aufs roheste
misshandeln lassen (Tschudi 2, 284). Dasselbe erzaehlt Schomburgk von den
Bewohnern Guyanas (2, 313; 1, 122 ff.) und mit einem schauderhaften
Beispiel von roher Misshandlung von den Cariben (2, 428). Noch haerter
ist das Loos der Weiber in Nordamerika, wo sie auch die Feldarbeit thun
muessen (Humboldt b 2, 293) und noch roher misshandelt werden (Waitz b,
98). Mrs. Eastmann, welche laengere Zeit selbst mit den Dakotas gelebt
hat und daher diese Voelker genau kennt, hat wohl Recht, wenn sie (bei
Waitz b, 98; 3, 100) sagt: "Die Arbeit des Weibes wird nie fertig. Sie
macht das Sommer- und Winterhaus. Fuer jenes schaelt sie im Fruehling die
Rinde von den Baeumen, fuer dieses naeht sie die Rehfelle zusammen. Sie
gerbt die Haeute, aus denen Roecke, Schuhe und Gamaschen fuer ihre Familie
gemacht werden und muss sie abschaben und zubereiten, waehrend noch
andere Sorgen auf ihr lasten. Wenn ihr Kind geboren ist, kann sie sich
nicht ruhen und pflegen. Sie muss fuer ihren Mann das Rudern des Kahnes
uebernehmen, Schmerz und Schwaeche wollen dabei vergessen sein. Immer ist
sie gastlich. Geh zu ihr in ihr Zelt, sie gibt dir gern, was du
brauchst, wenn es nur in ihrer Macht steht, und thut bereitwillig, was
sie kann, um es dir bequem zu machen. In ihrem Blick ist wenig
Anziehendes. Die Zeit war es nicht, die ihre Stirn gerunzelt und ihre
Wange gefurcht hat. Mangel, Leidenschaft, Sorgen und Thraenen haben es
gethan. Ihre gebueckte Gestalt war einst anmuthig, Mangel und Entbehrung
erhalten die Schoenheit schlecht". So kommt es vor, dass Maedchen von
ihren Eltern getoedtet werden, um sie dem elenden Loos, das ihrer wartet,
zu entziehen; und dass Weiber sich selbst umbringen, weil sie die Buerde
ihres Lebens und Leidens nicht mehr zu tragen vermoegen (Waitz 3, 103).
Nur bei einigen wenigen Voelkern war das Loos der Weiber etwas besser
(Waitz 3, 181). Die Speisen des Mannes durften die Weiber nicht theilen,
ja oft nicht einmal mit den Maennern zusammen essen (Schomburgk 2, 428),
eine Sitte, die auch ueberall in Ozeanien herrscht und ihren letzten
Grund in religioesen Anschauungen hat. Doch waren durch sie den Weibern
meist die wirklich guten und nahrhaften Lebensmittel untersagt, was bei
ihren schweren Arbeiten von doppeltem Gewichte war. In Poly- und
Mikronesien (in Melanesien herrschten Sitten, die den australischen
naeher kommen und Fidschi steht zwischen beiden) war die Stellung der
Weiber nicht schlecht; allerdings waren sie meist von der Gesellschaft
und den Genuessen der Maenner ausgeschlossen, doch empfanden sie dies
sowie die Prostitution, zu der sie verurtheilt waren, nicht, weil es die
Sitte nun einmal mit sich brachte und man sie sonst als
Freudenspenderinnen ehrte. Wirklich schlecht scheinen sie nur in der
Paumotugruppe behandelt zu sein, von wo und zwar von Mangareva Moerenhout
2, 71 schreckliche Beispiele aeusserster Bedrueckung und grausamster
Misshandlung erzaehlt. Waehrend an den meisten Orten den Weibern so gut
wie gar keine oder nur weibliche Arbeit, Zeugbereiten und dergl.
obliegt, wie in Tonga, in Tahiti, in Nukuhiva (Melville 2, 147); so
muessen sie in andern Inseln fast alle Arbeit thun, wie in Neuseeland
(Dieffenb. 2, 12). Fruehreife der Weiber ist in Polynesien sehr
gewoehnlich. Auf Neuseeland tritt die Pubertaet frueher als bei uns, doch
spaeter als in Suedeuropa ein (Dieffenb. 2, 33) nach Browne 38 sind sie
schon mit dem 11. Jahre heirathsfaehig und frueher coitus ist auf der
ganzen Insel gewoehnlich (Dieffenb. 2, 12). Aehnlich fand es Cook auf
Tahiti (b, 126-127). Dass sich 11jaehrige Maedchen den Fremden anbieten,
ist gar nicht selten; es soll auch noch juengere geben, die es thun. Die
Geschlechtsentwickelung auf den Fidschiinseln faellt spaeter: fuer die
Maedchen ins 14., fuer Knaben ins 17. oder 18. Jahr (Wilkes bei Waitz 1,
126). Auch in Amerika reifen die Weiber sehr frueh (Azara an vielen
Stellen). Schomburgk (1, 123) sah unter den Waraus in Guyana eine Frau
von kaum 10 Jahren, die dennoch hochschwanger war. Humboldt der b 2, 188
sagt, dass die Chaymasweiber mit 11-12 Jahren sich verheiratheten,
erzaehlt dasselbe von den Eskimos der Nordwestkueste von Amerika, den
Koriaeken und den Kamtschadalen (190), bei denen haeufig 10jaehrige Maedchen
Muetter sind. Er meint zwar, dass diese fruehzeitigen Heirathen der
Bevoelkerung nichts schadeten: jedenfalls aber haengt das fruehzeitige
Verbluehen der Weiber (Waitz b, 99; Tschudi 2, 298; Schoinburgk sagt in
Beziehung auf Guyana dasselbe) mit dieser Fruehreife zusammen. Doch gibt
es Staemme in Nordamerika, wo die Geschlechtsreife viel spaeter eintritt
(Waitz 1, 125) Thunberg sah bei den Hottentotten hinwiederum Maedchen von
11-12 Jahren, welche schon Kinder hatten (25-26[C]).

Zu dieser fruehen Entwickelung kommt nun ein sehr langes Saeugen. Wie in
Neuholland die Weiber--und in Polynesien ist es ebenso, nach Dieffenbach
a.a.O. und anderen--so saeugen auch die Amerikanerinnen ihre Kinder
oefters bis ins 12. Jahr und dies Saeugen wird, wenn die Mutter
mittlerweile durch ein 2. Kind beansprucht wird, von der Grossmutter
fortgesetzt! Die Indianerinnen behaupten, im Besitz eines Mittels zu
sein, welches ihnen laenger und unerschoepflicher die Milch erhalte
(Schomburgk 2, 239. 315).

Muss eine solche Lebensart, welche auch bei den Hottentotten um nichts
besser und nur in Nebendingen anders ist, die Weiber fruehzeitig welken
lassen und dahinraffen, so ist die Lebensweise der Maenner vielfach auch
vollkommen aufreibend durch das Uebermass von Anstrengungen, was sie mit
sich bringt. Man denke auch nur, was es heissen will, Tag fuer Tag, bei
oft ganz ungenuegender oder durch ihre zu reichliche Fuelle schaedlicher
Nahrung, fortwaehrend umherzuziehen, ueber endlose Strecken dem Wild nach,
in den Anstrengungen der Jagd oder des Krieges und dabei allen Unbilden
des Klimas, des Wetters ausgesetzt! Daher finden wir nirgends in
Neuholland oder dem Feuerland oder unter den Wanderstaemmen Amerikas ein
so hohes Alter unter den Einzelnen als es Chamisso auf den Ratakinseln
und San Vitores (nach le Gobien 47) auf den Marianen fand, wo 100jaehrige
Greise nicht selten waren, waehrend Grey schon 70 Jahre als hohes Alter
unter den Neuhollaendern betrachtet (2, 247-248), aber gleich hinzusetzt,
dass bei der grossen Sterblichkeit der Kinder, die mittlere Lebensdauer
bei ihnen viel geringer als in Europa ist. Nach Azara freilich erreichen
die brasilianischen Staemme ein sehr hohes Alter: er will unter den
Payaguas mehrere Maenner gesehen haben, die zum wenigsten 120 Jahre alt
waren (270; vgl. 173). Die Polynesier, ueberhaupt die Bewohner kleiner
und meist genuegend fruchtbarer Inseln, so bedenklich ein solcher Wohnort
nach anderen Seiten sein mag, sind in dieser Beziehung besser gestellt,
da schon die Oertlichkeit ihrer Heimath solche uebermaessige Anstrengung
verhuetet; die langen und duennen Gliedmaassen, die vorhaengenden Baeuche,
die verkommene Gestalt aber der Neuhollaender ist zweifelsohne nicht
Racencharakter (an einem anderen Ort gedenke ich den Nachweis zu fuehren,
dass die letzteren gleichfalls ein Zweig des malaiopolynesischen Stammes
sind), sondern durch die muehselige Lebensart, das ewige Wandern, die
Unregelmaessigkeit der Nahrung hervorgebracht. Und natuerlich steigert
sich alle diese Noth durch die Ausbreitung der Europaeer, durch welche
die Jagdthiere der Naturvoelker sehr rasch zusammenschmelzen; ja sie
steigert sich durch sich selbst und ihre eigene lange Dauer, da die
Thiere, stets verfolgt, dadurch immer scheuer, die Jagd immer
schwieriger wird, wie von Tschudi 2, 279 von Suedamerika bezeugt. Auch
werde, um nichts zu uebergehen, wenigstens beilaeufig an das erinnert, was
Tschudi eb. 290 sagt, dass mangelnde Jagdbeute die Voelker noethigt, ihre
Jagdzuege weiter auszudehnen und das Gebiet anderer Horden zu verletzen;
dass diese ihr Gebiet vertheidigen und sich so oft sehr bedeutende
Kaempfe um die Existenz entwickeln. Auf beschraenktem Terrain war
Ausrottung der Jagdthiere bisweilen nothwendige Folge auch der
vorsichtigsten Jagd; so in Neuseeland, wo die grossen Jagdvoegel, die
Moas (Dinornis, Apteryx), nach und nach ausgerottet sind von den
Eingeborenen selbst, die ersteren ganz, die letzteren wenigstens zum
groessten Theil, und zwar ohne Schuld der Maoris: die Voegel vermehrten
sich langsam und wurden bei ihrer Unbehuelflichkeit und dem nicht sehr
guenstigen Terrain leicht die Beute der Jaeger. So starben sie aus, ohne
dass man jenen ein blindes Wuethen gegen die Jagdthiere vorwerfen duerfte.

Betraf dies nun ihre Lebensart im Allgemeinen, so muessen wir nun noch
von einzelnen Punkten speziell reden. Zunaechst die Nahrung, in deren
Auswahl und Aufbewahrung fast alle Naturvoelker wenig Sorgfalt zeigen.
Sie duerfen auch, da die Natur von selbst, auch in den Tropen, nicht zu
jeder Zeit und nicht allzubereitwillig das Noethige bildet, nicht allzu
waehlerisch sein. So essen denn z.B. die Botokuden eigentlich Alles,
ausser geniessbaren Thieren auch Fuechse, Aasgeier, Maeuse, Schlangen,
Eidechsen, Kroeten, Fledermaeuse, Insektenlarven, Wuermer, ungeputzte
Eingeweide (Tschudi 2, 279. 298) und dergl. In Guyana graben die Kinder
18 Zoll lange Skolopender aus der Erde und--fressen sie lebendig (Voigt
Zoologie V, 420 nach Humboldt). Das Erdeessen der Otomaken haelt
Humboldt, der es b 6, 102 ff. mit Herbeiziehung alles Analogen bei
anderen Voelkern bespricht, zwar nicht fuer schaedlich, nuetzlich aber ist
es auch nicht, sondern nur hungervertreibend. Auch in Australien (Grey
2, 263-264) findet es sich; doch wird hier die Erde mit einer geriebenen
Wurzel gemischt.

In Australien ist zwar nach Grey 2, 259-261 der Nahrungsmangel nicht so
gross, als man gewoehnlich annimmt und vieles was uns nur aus aeusserstem
Elend gewaehlt scheint, ist ihnen eine willkommene Leckerei; indess sagt
Grey doch selbst, 261 ff., dass jede Gegend des Continents ihre
besondere Nahrung habe, die man aber erst kennen und aufsuchen muesse.
Und das scheint keine leichte Sache, wenigstens war er selbst, obwohl
von einem nicht unbefaehigten Eingeborenen begleitet, auf seinem
unfreiwilligen Zug die Westkueste des Kontinentes entlang in der
aeussersten Lebensgefahr durch Hunger. Ein fauler Walfisch ist den
Neuhollaendern, waehrend sie sonst sehr ekel gegen angegangenes Fleisch
sind, groesster Genuss und je stinkender die Speise, desto willkommener
wird sie, wie auch die Thakallis, ein Stamm der Athapasken in
Nordamerika, faules Fleisch vorzueglich gern essen (Waitz b, 90). Und wie
nun diese Voelker essen! "Die Botokuden geniessen die meisten
Nahrungsmittel, besonders das Fleisch in halbgarem Zustande. Es wird
ueber das Feuer gehalten, bis die aeussersten Schichten etwas angebrannt
sind und dann verzehrt. Die Gefraessigkeit dieser Indianer ist fast
sprichwoertlich geworden.----Wenn ein gluecklicher Jagdzug reichliche
Beute gewaehrt, so wird sie gierig verzehrt und da das Fleisch rasch in
Faeulniss uebergeht, um ja nichts zu verlieren, der Magen so lange
vollgestopft, als eine physische Moeglichkeit dazu vorhanden ist. Dann
folgt eine lange behaebige Verdauungsruhe und dieser oft wochenlang
aeusserst spaerliche Mahlzeiten. Voelker und Individuen, die
ausschliesslich auf Fleischnahrung angewiesen sind, haben eine rasche
Verdauung und es aeussert sich bei ihnen Heisshunger viel heftiger als
bei jenen, die an eine vegetabilische oder gemischte Nahrung gewoehnt
sind. Sie koennen sich aber auch mit einer sehr geringen Quantitaet ihrer
gewohnten Fleischnahrung lange kraeftig erhalten, leiden dabei aber stets
an Hunger. Bei jeder sich darbietenden Gelegenheit suchen die Botokuden
ihren steten Hunger durch uebermenschliches Fressen zu stillen und
verschlingen mit der Gier eines Raubthieres die ekelhaftesten
Gegenstaende ohne Wahl mit gleichem Heisshunger". Was Tschudi (2,
278-279) uns so von den Botokuden erzaehlt, das kann mit denselben Worten
von allen Naturvoelkern Amerikas, von den Feuerlaendern bis zu den
Eskimos, das kann von den Hottentotten, von denen es allwaerts bekannt
ist (von den Buschmaennern bezeugt es z.B. Lichtenstein 2, 355), und
trotz ihrer mehr gemischten Nahrung von den Neuhollaendern, den meisten
Melanesiern, und auch, obwohl bei diesen meist die vegetabilische
Nahrung vorwiegt, von vielen Polynesiern gesagt werden, von den roheren
gewiss, doch zu Zeiten auch von den cultivirteren, wenigstens
uebersteigt die Masse der bei Festlichkeiten verschlungenen Lebensmittel
alle europaeischen Begriffe bei weitem. Ja es kam vor, dass man bei
grossen Vorraethen, wie einst die hochcivilisirten Roemer, Brechmittel
nahm, um mit frischen Kraeften weiter essen zu koennen (Waitz 3, 82, vom
suedl. Nordamerika). Zwiefach gefaehrlich ist eine solche Lebensart,
einmal, weil sie dem menschlichen Organismus gewiss nicht entsprechend
und also schaedlich ist; und zweitens weil sie, da man alles was die
Gegenwart bietet aufzehrt und in sich stopft, Vorraethe zu sammeln aber
etwas ganz Ungewohntes ist, fuer die Zukunft, fuer welche Naturvoelker nur
in den seltensten Faellen und auch dann meist sehr unvollkommen sorgen,
die bedenklichsten Folgen hat. Hungersnoth entsteht in Polynesien nicht
selten durch gaenzliches Aufzehren aller Lebensmittel bei Festlichkeiten,
obwohl doch die meisten Voelker hier Vorraethe sammeln. Uebrigens thun
dies auch manche Indianerstaemme (Waitz b, 91). Man sollte denken, gerade
die Naturvoelker, durch Noth und Erfahrung belehrt, muessten am ersten fuer
die Zukunft Sorge zu tragen gelernt haben, allein Waitz, der daran
erinnert, dass "auch unter den civilisirten Voelkern die Individuen und
die ganzen Classen der Gesellschaft sich um die Zukunft wenig oder gar
nicht kuemmern, denen zur Arbeit jedes andere Motiv fehlt, ausser der
Sorge fuer ihren eigenen Lebensunterhalt", hat sehr richtig b, 84 u. 91
die psychologischen Gruende entwickelt, warum die kulturlosen Voelker nur
der Gegenwart leben. Die Hauptsache ist, dass sie allzusehr unter der
Herrschaft der sinnlichen Nerveneindruecke stehen: die Vorstellung,
welche sie gerade gegenwaertig haben, verdraengt alle anderen aus ihrem
Bewusstsein, und ist, nach Noth und Entbehrung, die Gegenwart wieder
gut, so kommt dazu der physische Genuss dieses Wohllebens, dieser Ruhe,
der die augenblicklichen Vorstellungen mit um so groesserer Macht zu
alleinherrschenden macht (Waitz 1, 351).

Aber nicht bloss sorglos sind sie um die Zukunft: wie oft zerstoeren sie
sich man kann fast sagen die Lebensbedingungen fuer dieselbe selbst, so
namentlich auf der Jagd. "Der Jaeger, sagt Waitz 1, 350, geraeth,
besonders massenhafter Beute gegenueber, wie der Soldat im heissen
Kampfe, in eine grenzenlose Wuth, er mordet mit Lust und verwuestet das
Wild meist in voellig nutzloser Weise, verzehrt davon das Beste und oft
dieses kaum, wenn es im Ueberfluss sich darbietet. Daher brauchen
Jaegervoelker ein ganz unverhaeltnissmaessig grosses Areal und gerathen
trotzdem oft in Noth, weil ihnen Schonung der Jagdthiere ebenso fremd
ist, als sparsames Haushalten mit Vorraethen ueberhaupt. Der hundertste
Theil des von den Zulus erlegten Wildes, bemerkt Delagorgue, wuerde zu
seinem und seiner Begleiter Unterhalt mehr als hinreichend gewesen
sein." Die Buschmaenner zerstoeren haeufig groessere Jagdbeute aus Missgunst
und Bosheit: "was sie selbst im Ueberfluss nicht gebrauchen koennen,
soll wenigstens keinem anderen zu Gute kommen", sagt Lichtenstein 2, 565
von ihnen. Aehnlich berichtet Hearne 120 von den noerdlichsten Staemmen
Nordamerikas, die das Wild schliesslich der Zungen, des Markes, des
Fettes wegen, aller Gegenvorstellungen zum Trotz, erlegten, die an
keinem Nest mit Jungen oder Eiern voruebergehen konnten, ohne es zu
zerstoeren. Waitz 3, 81 sieht darin nur die Sitte eines gaenzlich rohen
Stammes und sagt, dass, wo diese und aehnliche Sitten jetzt eingerissen
seien, es in Folge moralischer Gesunkenheit geschehen sei, da sonst
Sparsamkeit der Charakter der meisten Indianer gewesen sei. Mag
letzterer Zug ganz richtig sein: die Leidenschaft der Jagd aber, welche
kein Thier schont, findet sich in Amerika nicht nur bei verkommenen
Voelkern. Sie herrscht in Canada (Waitz 3, 85) und gewiss sonst noch aus
der aberglaeubischen Ansicht, dass die fliehenden Thiere die anderen
warnen und verscheuchen wuerden. Von Suedamerika berichtet Azara 193
Gleiches. Dasselbe gilt von den Neuhollaendern.

Und nicht genug, dass sie sich auf diese Weise die Nahrung selbst
zerstoeren: sie verbieten sich auch eine Menge Speisen, oft gerade die
besten, durch religioesen Glauben. Zunaechst sind die Frauen fast ueberall
in Amerika, Polynesien und Australien, in Neuholland auch die Juenglinge
und Knaben (Grey 2, 248), von den besten Nahrungsmitteln, die nur den
erwachsenen, oft nur den greisen Maennern erlaubt sind, ausgeschlossen.
Dann aber gehoert das Totem der Indianer hierher, von dem Waitz 3, 119
sagt: "Der politische Verband des Volkes beruhte in alter Zeit sehr
allgemein auf einer Eintheilung in Banden oder Geschlechter, deren jedes
durch ein Thier oder einen Koerpertheil, eines Thieres als Marke
bezeichnet war, z.B. Baer, Bueffel, Fischotter, Falke und dergl. Nur ein
Fisch oder ein Theil eines Fisches konnte diese Marke nicht sein." Der
Name dieser Marke, Totem, kommt von den Algonkin. Wahrscheinlich
(ebend.) hatte das Totem urspruenglich eine religioese Bedeutung: das
Thier des Totem war der Schutzgeist der nach ihm benannten Familie,
wurde von dieser heilig gehalten und _durfte von ihr nicht gejagt_
werden. Und ebenso verhielt es sich gewiss mit "der Medicin", die jeder
Amerikaner hatte, d.h. dem Totem des Einzelnen. Denn zur Zeit der
beginnenden Mannbarkeit erscheint jedem einzelnen sein Schutzgeist in
Gestalt eines Thieres, das dann gejagt und dessen Balg stets von dem
Betreffenden getragen werden muss. Der Verlust der Medicin wuerde ihm
tiefste Verachtung und bestaendiges Unglueck zuziehen (Waitz 3, 118-119).
Urspruenglich durfte gewiss kein Indianer das Thier, das ihm "Medicin"
Schutzgeist war, verzehren. Die meisten Voelker (auch die Aleuten)
stammten von solchen Thieren ab (Waitz 3, 119. 191) und auch diese waren
ihnen gewiss urspruenglich heilig, wenn sich auch spaeter diese Verehrung
in etwas abschwaechte. Diese auffallende Sitte, die genauer betrachtet
gewiss mancherlei merkwuerdige Resultate gaebe[D], findet sich ganz
uebereinstimmend bei den Neuhollaendern, worueber man Grey 2, 225-229
vergleiche. Jede Familie, oder besser, jeder Stamm, denn die Familien
sind ausgedehnt wie Staemme, hat ihr "kobong" Pflanze oder Thier, das ihr
heilig ist, ihr den Namen gibt u.s.w. Wie in Amerika Leute von gleichen
Totem, so durften in Neuholland Leute desselben Kobongs einander nicht
heirathen. Kein Neuhollaender toedtet sein Kobong, wenn er es schlafend
findet, auch nie, ohne ihm vorher Gelegenheit zur Flucht zu geben; war
es eine Pflanze, so durfte es der Betreffende nur zu bestimmten
Jahreszeiten und unter ganz bestimmten Ceremonien einaernten und
benutzen[E]. Hierin sehen wir eine Folge der Noth; denn urspruenglich
durfte das Kobong wohl ebenso wenig gegessen werden, wie das
amerikanische Totem. Dafuer spricht auch die Form, in welcher sich die
Sitte in Polynesien erhalten hat. Denn in Polynesien gilt es noch jetzt
an verschiedenen Orten als strenges Gesetz, dass Einzelne einzelne
Thiere, in welchen ihr Schutzgeist oder der Geist ihrer Ahnen verborgen
ist, weder toedten noch essen duerfen. So in Mikronesien z.B. auf Ponapi
(O'Connel bei Hale 84), auf Tikopia (Gaimard bei D'Urville V, 305-307),
auf den Fidschiinseln (Wilkes 3, 214), wohin die Sitte entweder von
Polynesien gekommen ist oder sich als malaiisches Ureigenthum, wie wir
sie auch in Neuholland finden, erhalten hat; so in Hawaii (Remy 165), in
Tahiti (Moerenhout 1, 451-57). Wir finden auf allen diesen Inseln jetzt
Gedanken an Seelenwanderung eingemischt; allein man muss bedenken, dass
der Glaube an die behuetende Macht der Seelen der Vorfahren, also an den
Uebergang der abgeschiedenen Seelen in Schutzgeister der Lebenden in
Polynesien spaeter vielfach aufgekommen ist.

Auch anderer Aberglaube als dieser entzog bisweilen den Naturvoelkern die
Nahrung, wie z.B. Grey 1, 363-364 erzaehlt, dass, weil einige Eingeborene
beim Muschelessen gestorben waren, die Neuhollaender, die ihn
begleiteten, aus Furcht vor Zauberei nicht dahin zu bringen waren,
selbst durch den aeussersten Hunger nicht, dass sie Muscheln assen; und
Derartiges liesse sich, wenn es fuer unsern Zweck nicht zu weit fuehrte,
noch mancherlei sammeln.

Dass nun die engen dumpfigen Wohnungen vieler dieser Voelker (es bedarf
hierzu keiner Belegstellen), worin oft sehr viel Menschen
zusammengepfercht wohnen und schlafen und die oft von Schmutz und
Ungeziefer starren, ungesund sind, versteht sich von selbst. Andere
Staemme (Feuerlaender, Australier u.s.w.) haben in ihren Wohnungen fast
gar keinen Schutz vor dem Wetter; die Buschmaenner (Waitz 2, 344) haben
zu ihren stets wechselnden Schlafstaetten Erdloecher, die sie mit
Baumzweigen ueberdecken, Felsspalten und Buesche. Auch auf die meist sehr
mangelhafte Bekleidung dieser Voelker braucht hier bloss hingewiesen zu
werden. Alles dies, die Art wie sie sich naehren zumeist, ist zwar
schaedlich und bewirkt es, dass nirgend die Naturvoelker sehr hohe
Kopfzahlen aufzuweisen haben; aber alles dies ist auch wiederum nicht
von solchem Einfluss, dass es das Aussterben dieser Voelker allein schon
erklaerte; wir duerfen es nur als sekundaere Ursachen dafuer betrachten, als
solche aber duerfen wir es auch durchaus nicht uebergehen oder
unterschaetzen. Waere dies ihr Leben dem menschlichen Organismus
zutraeglicher, so wuerden sie auch manches feindliche Schicksal, welchem
sie so erliegen oder erlegen sind, ueberwunden haben.




Sec. 6. Charakter der Naturvoelker.


Aber nicht bloss diese Fahrlaessigkeit in Bezug auf ihr aeusseres Leben
schadet den Naturvoelkern: ihr ganzer Charakter, wie er sich im Laufe der
Jahrtausende entwickelt hat, steht einem kraeftigen Gedeihen im Wege und
so muessen wir auch diesen, wenigstens nach einigen Seiten hin,
betrachten. Zunaechst ist unter ihren geistigen Eigenschaften ihre
furchtbare Traegheit hervorzuheben, welche z.B. in Mikronesien so weit
geht, dass man viel zu indolent ist gegen eine fuerchterliche Form des
Aussatzes, welche in ihrem Anfang noch heilbar und leicht heilbar in
ihrer Entwickelung ebenso qualvoll als absolut toedtlich wird, auch nur
das Mindeste zu thun: man sieht dem ersten Anfange, der noch nicht
belaestigt, mit groesster Seelenruhe zu, bis jede Huelfe zu spaet ist
(Virgin 2, 103). Diese Faulheit, welche Waitz 1, 350; b, 84, 90 und
sonst zur Genuege geschildert hat, ist denn auch ein Grund, weshalb
Naturvoelker so selten Vorraethe sammeln, ja verhindert sie oft nur
auszugehen, um Nahrung zu suchen, wie Grey 2, 262-63 von den
Neuhollaendern sagt; namentlich im Sommer bei Hitze und im Winter bei
Kaelte und Naesse leiden sie Hunger, die Folge ihrer Traegheit. Beispiele
von den Hottentotten zu geben waere ueberfluessig. Diese Traegheit schadet
ihnen aber noch auf ganz andere Weise. Denn wie Fleiss, Interesse und
geistige Anspannung auch koerperlich anregen und groessere Kraft und dem
ganzen Organismus auch leiblich erhoehteres Leben verleihen, so schwaecht
umgekehrt fortgesetzte Schlaffheit und geistige Traegheit, wie sie die
Naturvoelker in so hohem Grade ausser wenn sie Noth treibt bekunden, auch
die leibliche Kraft und die Funktionen des Koerpers scheinen darunter zu
leiden. Wenn nun dieser Zustand durch leibliche und geistige Vererbung
(auch der Einfluss geistiger Vererbung ist von groesster Bedeutung und
wohl noch nicht ueberall hinlaenglich gewuerdigt) sich immer mehr
befestigt, so muss er auf das Gedeihen der Naturvoelker einen immer
gefaehrlicheren Einfluss haben. Allerdings ist das Ineinandergreifen des
leiblichen und geistigen Lebens ein schwieriger und dunkler Punkt, auf
den aber gerade deshalb ganz besonders aufmerksam gemacht werden muss.

So entwickelt sich denn aus dieser Traegheit des aeusseren auch eine
Starrheit und Unbeweglichkeit des geistigen Lebens, die gleichfalls von
den schlimmsten Folgen fuer diese Voelker ist, schon dadurch, dass jeder
gute Einfluss der Europaeer auf sie, jeder Versuch, sie zur Kultur
emporzuheben, ausserordentlich erschwert wird. Dadurch abgeschreckt
haben auch vorurtheilsfreie Maenner, wie Meinicke, behauptet, sie seien
zu jeder Kultur unfaehig, und doch ist, wie Erfahrungen bei allen
Naturvoelkern bewiesen haben, nichts falscher, als diese Behauptung. Da
nun diese Starrheit mit jeder Generation nach und nach zunimmt, so
wirken auch historische Schicksale, Wanderungen und dergl. unendlich
viel schwerer auf diese Voelker, als sie vor so vielen Jahrtausenden auf
die Indogermanen, die Semiten, als sie auch auf die gebildeteren
Polynesier und Amerikaner wirkten. Daher versinken sie immer mehr und
mehr in Roheit und Stumpfheit, und es ist nicht uebertrieben, zu
behaupten, dass, auch wenn sie allein auf der Welt waeren, ohne jeglichen
feindseligen Einfluss von aussen her, sie dennoch, wie jetzt ihre
Entwickelung oder wohl besser ihre Verhaertung ist, nach und nach
langsam vergehen und erloeschen wuerden. Denn nichts ist der menschlichen
Natur, die so sehr auf Wechselbeziehung zwischen Leib und Seele
gegruendet ist, schaedlicher, als eine solche Unthaetigkeit beider.

Ein dritter Zug ihres Charakters, der uns hier naeher angeht, ist eine
gewisse Melancholie, die sich, wie bekannt, zumeist bei den Amerikanern
findet. Doch auch die scheinbar so froehlichen Polynesier, wenn man
gleich ihr Temperament nicht wie das der Amerikaner melancholisch nennen
kann, zeigen manches Entsprechende. So resigniren sich die Tahitier ueber
ihr Aussterben durch den oft wiederholten Ausspruch, den wohl Ellis (1,
103-104) zuerst mittheilte: der Hibiskus soll wachsen, die Koralle sich
ausbreiten, der Mensch aber dahinsterben; und "es war melancholisch,
sagt Darwin (2, 213), die schoenen energischen Eingeborenen Neuseelands
sagen zu hoeren, sie wuessten, dass das Land nicht das Eigenthum ihrer
Kinder bleiben wuerde." Fuer Kamtschatka ist wichtig, was v. Kittlitz ueber
das Klima dieses Landes sagt, das bald (oder Einzelne) zur tiefsten
Melancholie stimme, bald (oder Andere) zur hoechsten excentrischsten
Freude aufrege. Die Schilderungen der Aleuten bei Kotzebue, Chamisso,
Langsdorff u.a. enthalten ganz aehnliche Zuege von Niedergeschlagenheit,
die allerdings hier mit grossem Phlegma gepaart scheint.

Es ist klar, dass diese Melancholie mit jener schon besprochenen
Traegheit zusammenhaengt; denn diese raubt dem Geist der Naturvoelker, der
nach aller Naturvoelker Art ganz und gar vom jedesmaligen sinnlichen
Eindruck und meist nur von solchen abhaengig ist, die besonnene und feste
Willens- und Widerstandskraft immer mehr. So wie nun aber jeder
Willensakt eine rein physische Nerventhaetigkeit voraussetzt, so wird
auch fortgesetztes Nichtwollen zum bleibenden Nervenhabitus, zum nicht
Wollenkoennen und dadurch vom uebelsten Einfluss auf die Seele, der, wenn
dieser letzteren Leiden entgegentreten, um so groesser und vernichtender
wird.

Das zeigt sich nun schon bei den Naturvoelkern im Leben der Individuen.
Wir sahen, dass Krankheiten ueberall als Bezauberung oder Einwirkung von
Daemonen gelten; viele aber, die von Krankheiten befallen sind, sterben
aus keinem andern Grund, als aus Melancholie ueber die vermeintliche
Bezauberung. Beispiele fuer Neuseeland gibt Dieffenbach 2, 16, Browne 75;
fuer Tahiti Ellis 1, 364, 367-68; fuer Neuholland, wo eine namenlose Angst
vor Bezauberung herrscht, Grey 1, 363-64. 2, 336-40; fuer Nordamerika, wo
der Tod aus aberglaeubischer Furcht gar nicht selten ist, Waitz 3, 213:
und nach allem Gesagten werden wir in den Laendern, wo Krankheit durch
Zauberei entsteht oder als Folge von Suenden gilt, wie z.B. in
Kamtschatka, wo Krankheit und Tod erfolgen, wenn man Kohle mit dem
Messer spiesst oder Schnee mit dem Messer von den Schuhen schabt (Waitz
1, 324), in allen diesen Laendern, also bei allen Naturvoelkern werden wir
auch ein solches Hinsterben Einzelner aus Angst und Aberglauben finden.




Sec. 7. Ausschweifungen der Naturvoelker.


Die gaenzliche Abhaengigkeit der Naturvoelker von sinnlichen Eindruecken hat
auch noch eine andere sehr gefaehrliche Folge fuer sie, durch welche
einzelne Staemme ernstlich bedroht worden sind: wir meinen die
Ausschweifungen, denen viele von ihnen verfallen sind, im Trunk und vor
allen in geschlechtlicher Beziehung.

Zwar von den gebildeten Voelkern Amerikas, den Mexikanern und ihren
Verwandten sowie den Peruanern, kann man nicht behaupten, dass sie nach
dieser Seite hin Vorwuerfe verdienten; freilich kamen bei ihnen
Ausschweifungen und grobe, ja unnatuerliche Laster vor, freilich gab es
bei ihnen oeffentliche Dirnen, aber alles das war keineswegs ausgebreitet
und durchaus verachtet, so dass wir sie in dieser Beziehung viel hoeher
stellen muessen, als die heutigen Kulturstaaten Europas. Die Schilderung
freilich, welche wir bei Poeppig 375 finden, oder was uns der beruechtigte
Ortiz, ein Moench zur Zeit der Entdeckung, erzaehlt, enthaelt des
Scheusslichsten auch nach dieser Seite viel; Ortiz Darstellung sollte
aber nur die Behandlung, welche das Land durch die Conquistadoren
erfuhr, rechtfertigen und so haeufte sie alle Laster auf die Indianer.
Poeppigs Nachrichten beruhen auf aehnlichen Quellen, die gleichfalls ganz
unzuverlaessig und meist unwahr sind. Wenn z.B. Gomara (bei Poeppig)
berichtet, dass Balboa 50 Paederasten in Quarequa in Darien und ebenso
(Waitz 4, 350) den Herrn dieses Landes um desselben Lasters willen von
Hunden zerreissen und dann verbrennen liess, so ist es ganz klar, dass
hier die Anklage nur erfunden wurde, um die scheussliche Grausamkeit
Balboas zu bemaenteln, der selbst sagt, das Laster sei nur von den
Vornehmen veruebt, vom Volke verabscheut. Denn dass spanische Soldaten,
unter welchen es gleichfalls vorkam (Waitz 3, 383), jemals dafuer und gar
so fuerchterlich gestraft waeren, davon wird nichts erwaehnt. Waitz im 4.
Bande der Anthropologie hat nun ganz klar und deutlich bewiesen, dass
solche Ausschweifungen nur einzeln und selten bei diesen Voelkern sich
fanden, wofuer die strengen Strafen, welche bei ihnen allen auf solchen
Lastern oder auf sonstiger Unzucht standen, sprechen; vergl. Waitz 4,
85. 88. 131. 307. 350. 367 u. sonst. Ebenso wenig waren solche Laster,
wie Poeppig a.a.O. will, "Volkslaster" in Peru; freilich haben die
Conquistadoren auch hier das aergste zu erzaehlen gewusst und mussten,
nach ihren Berichten, die grausamsten Strafen gegen die Luestlinge
anwenden; wenn man aber liest (Waitz 4, 478), wie der gefangene Inka
Manko Capak, Atahualpas Bruder, die Spanier flehentlich bat, dass man
ihn doch wenigstens nicht zum Feuertod verurtheilen oder den Hunden
vorwerfen, sondern nur aufhaengen moege, so wirft das auf jene Strafen ein
ganz eigenthuemliches Licht. Auch beweisen die Zeugnisse bei Waitz 4,
417, dass auch in Peru solche Laster, Ehebruch oder gar Paederastie,
durchaus nicht verbreitet waren, sondern nur vereinzelt vorkamen, wofuer
wiederum die strengen Strafen, welche die einheimischen Landesgesetze
gegen derartiges verhaengten, sprechen.

In Nordamerika war, wie bei den eben besprochenen Voelkern, Polygamie
erlaubt, keineswegs aber sehr ausgedehnt (Waitz 3, 109). Weibertausch
kommt vor, als Freundschaftszeichen unter Familien (Hearne 128), ebenso
auch Prostitution aus Gastfreundschaft. Keuschheit der Maedchen war
ueberhaupt etwas, auf das man bei vielen Voelkern und namentlich bei den
roheren, keinen Werth setzte (Waitz 3, 111). Schlimmere Dinge und
namentlich Blutschande erwaehnt als gewoehnlich bei den Athapasken Hearne
128, der auch sonst den Anwohnerinnen der Hudsonsbai arge
Ausschweifungen Schuld gibt (126-27). Unnatuerliche Laster werden
vielfach bei den Voelkern Nordamerikas erwaehnt und Maenner in
Weiberkleidern finden sich freilich an vielen Orten, so bei den
Illinois, in Florida, bei den Mandans, den Osagen, den Kansas u.s.w.
(Waitz 3, 113); auch bei den Bewohnern Nutkas wird Aehnliches erwaehnt
(eb. 133), obgleich sie sowohl wie die Koluschen im ganzen keusch leben,
anders wie die Chinook (am Columbia), bei denen Prostitution und
sinnliche Ausschweifungen verbreitet waren (eb. 337). Strenger sind die
Voelker vom Oregongebiete. Uebrigens ist das nicht immer ein Zeichen von
unnatuerlichen Lastern, wenn Maenner Weiberkleider tragen; denn einmal
scheint manche aberglaeubische Vorstellung (eb. 113) damit verbunden zu
sein, in anderen Faellen war es wenigstens eine symbolische, wie z.B. die
Delawares von den Irokesen "zu Weibern gemacht", d.h., gezwungen wurden,
als sie gaenzlich besiegt waren, den Weiberrock anzuziehen (Waitz 3, 23.
b, 158) und auch bei den Chibchas in Neu-Granada Feiglinge mit einem
Weiberrock bekleidet wurden (4, 361). Bei den Illinois standen die so
gekleideten Maenner in besonderem Ansehen (3, 113) und ganz aehnlich war
es bei den noerdlichen Patagoniern (3, 506), wo die Zauberpriester, deren
einen jede Familie hatte, Weiberkleider trugen. Auch was Combes (Hist.
de las islas de Mindanao Madrid 1667 p. 55) erzaehlt, dass es bei den
Subanos auf Mindanao Maenner gaebe, welche unverheirathet blieben,
Weiberkleider truegen, aber geehrt waeren und keusch lebten, zugleich aber
auch physisch ein weibliches Aussehen haetten, werde hier als merkwuerdige
Parallele erwaehnt.

Den Cariben in Suedamerika wird von den aelteren spanischen
Schriftstellern gleichfalls der Vorwurf unnatuerlicher Lasterhaftigkeit
gemacht, doch hat Waitz 3, 383 Recht, wenn er auch diesen Vorwurf fuer
unrichtig haelt, "denn auf ihn pflegte hauptsaechlich der Anspruch
gegruendet zu werden, die Eingeborenen zu rechtmaessigen Sklaven zu
machen". Andere Schriftsteller laeugnen auch, dass hier solche Laster
vorgekommen seien; doch fanden sich Maenner in Weiberkleidern auch hier
(Oviedo bei Waitz 3, 383). Auch die Tupis in Brasilien lebten streng (3,
423); ebenso die Araukaner (3, 516). Hiermit stimmen auch alle
Nachrichten bei Azara; nur dass er den Weibern der Mbayas, bei denen
Polygamie erlaubt ist, mancherlei Ausschweifungen vorwirft (249-50).

Es ist nicht noethig, dies bei den Amerikanern weiter zu verfolgen; fuer
uns genuegt das Ergebniss, dass zwar mancherlei Ausschweifungen
namentlich in Nordamerika unter ihnen sich vorfanden, dass diese aber
keineswegs allgemein und bedeutend genug waren, um aus ihnen die
Verminderung der Kopfzahl dieser Voelker zu erklaeren. Dass aber, seit der
Bekanntschaft mit den Europaeern diese Ausschweifungen sehr zugenommen
haben, ist eine traurige Wahrheit.

Dem Trunk war man in Mittel- und Nordamerika nicht ergeben und ist es
verhaeltnissmaessig auch jetzt noch nicht. Allerdings kannte man in Mexiko
mehrere geistige Getraenke (Waitz 4, 98), von denen das eine, Pulque,
Agavesaft, den man durch Ausschneiden des Herzens der Pflanze, wenn sie
den maechtigen Schaft treiben will, gewinnt und gaehren laesst, auch von
Europaeern (Humboldt a 3, 99) mit wahrer Leidenschaft getrunken wird;
allein die Mexikaner waren maessig, wie schon aus ihren Gesetzen
hervorgeht. Der Trunk wurde darin so streng geahndet, dass irgend welche
Verbreitung desselben ganz unmoeglich war (Waitz 4, 83-84). Auch in
Californien war er selten (eb. 240. 242). Die Eingeborenen von
Nikaragua, von welchen auch verschiedene geschlechtliche Ausschweifungen
berichtet werden, sollen nach Oviedo auch dem Trunke ergeben gewesen
sein; allein allzu sicher sind diese Nachrichten nicht (Waitz 4, 279).
Auch die Peruaner, obwohl sie verschiedene geistige Getraenke hatten,
waren dem Trunke nicht ergeben (4, 429), so wie sie auch dem Genuss der
Coka, die im ganzen Land gebaut wurde, nicht uebermaessig froehnten; dem
Volk war sie ganz verboten (422). Obwohl nun die Eroberung des Landes
die Sitten vielfach verschlechterte, so sind doch auch jetzt noch weder
die Peruaner (500) noch die Mexikaner (196) und die ihnen verwandten
Voelker dem Trunk ergeben (227)--wenn es auch Feste gab, z.B. in Yukatan,
bei welchem sich die Weiber berauscht haben sollen (4, 307), oder bei
denen, wie in Nikaragua, allgemeine Zuegellosigkeit herrschte (279). Denn
bei allen solchen Festen waren gewiss, wie bei aehnlichen semitischen und
indogermanischen, religioese Motive wirksam.

Anders war es in Suedamerika, wo Schomburgk 2, 420 die Cariben als
Trunkenbolde schildert; und schon von Alters her hatten sie ausser
andern ein berauschendes Getraenk aus Cassadabrod, welches zerbrochen,
mit heissem Wasser zu einem Teig zerruehrt, dann von alten Weibern
durchgekaut und in einen Trog gespieen wurde, wo es nun gaehren musste
(Schomburgk 1, 173); ganz aehnlich bereiteten die Tupis einen
berauschenden Trank aus Mais oder Hirse, wobei das Getreide gekocht und
von alten Weibern durchgekaut wurde. Sie nannten es Caouin oder Kaveng
und sowohl durch die Bereitungsart als durch den Namen wird man an den
gleich zu erwaehnenden polynesischen Kavatrank erinnert (Waitz 3,
423-24). Gegohrene Getraenke hatten die Araukaner (3, 509), die
Chiquitos, die dem Trunke sehr ergeben waren (eb. 530) und sind (533),
die Moxos (537), welche ihn gleichfalls sehr lieben und andere Voelker
schon vor der Entdeckung. Dass nun durch den Einfluss der Europaeer diese
Neigung nicht vermindert, sondern nur gestiegen ist, begreift sich; und
so wird es uns von den Cariben (Schomburgk 1, 173) von den Warans (eb.
1, 123), den Charuas (Azara 184), den Mbayas (eb. 242) u.s.w. berichtet.

In Nordamerika, bei den Indianern der Vereinigten Staaten, waren vor den
Europaeern keine geistigen Getraenke in Gebrauch, ja Wasser war fast das
einzige Getraenk, was sie genossen, wie Waitz 3, 82 ins Einzelne
ausfuehrt; ebenso war es bei den Koluschen und den Chinooks (3, 84. 337).
Wenn nun der Trunk, der Branntwein in Nordamerika doch so traurige
Folgen gehabt und ganze Staemme dahin gerafft hat, so dass man oft genug
die Behauptung findet, die Indianer seien von Natur dem Trunke ergeben
gewesen; so fordert dies zur genaueren Untersuchung der Sachlage auf,
die sich nach Waitz 3, 83-84 und 270, der die Quellenbeweise beibringt,
so stellt, dass die Indianer sich aufs staerkste gegen den Verkauf von
Branntwein gewehrt und viele Vertraege geschlossen haben, in welchen die
Einfuhr derselben ausdruecklich verboten war, dass aber der Branntwein
dennoch, sogar mit Gewalt, von den europaeischen Nationen den
Eingeborenen aufgezwungen ist, theils um das Produkt abzusetzen, theils
um sie im Trunke zu betruegen, theils auch geradezu, um sie durch den
Trunk zu vernichten. Das ist denn nur allzugut gelungen; denn wenn auch,
trotz der vorherrschenden Sinnlichkeit, die Amerikaner einen hoechst
beachtungswerthen Widerstand diesem Genussmittel entgegensetzten, so
konnte dieser eben bei ihrer Natur kein absoluter sein; oefters zwang sie
der Nahrungsmangel zum Trunk und ein sehr haeufiger Grund, sich dem
Trunke zu ergeben (der auch in Mittelamerika vielfach vorkam) war der,
dass man aus der grenzenlosen Fuelle des Elends ringsher sich wenigstens
einmal wieder durch den Rausch in einen gluecklichen Zustand versetzen
oder dass man sich in der Verzweiflung betaeuben wollte. Uebrigens haben
Voelker und Individuen sich dem Laster des Trunkes auch wieder zu
entreissen vermocht (Waitz b, 43). Eigentlich also gehoerte diese
Betrachtung erst dahin, wo wir vom Einfluss der Weissen auf die
Naturvoelker sprechen werden, indess mag ein solches Vorausnehmen, des
Zusammenhangs wegen und um den einen Gegenstand zu erschoepfen, gleich
hier seine Entschuldigung finden. Tabak hat ebensowenig als Coka
geschadet.

Wenn nun auch die Hottentotten und die Buschmaenner gar keinen Werth auf
die Keuschheit der Maedchen und Weiber legen, so waren sie doch weder in
geschlechtlicher Beziehung noch im Trunk sehr ausschweifend, waehrend wir
bei den Aleuten und Kamtschadalen die Verhaeltnisse wesentlich anders
finden. Dem Trunk waren namentlich die Kamtschadalen ganz
ausserordentlich ergeben (Krusenstern 3, 53) und wie diese Leidenschaft
von den europaeischen Pelzhaendlern zu ihrem Verderben benutzt ist, werden
wir spaeter sehen. Aber auch die Aleuten liebten dies Laster (Waitz 3,
314), wie sie auch sonst sehr ausschweifend lebten. Die Weiber hatten
(nach Wenjaminow in Ermans Archiv bei Waitz 1, 356 Note) zwei Maenner,
einen aus hoeherem Stande und einen Nebenmann aus niederem; dem Gast
stellte der Wirth, um ihn gastfreundlich zu ehren, das eigene Weib zur
Verfuegung. Auch der Paederastie waren sie ergeben (Waitz 3, 314) und die
stumpfsinnige Melancholie, in der sie z.B. Chamisso vorfand, scheint
nicht wenig durch derartige Ausschweifungen veranlasst zu sein. Den
Kamtschadalen schadete gar sehr der grosse Weibermangel, der nach
Krusenstern 3, 44, bei ihnen herrschte und nicht nur die Moralitaet
gaenzlich, sondern auch die Fruchtbarkeit der Ehen zerstoerte. xyxyxyss Die
Neuhollaender, obwohl sie von den Unverheiratheten beider Geschlechter
keine Keuschheit verlangen, obwohl sie an einigen Orten die Weiber ihren
Gastfreunden anbieten und sie mit guten Freunden tauschen (Angas 1, 93),
sind doch so eifersuechtig, dass verheirathete Frauen sehr zurueckhaltend
sein muessen (Grey 1, 256). Polygamie ist bei ihnen haeufig, aber man kann
sie eigentlich nicht ausschweifend nennen. Auch geistige Getraenke hatten
sie nicht. Von den Melanesiern wird nichts auffallend Schlimmes
berichtet, wohl aber von manchen Orten das Gegentheil; so herrschen,
nach Malte Brun in Bullet. de la soc. geogr. 1854, I, 238, auf
Neucaledonien, wenn auch die Weiber ganz sklavisch gehalten werden,
geschlechtliche Ausschweifungen nicht. Polygamie ist allerdings auf den
Inseln Sitte (Turner 86. 371. 424), allein wirklich ausgedehnt nur bei
Haeuptlingen und in selteneren Faellen. Ehebruch kommt, aus Furcht vor
Strafe, kaum vor (Turner 86 in Bez. auf Tanna), allein Keuschheit der
Unverheiratheten ist hier so wenig verlangt als sonst irgendwo bei den
Naturvoelkern. Waehrend nun Erskine 256 von den Fidschis sagt, dass sie
sehr enthaltsam lebten und Ekel vor Ausschweifungen empfaenden, so
behaupten William und Calvert 1, 134, dass sie sehr zuegellos und grobe
Ausschweifungen bei ihnen verbreitet seien. Moeglich, dass Erskine ein zu
guenstiges Urtheil faellte; jedenfalls aber stehen die Fidschiinsulaner
sehr viel hoeher als die Polynesier in dieser Beziehung und moegen wohl
erst durch den fortwaehrenden Verkehr mit den Fremden zu dieser
Zuegellosigkeit gesteigert sein.

Am schlimmsten muessen wir ueber die eigentlichen Polynesier urtheilen,
unter denen Trunk und Wollust schon vor den Europaeern aufs aergste
gehaust haben. Aus der Wurzel vom Piper methysticum, dem Kavapfeffer,
bereitete man, indem sie (an den meisten Orten von alten Weibern) gekaut
und dann ausgespieen wurde, durch Aufguss von Wasser ein eigenthuemliches
Getraenk, dem alle Polynesier sehr zugethan waren. Es berauscht nicht
eigentlich, da es die Besinnung nicht raubt, aber, indem Gang und Zunge
schwer werden, versetzt es den Geist in einen aehnlichen Zustand, wie das
Opium; auch wolluestige Traeume u. dergl. sollen seinem Genuss folgen, der
oft wiederholt allgemeine Schwaeche, Zittern, geistige Stumpfheit,
Abmagerung und schliesslich scheussliche Hautkrankheiten hervorbringt,
Geschwuere, welche aufbrechen und arge Narben zuruecklassen. Aber gerade
diese Narben galten als Ehrenzeichen (Hale 43). Namentlich auf Tahiti
und auf Hawaii war der Kavatrank beliebt; grosse Kavafeste auf Tonga
beschreibt Mariner, auf Fidschi d'Urville b 4, 207 und Hale 63. Dagegen
trank man ihn auf Neuseeland, obwohl man ihn kannte, nicht. Auch in
Mikronesien, wo indess die Wurzel zerrieben, nicht gekaut wurde, war der
Kavatrank sehr beliebt und sehr verbreitet (Hale 83: Gulick 417). Was
jedoch die schaedlichen Einwirkungen dieses in der That hoechst
gefaehrlichen Trankes sehr milderte, war der Umstand, dass er ein
heiliges Getraenk war. Freilich durfte er daher bei keiner irgend wie
bedeutenderen Gelegenheit fehlen; aber nur die Fuersten waren es, die ihn
trinken durften, nie das Volk, und auch die Fuersten nur bei und unter
bestimmten Feierlichkeiten (Hale 43, fuer Mikronesien Novara 1, 371). So
hat denn auch der Schade, den dieser Genuss hervorrief, fast nur die
Fuersten und den Adel getroffen. Gegen den Branntwein (Rum u.s.w.) hatten
alle Polynesier einen grossen Widerwillen (Novara 2, 337 fuer
Mikronesien), und wenn er trotzdem in Tahiti und Hawaii so verderbliche
Wirkungen hervorgerufen hat, so muss man bedenken, wie er zu Tahiti von
den Franzosen, zu Hawaii von diesen sowie den amerikanischen und
europaeischen Kaufleuten unter heftigem Widerstreben der Missionaere und
gegen den Willen der Eingeborenen (vergl. z.B. Lutteroth Geschichte der
Insel Tahiti 172 u. sonst) gewaltsam eingefuehrt ist. Und schlimm genug
waren die Folgen dieser Einfuehrung. "Als die Tahitier von fremden
Seeleuten und Sandwichinsulanern geistige Getraenke von einheimischen
Wurzeln zu destilliren gelernt und Rum in reichlicher Menge von ihnen
empfangen hatten, da verbreitete sich Trunksucht sehr allgemein, und
alle die Demoralisation, die Verbrechen, das Elend, welches ihr folgt,
kam ueber das Volk. Unthaetigkeit wuchs, Streit in den Familien nahm
ueberhand, die Verbrechen der Areois (ueber welche wir sogleich reden)
nahmen zu", sagt Ellis 1, 108 und so wie hier und noch aerger war es zu
Hawaii und an den Kuesten von Neuseeland. Allein die Eingeborenen (vergl.
Ellis u.a.O.) haben sich an vielen Orten, Dank dem reinen Eifer der
Missionaere, wieder von diesem so gefaehrlichen Laster befreit; in
Neuseeland sowohl wie in Hawaii schadet der Rum nur an den Kuestenplaetzen
den Eingeborenen und das ueberall wachsende Christenthum hat siegreich
auch in Tahiti und sonst diese Gefahr im Allgemeinen abgewendet.

Bei weitem verhaengnissvoller aber wirkten die geschlechtlichen
Ausschweifungen, die wohl bei keinem Volk der Welt so schamlos
verbreitet waren, wie in Polynesien. Jede Reisebeschreibung (auch andere
Buecher als die schamlose Reise der Pandora von Hamilton) rechtfertigt an
hundert Stellen den Namen la nouvelle Cythere, welchen Bougainville der
Insel Tahiti gab. Nicht nur, dass auf Tahiti, Hawaii, Neuseeland, auch
auf Tonga (obwohl man hier strenger lebt) und auf Samoa (nach Wilkes)
wenigstens Fremden gegenueber die Maedchen ganz frei waren; so ist auch
nirgends die Prostitution der Weiber durch Vaeter, Brueder, Gatten frecher
betrieben wie hier. Polygamie herrschte ueberall. Gastfreunden bot man
die Weiber an, vornehme Frauen lebten ganz zuegellos. Fuer Hawaii bezeugt
dies, um nur einige Beweisstellen anzufuehren, Jarves 80, fuer Tahiti Cook
und alle andern Reisenden, fuer Waihu Moerenhout 1, 26, fuer die Markesas
Porter (Journal of a cruise in the Pacif. Ocean 1812-14) 2, 60,
Krusenstern 1, 221; nach Mathias G*** 152 herrscht indess Prostitution
nur in den Haefen. Neuseeland stand etwas hoeher; doch waren auch hier die
Maedchen vollstaendig ungebunden (Dieffenb. 2, 40). Die Weiber selbst
lockten die ankommende Mannschaft von Wallis Schiff durch die
unanstaendigsten Geberden ans Land und die Maenner, welche das Geschaeft
abschlossen, forderten schon damals fuer schoene Frauen, Toechter,
Schwestern u.s.w. hoehere Preise als fuer minder schoene (Wallis 214 ff.
256). Ja vor aller Augen, und nicht etwa aus Roheit, wie die Bewohner
der Palauinseln nach Kadus Zeugniss bei Chamisso 137[F], sondern
umstanden von vornehmen Weibern, unter denen die Koenigin selbst,
vollzogen sie die Begattung, zum Ergoetzen der Umstehenden, welche dem
Paare, namentlich dem betheiligten Maedchen, Lehren gaben, um die Lust zu
erhoehen--doch das war nicht noethig, denn, obwohl das Maedchen erst 11
Jahre zaehlte, so wusste sie doch mit allem schon guten Bescheid (Cook b,
126-27, vergl. 86. 106). Da ist es nicht zu verwundern, dass schmutzige
Gegenstaende sehr haeufig, vor aller Ohren, Inhalt der Unterhaltung waren
und nur belacht wurden. Ueberall herrschte Polygamie; auf Tahiti,
Nukuhiva und Hawaii (Turnbull 65, Stewart 129, Porter 2, 30) kamen
Heirathen unter Geschwistern vor, jedoch nur in der regierenden Familie,
die auf andere Art keine ebenbuertige Ehe schliessen konnte, da alle
anderen Adelsgeschlechter an Rang unter ihr standen (Ellis 4, 435). Auf
den Markesasinseln war es nach Melville 2, 122-23 Sitte, dass die
Weiber, aehnlich wie die Aleutinnen, zwei Maenner hatten, einen wirklichen
Gatten und einen Nebenmann, der ganz die Rechte wie jener besass, auch
im Frieden mit ihm lebte; welche Sitte nach Melville darin ihren Grund
hatte, dass es weit mehr Maenner als Frauen gab. Mathias G*** sagt 111
dasselbe, was auch sonst noch vielfach bestaetigt wird. Auch unnatuerliche
Lueste, denen in Tahiti ein eigener Gott vorstand (Moerenh. 2, 168), waren
sehr ausgedehnt. Maenner in Weiberkleidern finden wir, wie in Amerika,
auch zu Tahiti, aber hier nur im Dienste der widernatuerlichen Wollust
(Turnbull 306); und da nun die Maenner des gemeinen Volks, damit die
Fuersten desto mehr Weiber haetten, oder weil sie den Kaufpreis fuer die
Frauen nicht zahlen konnten, fast immer unverheirathet bleiben mussten,
so war Onanie unter ihnen in solchem Grade getrieben, dass sie dadurch
meist unfaehig wurden, einem Weibe noch beizuwohnen (Wilson 311). "Ihre
Verbrechen in dieser Art sind zu entsetzlich, als dass sie alle erzaehlt
werden koennten," sagt Wilson (1799) a.a.O. Noch Ellis (1, 98) fand
dasselbe vor, er sagt, die Schilderung, welche Paulus von den Heiden im
ersten Kapitel des Roemerbriefes mache, passe durchaus auf die Tahitier.
Auch in Hawaii waren unnatuerliche Laster ganz gewoehnlich, von denen
Paederastie nur oder wenigstens vorzugweise unter den Fuersten vorkam
(Remy XLIII).

Mikronesien steht viel hoeher in dieser Beziehung, mit Ausnahme der alten
Marianer, unter denen, freilich nach den alten spanischen Berichten
(Salacar bei Oviedo XX, 16), eine arge Zuegellosigkeit herrschte, und le
Gobien berichtet manches entsprechende. Aber sonst fanden die ersten
europaeischen Besucher in Mikronesien keine Ausschweifungen, weder im
Trunk noch in der Liebe vor, wenn auch die Maedchen leicht zu gewinnen
waren: und schamhaft waren sie alle (Chamisso 91. 119). Uebrigens
herrschte, nach Chamisso 118-19, Polygamie auch auf Ratak und besonders
nahe Freunde besassen auch die Weiber gemeinschaftlich.--Auch im
eigentlichen Polynesien gab es reinere Bezirke, so Tonga, wo die
Juenglinge von Staatswegen zur Keuschheit ermahnt wurden: nie sollten sie
Gewalt anwenden, nie sich gegen Ehefrauen vergehen (Mariner 1, 138);
allein auch hier waren die Unverheiratheten ganz frei und ebenso die
verheiratheten Maenner (2, 174), auch hier waren Unanstaendigkeiten der
haeufige und gern belachte Inhalt des Gespraeches, die man nur vor
verheiratheten Frauen vermied (2, 177). In Samoa herrschte noch groessere
Sittenstrenge.

Viel besprochen ist die Gesellschaft der Areois auf Tahiti, ueber welche
Moerenhout 1, 485-503 und Ellis 1, 230 ff. handeln, und die auch wir kurz
besprechen muessen, wenn wir an diesem Ort auch nur auf die furchtbare
Unsittlichkeit hinweisen, welche in dieser urspruenglich religioesen
Gesellschaft herrschte. Maenner und Weiber lebten in ihr aufs hoechste
ausschweifend und unter dem bestimmten Gesetz, alle ihre Kinder zu
toedten, beisammen und hochgeehrt vom ganzen Volk, dem sie wie Goetter
erschienen, durchzogen sie die Inseln, um Feste, Schauspiele, Taenze vor
der Menge aufzufuehren. Wir finden diese Gesellschaft nicht bloss auf
Gesellschaftsinseln, sondern (Meinieke b 78) auch auf Rarotonga, auch im
Markesasarchipel (Moerenh. 1, 502). Und da nun le Gobien 59-62 von den
Uritaos der Marianen ganz das Naemliche erzaehlt, die in aller
Zuegellosigkeit mit den Maedchen des Landes zusammenlebten, selbst in
Blutschande, ohne dass es ihnen Tadel zuzog, da sie von hoeherer Weihe
waren (Freycinet 2, 368)--so werden wir auch diese, wie schon ihr Name
derselbe ist, mit jenen Areois trotz Meinickes Widerspruch (b, 79)
zusammenstellen muessen.

Es kann uns nicht wundern, wenn solche lasterhafte Sitten, in solcher
Ausdehnung herrschend, die Gesundheit der polynesischen Bevoelkerung
untergruben und sie haben es gethan. Schon eine bis zwei Generationen
vor Wallis hatte die Volksverminderung, nach den Aussagen der
Eingeborenen selbst, auf Tahiti angefangen (Ellis 1, 105) und dass
hieran diese Ausschweifungen, wenn auch nicht allein, so doch zum
groessten Theil schuld waren, kann man gewiss behaupten. Ihren
entnervenden Einfluss schildern wenigstens die zuverlaessigsten
Augenzeugen in den duestersten Farben, wie Ellis 1, 98 und Turnbull
(1804) 307. Und ferner ist es sehr begreiflich, dass solche entnervte
Wuestlinge sehr viel und leichter Krankheiten ausgesetzt waren, als
gesunde Menschen, dass Krankheiten viel heftiger bei ihnen wuethen
mussten und dass sich namentlich die Syphilis unter ihnen rasch
verbreiten und gefaehrlich erweisen musste.




Sec. 8. Unfruchtbarkeit. Kuenstlicher Abortus. Kindermord.


Aber eine andere noch schlimmere Folge dieser Ausschweifungen ist die
Unfruchtbarkeit der Weiber, welche in Polynesien hauptsaechlich auf
diesem einen Grund beruht. Die Unfruchtbarkeit der Ehen auf den
Markesas, welche schon Krusenstern 1, 255-56 und dann Melville 2, 125
betont, erwaehnt auch Mathias G*** 108 mit starkem Nachdruck.
Unfruchtbarkeit ist in Hawaii sehr verbreitet (Virgin 1, 268); in Tahiti
wird es erst in neuerer Zeit besser und Dieffenbach 2, 15-16 gibt als
eine der Ursachen fuer das Hinschwinden der Maoris die geringe
Fruchtbarkeit ihrer Weiber an.

Da nun aber ganz analoge Erscheinungen sich in Melanesien (wo z.B. auf
Erromango schon eine hohe Kinderzahl ist, Turner 494), in Neuholland
(Grey 2, 248 ff.) und namentlich in Amerika vorfinden, so hat man, vor
allem mit Ruecksicht auf die Eingeborenen des letzten Landes gesagt, die
geringe Fruchtbarkeit sei ein charakteristisches Merkmal fuer niedere
Racen, das in ihrer Natur selbst begruendet liege. Allerdings haben die
Weiber der Botokuden (Tschudi 2, 284), der Makusi (Schomburgk 2, 312)
der meisten brasilianischen Voelker (Azara an vielen Stellen) und ebenso
auch der meisten Nordamerikaner (wofuer Waitz 1, 169 die Beispiele
zusammenstellt) sehr wenige, oft auch gar keine Kinder; allein wie man
hierin ein Racenmerkmal finden soll, ist fuer Unbefangene unmoeglich
abzusehen. Denn erstlich zeigen sich eine lange Reihe aeusserer Gruende,
wodurch die Unfruchtbarkeit bewirkt wird; ausser den schon besprochenen
Gruenden wie Ausschweifungen, Krankheit u. dergl., die auch in Amerika
und vor allen auf Kamtschatka und den Aleuten wirkten, muss hier auf das
gleichfalls schon erwaehnte lange Saeugen hingewiesen werden, welches der
Fruchtbarkeit Abbruch thut, ferner und ganz besonders auf die meist
ueberaus elende Stellung der Weiber, auf die Noth, die ewigen Muehsale,
unter denen sie ihr Leben hinbringen muessen. Dann heirathen viele Voelker
nur im eigenen Stamm und man kann wohl sagen, da bei vielen kleineren
Voelkern Stamm und Familie so ziemlich zusammenfaellt, in derselben
Familie; dass aber auch hierdurch eine Verminderung der Fruchtbarkeit
eintritt, ist bekannt genug. So z.B. die Botokuden; daher Tschudi (2,
284) in diesem Umstand einen Hauptgrund fuer die Unfruchtbarkeit ihrer
Ehen sieht. Auch bei den Bewohnern von Darien zeigten sich die
schaedlichen Folgen solcher Heirathen (Waitz 4, 351).

Der allzufruehe Coitus, den Dieffenbach 2, 15 fuer die Unfruchtbarkeit der
Neuseelaenderinnen als einen Hauptgrund anfuehrt, ist wichtig fuer viele
Voelker, da er bei vielen, wie wir sehen, vorkommt. Obwohl nun Humboldt
(b, 2, 190), nach dem Zeugniss der amerikanischen Ordensgeistlichen am
Orinoko, darin keine Gefahr fuer die Zahl der Bevoelkerung sehen will, so
spricht doch die Natur der Sache und mannigfache Erfahrung gegen ihn.
Doppelt gefaehrlich wird aber zu frueher geschlechtlicher Umgang bei
Voelkern, bei denen es an Weibern fehlt. So heirathen die Maedchen der
Tarumas in Guyana, weil es unter diesem Volk nur wenig Weiber gibt,
schon vor der Pubertaet (nach Schomburgk bei Waitz 1, 170). Mehr Maenner
als Weiber gab es noch in verschiedenen Orten in Amerika (z.B.
Californien Waitz 1, 170 Anmerk., bei den Guanas Azara 232), in
Polynesien (Tahiti, Markesas u. sonst) und in Kamtschatka, wo der Mangel
an Weibern, wie wir sahen, vorzugsweise gross war. Durch diesen wurde
denn wieder eine andere sehr wenig heilsame Einrichtung gefoerdert, dass
in Neuholland junge Maedchen zunaechst an alte Maenner und erst nach deren
Tode, wenn sie nun mittlerweile aelter waren, an juengere Leute
verheirathet wurden (Nind im Journ. R. Geogr. Soc. 1, 38), eine Sitte,
welche bei den Irokesen ebenfalls im Schwunge war: "Der junge Mann von
25 Jahren erhielt bei ihnen oft eine aeltere Frau zugetheilt als er
selbst war, der alte Wittwer dagegen waehlte sich ein junges Maedchen"
(Waitz 3, 103).

Dass wir unter diesen Gruenden die Polygamie und Polyandrie mit ihren
gewiss schlimmen Folgen fuer die Bevoelkerungszahl nicht besonders
erwaehnen, hat seinen Grund darin, dass wir diese beiden Einrichtungen,
auch wenn sie noch so gesetzmaessig sind, unter die Ausschweifungen
rechnen und also, was von jenen gesagt ist, auch fuer diese gilt. Ebenso,
was man fuer manche amerikanische Voelker als Grund fuer die
Unfruchtbarkeit angefuehrt hat, die geringe Neigung der Maenner fuer das
weibliche Geschlecht und ihre minder entwickelten Genitalien (Poeppig,
Azara, Waitz 1, 171 u.s.w.) lassen wir auf sich beruhen, da dieser
Umstand keineswegs allgemein und keineswegs in den daraus abgeleiteten
Folgen sicher ist.

Weit wichtiger sind noch einige psychische Gruende, die wir recht
hervorheben moechten. Wie Gram und Kummer, Druck und Despotismus das
aeussere Leben zurueckhalten und verkuemmern lassen, so wirken sie
natuerlich auch auf die Fruchtbarkeit der Weiber ein, denn der Einfluss
des geistigen Lebens auf jede Seite des leiblichen, so sehr man ihn auch
anerkennt, kann kaum maechtig genug gedacht werden. Wo daher ein schwerer
Druck auf der Bevoelkerung liegt wie durch die Adelsherrschaft in
Polynesien und hier namentlich auf den Fidschi- und Hawaiiinseln, da
wird es auch leichter unfruchtbare Ehen geben. Und noch mehr, wenn der
Druck der Herrscher zugleich das tiefste moralische Weh ueber die
Unterworfenen bringt, wie das durch die furchtbaren Einwirkungen der
Europaeer fast ueberall geschehen ist. Auch ist zu bemerken, dass von
diesen Gruenden stets mehrere vereint, nie einer allein wirken; dass wir
die verminderte Fruchtbarkeit also aeusserlich veranlasst sehen, wodurch
die Ansicht, sie sei Racencharakter, schon erschuettert wird. Und waere
sie es wirklich, so muesste sie doch ueberall sich bei den betreffenden
Racen zeigen. Aber das ist gar nicht der Fall. In Neuholland z.B., wo
allerdings Heirathen in demselben Stamme so gut wie gar nicht vorkommen,
werden fruchtbare Ehen gar nicht selten erwaehnt. Grey (a.a.O.) sah 41
Weiber, welche zusammen 188 Kinder hatten; und gar manches Volk in
Amerika gibt es, welches eine sehr reichliche Kinderzahl besitzt, so die
Staemme der Nordwestkueste, die Nordindianer, welche Hearne besuchte, die
Chippewais, die Sioux, die Mandans, und manche Suedamerikaner, welche
Waitz 1, 171-72 zusammenstellt. Und waehrend einzelne Theile
melanesischer Bevoelkerung meist nur kinderarme Familien aufweisen, ist
das Gegentheil bei anderen, z.B. den Fidschis der Fall; dieselben
Gegensaetze zeigt Mikronesien und Polynesien, in welchem letzteren Gebiet
z.B. Tonga ganz anders als Tahiti und die Markesasinseln nur fruchtbare
Ehen kennt. Und wer hat je etwas der Art von dem Brudervolk der
Polynesier, von den Malaien gehoert? Gedeihen sie nicht reichlich in
ihrer Inselwelt und muesste nicht, waere die Unfruchtbarkeit
Racencharakter, sie sich auch bei ihnen vorfinden?

Umgekehrt aber findet sie sich bei Kulturvoelkern, bei denen die oben
besprochenen Gruende wirksam sind, wofuer Waitz 1, 173 einige Beispiele
aufstellt. Wo diese Gruende aber wegfallen, da sind die Weiber auch sonst
minder fruchtbarer Staemme mit Kindern gesegnet. Neuseelaenderinnen mit
Europaeern (Dieffenbach 2, 152) und Botokudinnen mit Weissen oder Negern
vermaehlt (Tschudi 2, 284) pflegen sehr fruchtbar zu sein, weil dann die
Frau meist ein ruhigeres, besseres Leben hat, wie Tschudi dies sehr
richtig a.a.O. erklaert, nicht aber etwa in Folge der Vermischung und des
Einflusses einer hoeheren Race, da ja in der Ehe mit Negern dasselbe
Verhaeltniss eintritt.

Wir wuerden schon hieraus die Unfruchtbarkeit der Weiber vollkommen
erklaerlich finden, ohne Hinzunahme einer so wenig begruendeten Theorie,
wie die von der minderen Zeugungsfaehigkeit der hinschwindenden Racen.
Aber einen der wichtigsten Gruende, welcher nicht nur diese
Unfruchtbarkeit, sondern ueberhaupt die Verringerung der Naturvoelker
nicht zum mindesten Theil erklaert, haben wir noch zu besprechen: es ist
das weitverbreitete Toedten der Kinder vor oder gleich nach der Geburt.

Bei den Hottentotten (Sparmann 320) herrschte die Sitte, Saeuglinge,
deren Mutter starb, mit dieser zugleich zu begraben oder auszusetzen;
ebenso toedteten sie von Zwillingen das eine Kind. Kuenstliche
Fehlgeburten kamen haeufig bei ihnen vor. Noch haeufiger war dies alles
bei den Buschmaennern, welche bei ehelichen Streitigkeiten, bei
Nahrungsmangel, der sie oft genug betraf, und bei eiliger Verfolgung die
Kinder toedteten, aus Rache und Zorn gegen den Ehegatten, oder weil sie
dieselben nicht ernaehren, nicht mitnehmen konnten; das heisst in den
meisten Faellen, weil sie jede ungewoehnliche Anstrengung, welche ihnen
die huelflosen Kinder auferlegt haetten, scheuten. Zwillinge und
missgestaltete Kinder wurden stets umgebracht (Waitz 2, 340 und daselbst
die Quellen).

Ebenso war es in Amerika, namentlich in der suedlichen Haelfte des
Kontinentes, waehrend die Indianer Nordamerikas, wie sie ueberhaupt hoeher
stehen, auch ihre Kinder besser halten, ja sie oft mit der innigsten
Liebe pflegen. So verwenden z.B. die Potowatomi auch auf arbeitsunfaehige
und bloedsinnige Kinder zaertliche Sorgfalt (Waitz 3, 115-16); und die
Huronen zogen auch solche Saeuglinge auf, deren Mutter gestorben war
(Waitz b, 100). Kuenstlicher Abortus dagegen war weit verbreitet unter
den Thakallis, dem westlichsten Stamm der Athapasken, welcher auch sonst
sehr tief stand und von Keuschheit oder ehelicher Treue keinen Begriff
hatte (Waitz b, 90). Dass die Knisteno namentlich ihre weiblichen Kinder
toedteten, um sie vor dem elenden Loos des Lebens, das sie erwartete, zu
behueten (Waitz 3, 103), ist schon erwaehnt. Und nun gar in Suedamerika.
Die Guanas (Azara 232) bringen die meisten Maedchen sofort bei der Geburt
um, indem sie die Neugeborenen lebendig begraben; ueberhaupt aber ziehen
sie nur etwa die Haelfte ihrer Kinder auf. Da es bei den Tupis Sitte war
(Waitz 3, 423), die Neugeborenen dadurch anzuerkennen, dass man sie vom
Boden aufhob, so koennen wir hieraus schliessen, dass bei ihnen,
wenigstens in frueherer Zeit, viele Kinder, die man eben nicht aufhob,
getoedtet sind. Von den Guaikurus (oestlich vom oberen Paraguay) berichtet
Azara 273, dass die ganze Nation hauptsaechlich durch Abtreiben der
Kinder, von denen sie nur das letzte und also, da diese Rechnung sehr
unsicher ist, oft keins schonten, ganz verschwunden sei; und wenn wir
auch mit Waitz (3, 430) diese Nachrichten, sowohl in Beziehung auf ihr
Aussterben--denn Castelnau z.B. fand 6 Staemme von ihnen, darunter zwei
ackerbauend, am Paraguay vor--als auch in Betreff dieser furchtbaren
Ausdehnung des Kindermords fuer uebertrieben halten, so muss doch
kuenstlicher Abortus bei ihnen vorzugsweise verbreitet gewesen sein, wie
ihn auch noch neuere Reisende, Martius, Castelnau bei Waitz 3, 472 als
gewoehnlich unter ihnen angeben. Auch von den Mbayes, welche indess von
den Guaikurus nicht zu trennen sind, gibt Azara 250 genau dasselbe an:
sie toedten alle Kinder bis auf eins, bisweilen auch alle insgesammt. Als
Gruende fuer diese Sitte geben die Indianerinnen an, regelmaessige Geburten
machten sie vor der Zeit alt und haesslich, auch sei es ihnen, bei ihren
ewigen Wanderzuegen, wo sie selbst oft nichts zu essen haetten, sehr
schwer mehr als ein Kind mitzunehmen und zu erhalten. Fuehlte sich also
eine Frau schwanger, so legte sie sich auf die Erde und andere Weiber
gaben ihr so lange die heftigsten Schlaege auf den Unterleib, bis Blut
und bald darauf die Frucht abging, eine Operation, an der natuerlich
viele Weiber sogleich oder kurz darauf starben, andere wenigstens ihr
ganzes Leben siechten (Azara a.a.O.). Auch bei den Abiponen herrschte
dieser Gebrauch; mehr als zwei Kinder zogen sie nicht auf (Waitz 3,
476). Die Tobas (zwischen Abiponen und Guaikurus, oestlich vom Paraguay)
toedten viele ihrer Kinder (Waitz 3, 475), die Lules (oestlich von den
Tobas) alle unehelichen, von Zwillingskindern, welche fuer ein Zeichen
von Untreue gelten, immer eins, und wenn die Matter stirbt, so begraben
sie den Saeugling mit ihr (Waitz 3, 480). Die Yurakares, westlich vom
Titikaka-See, mordeten ihre Kinder, wenn sie keine Lust hatten, sie
weiter zu verpflegen (Waitz b, 100). Die Moxos toedteten von Zwillingen
immer das eine Kind und begruben kleine Kinder mit ihrer Mutter, wenn
diese starb (Waitz 3, 537). Gegen Zwillingskinder wandten sie diese
Massregel an, weil man in einer solchen Doppelgeburt etwas
Thieraehnliches sah (Waitz b, 100). Die Chiquitos (zwischen dem oberen
Paraguay und dem Titikaka) hatten so wenig Anhaenglichkeit an ihre
Kinder, dass sie dieselben leicht fortgaben oder verkauften (Waitz 3,
530) und von den Minuanes (am unteren Parana) erzaehlt Azara 191 ganz
aehnliches; waren die Kinder entwoehnt, so kuemmerten sich die Eltern gar
nicht mehr um sie, vielmehr wurden sie von verheiratheten Verwandten
aufgezogen. Bei den caribischen Voelkern herrschten dieselben Sitten, wie
dies Humboldt b 4, 225-28 genauer schildert. Von Zwillingen toedten sie
immer ein Kind, um nicht wie Ratten, Beuteltiere und das niederste
Gethier, das viele Jungen zugleich wirft, zu sein, oder weil man auch
hier in einer solchen Doppelgeburt ein Zeichen von Untreue sieht. Auch
missgestaltete, ja selbst schwaechliche Kinder werden getoedtet, um sich
der Last, die man spaeter mit ihnen haben wuerde, zu entziehen. Die Frauen
dieser Voelker haben verschiedene Pflanzenaufguesse, welche sie zum
Abtreiben anwenden und zwar in verschiedenen Gegenden zu verschiedener
Zeit, je nachdem sie es fuer die Gesundheit und die Schoenheit frueh oder
spaet Kinder zu bekommen fuer zutraeglich halten. Auch bei den Makusis
sieht Schomburgk (2, 312), so sehr er auch sich gegen diese Annahme
straeubt, sich genoethigt, an kuenstliche Fehlgeburten zu glauben. Wenn er
aber meint (313), dass Zwillinge bei ihnen nicht getoedtet wuerden, und
dass ueberhaupt solche Geburten hoechst selten bei ihnen seien, weil er
nur zweimal unter den Eingeborenen von Guyana, einmal unter den Makusis,
einmal unter den Waikas Zwillinge sah und nie von ihnen reden hoerte, so
ist das sicherlich unrichtig, denn er selbst erzaehlt, dass die Frauen
jener Voelker auf seine Bemerkung, die Europaeerinnen bekaemen bisweilen
zwei, ja drei Kinder, den Mund spoettisch verziehend geantwortet haetten:
wir sind keine Huendinnen, die einen Haufen Junge werfen.[G] Also auch
hier dieselbe Auffassung wie ueberall in Suedamerika und sicher auch
derselbe Gebrauch. Schon die Seltenheit von Zwillingen spricht dafuer;
und wenn die Indianer nie von Zwillingen sprechen, so erklaert sich das
aus dem herrschenden Gebrauch, von der Ermordung der Kinder ueberhaupt
nicht zu reden; man thut, als seien sie eines natuerlichen Todes
gestorben: "Das arme Kind konnte nicht mit uns Schritt halten; man hat
nichts mehr von ihm gesehen" (Humboldt 64, 226).

Auch bei den Kulturvoelkern Amerikas herrschte derselbe Brauch. Die
Mexikaner, in dem Glauben, dass Zwillinge den Tod des Vaters oder der
Mutter vorbedeuteten, toedteten oft das eine der beiden Kinder (Waitz 4,
164). Die Chibchas, in Neu-Granada, thaten dasselbe, weil sie in
Zwillingsgeburten die Folge grober Ausschweifungen sahen (eb. 4, 367).
Auch in Peru galten Zwillinge als ueble Vorbedeutung fuer die Eltern, der
man in vielen Theilen des Landes durch Fasten (eb. 417), in anderen
durch Toedtung eines der Kinder vorzubeugen suchte (eb. 461). Die
darischen Weiber sollen ihre Kinder getoedtet haben, um ihre Schoenheit zu
bewahren (350). Die zu den Chibchas gehoerenden Panches toedteten alle
ihre Kinder, so lange ihnen nur Maedchen geboren wurden (eb. 376); und
hier mag denn den Schluss die Bemerkung bilden, dass die vielfach
vorkommende Toedtung der Maedchen urspruenglich wohl nicht den Grund hatte,
den Toechtern ein schlimmes Lebensloos zu ersparen, welche Auffassung
gleichwohl spaeterhin gegolten haben mag: der Hauptgrund war gewiss ein
aberglaeubisch-religioeser oder wenigstens der, dass man Knaben der
Kriegstuechtigkeit halber und weil man sie fuer vortrefflicher hielt,
lieber sah als Maedchen.

Dieselben Sitten galten in Neuholland. Stirbt die Mutter eines
Saeuglings, so wird derselbe mit ihr begraben und von Zwillingen stets
das eine Kind getoedtet (Freycinet 2, 747), in Ost- und Westaustralien;
missgestaltete Kinder oder solche, die bei der Geburt Schmerzen
machen--diese alle gewiss, weil man sie von boesen Geistern besessen
glaubt--toedtet man gleichfalls, so wie alle Kinder von europaeischen
Vaetern, welche die Mutter verliessen (Grey 2, 251. Bennet 1, 122). Von
Mischlingskindern toedtet man nach Breton (231) indess nur die Knaben,
nicht die Maedchen, waehrend sonst die Maedchen so vorzugsweise getoedtet
werden, dass nach Grey (2, 251) das Verhaeltniss der Weiber und Maenner
wie 1: 3 ist. Jede Mutter toedtet ihr drittes, bisweilen schon ihr
zweites Maedchen, wenn es nicht eine fremde Frau als ihr Kind annimmt
(Salvado 111). Fehlgeburten werden oft herbeigefuehrt und Neugeborene oft
getoedtet, um der Last und der Schwierigkeit, Kinder aufzuziehen, zu
entgehen (Meinicke a 2, 208). Ja es soll sogar vorkommen, dass Eltern
ihre neugeborenen Kinder selbst auffressen (Stanbridge, transaction of
the ethnol. Society X. S. 1, 289; Australia felix 129; Angas 1, 73). Auf
Vandiemensland dagegen herrschte der Kindermord nicht (Bibra 16).

Wohl aber in Melanesien, und so auf Vate (Gill 67), wo man neugeborene
Kinder lebendig begrub und nur zwei bis drei aufzog (Turner 394), und
ebenso war es auf Erromango (Turner 491) und in groesster Ausdehnung auf
den Inseln in der naechsten Naehe von Neuguinea (Reina in Zeitschr. 4,
359). Auf den Fidschiinseln war der Kindermord gleichfalls nicht selten,
wie Williams und Calvert (1, 180) berichten und das Gemaelde, das sie
entwerfen, ist duester genug: kuenstliche Fehlgeburten, Toedtung der
Kinder, namentlich der Maedchen, gleich nach der Geburt, ist sehr haeufig,
aus Laune, aus Faulheit, aus Eifersucht und Rache; wie in Polynesien gab
es auch hier in jedem Dorf Leute, welche Fehlgeburten herbeizufuehren
verstehen. Hale (66) schreibt den Fidschis dieselbe Sitte zu, welche wir
bei den Tupis fanden und welche ja auch unter den Indogermanen eine so
weit verbreitete war, dass alle Kinder, welche der Vater oder Priester
nicht unmittelbar nach der Geburt vom Boden aufnimmt, als
"ausgestossene" getoedtet werden.

Aber schlimmer noch und wahrhaft in entsetzlicher Ausdehnung tritt der
Kindermord auf im uebrigen Ozeanien. Wir beginnen mit Mikronesien.
Waehrend allerdings die Carolinen frei von diesem Verbrechen waren
(Chamisso 137), durfte auf den Ratakinseln keine Mutter mehr als drei
Kinder grossziehen: alle uebrigen wurden umgebracht (Chamisso 119); und
ebenso ist, um uebergrosse Bevoelkerung zu vermeiden, kuenstlicher Abortus
bei den Gilbertinsulanern nach Gulick (410), allerdings gegen Hales
Ansicht, haeufig. Von der Kingswillgruppe, aber mit Ausnahme von Makin,
sagt auch Hale dasselbe (96). Nach alledem, was wir von den marianischen
Uritaos wissen, scheinen auch sie, obwohl bestimmte Daten darueber
fehlen, die Kinder, welche ihnen bei ihren Ausschweifungen und
namentlich die, welche von niederen Weibern geboren worden, getoedtet zu
haben.

Im eigentlichen Polynesien nun bleiben auf Tikopia nur die aeltesten
beiden Soehne am Leben, um die Insel nicht zu uebervoelkern, so wie alle
Maedchen, daher die Insel weit mehr Weiber als Maenner hat (Dillon 2,
134). Auf Tonga kam der Kindermord, dessen Motiv dann meist Traegheit
oder Bequemlichkeit ist, nur vereinzelt vor (Mariner 2, 18-19), auf
Samoa aber gar nicht (Wilkes 2, 80, Williams 560) und ebenso wenig, um
das hier gleich anzuschliessen, auf den Herveyinseln (Williams 560).

Allein auf Tahiti war das Verbrechen so im Schwunge, dass Ellis (1, 249)
annimmt, es habe sich in der Ausdehnung, wie er es vorfand, erst in
etwa den letzten 50 Jahren vor der Entdeckung, ausbreiten koennen, weil
sonst eine so zahlreiche Bevoelkerung, wie sie Wallis und Cook vorfanden,
sich unmoeglich habe erhalten koennen. Cook fand den Kindermord schon
allgemein verbreitet vor und suchte vergeblich den Koenig Otu zu seiner
Abschaffung zu veranlassen. Auch die Missionaere des Duff (1796) fanden
die Toedtung der Kinder als etwas ganz Selbstverstaendliches, ueber das mit
der groessten Gleichgueltigkeit geredet wurde (Wilson 272. 310); und mit
demselben Entsetzen ueber diese Gleichgueltigkeit wie Wilson sagt auch
Ellis, dass etwa zwei Drittel der Kinder getoedtet seien. Die ersten drei
Kinder wurden es meist, Zwillinge gleichfalls, mehr wie zwei oder drei
Kinder zog Niemand auf. Allein eben dadurch konnten sich die Geburten
rascher folgen und so fand Ellis Frauen, welche vier, sechs, acht, ja 10
und noch mehr Kinder getoedtet hatten (1, 250. 251); ja er versichert,
und da kein Stand von dem Gebrauche ausgeschlossen war, ganz glaublich,
kein Weib gefunden zu haben, das nicht seine Haende mit dem Blut der
eigenen Kinder befleckt haette. Unter den Areois nun war es so strenges
Gesetz, alle Kinder, welche den Mitgliedern der Gesellschaft geboren
wurden, zu toedten, dass wer sich diesem Gesetz nicht fuegte, sofort
ausgestossen wurde. Die einzigen Ausnahmen, welche gestattet waren,
bestanden darin, dass die ersten Fuersten ihren ersten Sohn behielten und
dass die vornehmsten Areois (die Gesellschaft hatte 12 Grade, Moerenhout
1, 489) nur ihr aeltestes Kind so wie alle Maedchen toedteten. Das letztere
geschah auch hier wohl aus religioesen Gruenden oder weil man die Maedchen
fuer geringer als die Knaben hielt; Moerenhout, dem diese Nachrichten
entlehnt sind--er handelt von den Areois 1, 485-98--ist der Meinung,
alle diese Morde seien vollbracht, um die Volksmenge der Insel nicht
uebergross werden zu lassen, welcher Ansicht man kaum beipflichten wird;
wie denn auch das tahitische Volk selbst der Ansicht war, die Weiber
braechten zur Conservirung ihrer Schoenheit die Kinder um. Dass alle
Kinder einer Mischehe--wenigstens, nach Williams 565, eines gemeinen
Mannes und einer adligen Frau--umgebracht wurden, versteht sich nach den
Begriffen, welche man ueber die verschiedenen Staende hatte und nach denen
der Adel ganz goettlich, das Volk aber nicht einmal im Besitz einer Seele
war, von selbst. Fuer Tonga waehlte man solche Kinder vorzueglich
gern, nach Mariner, zu Opfern aus. Und so war es auf allen
Gesellschaftsinseln. Williams erzaehlt von Raiatea, wo er (1829) seine
Station hatte, folgendes Beispiel. Er sass mit Bennett in einem Zimmer,
in dessen Hintergrund mehrere eingeborene Weiber arbeiteten und als
Bennett sich bei ihm nach der Ausdehnung des Kindermords erkundigte, so
fragte er, um sich selbst zu ueberzeugen, ob das Verbrechen so allgemein
sei als er glaube, die zufaellig anwesenden Weiber, die er nicht weiter
kannte, wie viel Kinder jede getoedtet habe: neun die eine, sieben die
andere, die dritte fuenf, also alle drei zusammen 21! Eine andere Frau
bekannte sterbend, dass sie 16, ein vornehmer Haeuptling, dass er 19
umgebracht haette und manche Familien hatten alle getoedtet (Williams
562-565). Als Gruende geben ihm die Eingeborenen an, zunaechst Furcht vor
den ewigen Kriegen und ihren blutigen Zerstoerungen; man wollte von den
Kindern nicht gehindert sein, auch wohl boese Schicksale ihnen ersparen
und was wohl der Hauptgrund war, dem Feind keine Gelegenheit zu irgend
welchem Triumph (etwa durch Gefangennehmung oder Ermordung der Kinder)
geben. Zweitens war aber die Verschiedenheit des Ranges ein wichtiger
Grund. War ein Mann von niederem Rang als seine Frau, so konnte er durch
Toedtung von zwei, vier oder sechs Kindern, je nachdem er tiefer stand,
zum Rang der Frau sich erheben und die Kinder, welche ihm, nachdem er
diese Stufe erreicht, geboren wurden, blieben am Leben. Die Frau aber,
welche von minder hohem Range als ihr Mann war, konnte, da alle
Vererbung nur in weiblicher Linie erfolgte, sich durch kein Mittel, auch
dieses nicht erheben. Blieben aber in gemischten Ehen die Kinder ohne
Weiteres am Leben, so sank die Familie auf den Rang herab, welchen der
minder vornehme der Eltern inne hatte (Ellis 1, 256). Als dritten Grund
fuehrt Williams die Eitelkeit der Weiber auf: sie wollten ihre Schoenheit
nicht durch Saeugen und Kinderpflegen gefaehrden. Der Hauptgrund scheint
aber, wenn nicht in fruehester, vorhistorischer Zeit religioese Motive
mitwirkten, Faulheit gewesen zu sein: auf der Insel, welche eine
vielfach groessere Bevoelkerung leicht ernaehren konnte, hiess ein Vater
von vier Kindern schon ein "arg ueberbuerdeter" Mann (Ellis a.a.O.).

Man toedtete die Kinder, indem man ihnen einen nassen Lappen auf den Mund
legte, oder ihnen die Kehle mit dem Daumen zupresste, oder sie, noch im
Mutterleibe, aber waehrend der Geburt, mit einem spitzen Bambus
durchbohrte; oder man begrub sie lebendig und zwar gerne so, dass die
Erde nicht unmittelbar auf sie kam, sondern sich ueber ihnen her woelbte
(Williams und Ellis a.a.O.). Eine vierte noch viel scheusslichere Art
beschreibt Williams 567-568: zuerst wurden den eben Geborenen die
aeussersten Glieder an Finger und Zehen, dann, wenn sie davon nicht
starben, die Hand- und Fussknoechel gebrochen. Ueberstand das Kind auch
das, so kamen die Kniee und Ellenbogen an die Reihe, und wenn es dann
immer noch lebte, so wurde es schliesslich erwuergt. Indess ist die That
scheusslicher als die Gesinnung, welche sie hervorbrachte: denn ohne
Zweifel wandte man diese graesslichen Todesarten aus keinem anderen
Grunde an als aus Ehrfurcht vor der Seele des Kindes, die auf moeglichst
gelinde Weise, von aussen her, zur Entfernung mehr aufgefordert als
genoethigt werden sollte, und erst wenn sie diese Aufforderung gar nicht
verstand, trat Zwang ein. Denn die Seelen der getoedteten Kinder, die
man sich unter der Gestalt von Heuschrecken nach Moerenhout dachte,
galten fuer heilig und wurden hoch geehrt. Auch hier gab es fast in jedem
Dorfe Leute, welche aus dem Kindermord Gewerbe machten (Williams 568)
und doch, war einem Kinde auch nur eine Viertelstunde das Leben erhalten
worden, so durfte es nicht mehr getoedtet werden, und hatte dann sehr
liebevolle, ja wohl zaertliche Eltern.

Wo moeglich noch roher waren die Bewohner der Sandwichsinseln. Hier
herrschte der Kindermord namentlich in den unteren Klassen, von denen
die Eltern selten, mochten die Ehen auch noch so fruchtbar sein, mehr
als zwei oder drei, vielmehr oft nur ein Kind aufzogen. Auch hier sind
(Ellis 4, 326-330) 2/3 der Kinder getoedtet und zwar meist durch Erwuergen
oder lebendig Einscharren, wobei man sie ohne Weiteres mit Erde bedeckte
und diese mit den Fuessen feststampfte. Hier begrub man die kleinen
Leichen oft im eigenen Hause, ja im eigenen Schlafgemach der Eltern,
waehrend man zu Tahiti ihnen doch wenigstens einen Platz neben dem Hause
gab. Oft waren es, hier wie zu Tahiti, die Eltern selbst, welche die
grauenvolle That vollbrachten. In Hawaii war der Grund zu diesem Mord
meist Traegheit nach Ellis 4, 329 und Eitelkeit der Weiber, nach Jarves
85. Waehrend aber zu Tahiti die Kinder, welche die erste halbe Stunde
ueberlebt hatten, gerettet waren und zaertlich aufgezogen wurden; so
toedtete man zu Hawaii, mit viel groesserem Stumpfsinn, die Kinder auch
noch nach einem Jahre, ja noch spaeter. War ein Kind krank und machte
Unruhe, so begrub man es lebendig, schrie es der Mutter zu unertraeglich,
so stopfte sie ihm ein Stueck Zeug in den Mund und grub die unglueckliche
Creatur in die Erde, wenige Schritte von ihrem Bette, zu welchem sie
nach vollbrachter That, als ob nichts geschehen waere, ruhig zurueckkehrte
(Ellis 4, 330). Und selbst dies wird noch durch folgenden Fall, den
Ellis gleichfalls (326) erzaehlt, ueberboten. Ein Mann und eine Frau,
welche ein Kind, einen huebschen Jungen, nach Jarves (73) von sieben
Jahren, hatten, geriethen ueber denselben in Streit und da die Frau nicht
nachgab, ergriff der Vater das Kind bei Kopf und Fuss, brach ihm ueber
seinem Knie den Ruecken entzwei und warf die zuckende Leiche der Mutter
zu Fuessen! Tamehameha, bei dem die Unthat angezeigt wurde, erklaerte, er
koenne nicht strafend eingreifen, da der Mann sein eigen Kind umgebracht
habe.--Auch in Neuseeland findet sich der Kindermord gar nicht selten
(Angas 1, 313); er ist aber, wie in Tahiti, nicht mehr statthaft, wenn
das Kind auch nur eine halbe Stunde gelebt habe. Will man es toedten, so
wird es meist lebendig begraben oder bei der Geburt erwuergt. Rache ist
haeufig das Motiv hierzu, wegen harter Behandlung der Frau waehrend ihrer
Schwangerschaft, oder weil der Vater sie verliess oder aus irgend
welchem anderen Grunde (Dieffenbach 2, 25 ff.). Traegheit aber steht auch
hier in erster Linie. Namentlich Maedchen brachte man um (Taylor 165).
Auch Abortus ist haeufig: und so ist es nicht zu verwundern, dass (Browne
40) die Ehen durchschnittlich kaum mehr als zwei Kinder haben.
Allerdings herrschen diese furchtbaren Gebraeuche am meisten an der
Kueste; im Innern sind die Familien zahlreicher, ja Dieffenbach (2, 33)
sah bis zu 10 Kindern in einer. Gegen die geschonten Kinder sind die
Maoris liebevolle (Dieffenbach 2, 25 ff.), wenn auch nicht gerade
zaertliche Eltern (Browne 39).

Es koennte scheinen, als haetten wir uns schon allzu lange bei diesem
abschreckenden Gegenstande aufgehalten und seien zu sehr ins Einzelne
gegangen, allein dies genauere Eingehen war noethig fuer folgenden
Nachweis. Da alle Polynesier liebevolle Eltern sind und wir dennoch
dieselben Eltern im ganzen oestlichen Polynesien so vollkommen abgehaertet
gegen den Kindermord sehen, dass sie ruhig von allen den
Scheusslichkeiten sprechen, ja auch schon herangewachsene Kinder
kaltbluetig morden: so kann diese Sitte nicht erst 50 Jahre vor der
Entdeckung, also um 1700 oder 1710 weiter um sich gegriffen haben, wie
Ellis will. Jedenfalls muss sie aelter sein, auch in dieser Ausdehnung.
Denn um ein Volk so ganz zu beherrschen, dazu braucht eine solche Sitte,
auch wenn sie eingeschraenkt schon frueher im Gebrauche war, mehr als 50
Jahre. Auch ist uns berichtet, dass die marianischen Weiber ihre Kinder
vor und bei der Geburt massenweise toedteten, als die Spanier die Inseln
eroberten, damit die Neugeborenen nicht in Knechtschaft geriethen. Auch
das setzt schon ein Bekanntsein mit Aehnlichem voraus, und dazu kommt,
dass sich beim malaiischen Stamm ueberhaupt die Sitte des Kindermordes
oder des kuenstlichen Abortus sehr haeufig findet. So treiben die Battas
haeufig die Frucht vorzeitig ab, Waitz 5, 190; die oestlichen Malgaschen
toedten Zwillinge, sowie sie solche Kinder, die an einem boesen Tage
geboren wurden, ertraenkten, aussetzten oder lebendig begruben (Waitz 2,
441). Die Bisayas ziehen, um nicht zu verarmen, nur wenige Kinder auf,
und toedten uneheliche Kinder meist, weil das Maedchen, ihr Vater und ihr
Geliebter fuer aussereheliche Schwangerschaft Strafe zahlen muessen
(Loarca in Ternaux Archives 1, 23). Aehnlich die Pintados auf den
Philippinen, welche ihre Kinder vom 3ten an toedten, indem sie dieselben
unter Festen und Lustbarkeiten lebendig begraben, so wie auch, um sie
nicht ernaehren zu muessen, alle unehelichen Geburten (nach einem Bericht
von 1577 in N. Journ. As. VIII, 39, 1831). Auf den Niasinseln setzt man
die Kinder aus (Domis bei Oosterling tydschrift toegew. van de
verbreiding d. Kennis v. Oost. Indie II, 2, 125). Abtreiben der Kinder
bei den Dajaks aus Sittenlosigkeit erwaehnt Schwaner Borneo 1, 203.

Wie hat man sich nun die Entstehung dieser schrecklichen Sitte zu
denken? Ist es bloss Traegheit und Versunkenheit, worin sie wurzelt? In
Afrika und Nordamerika ist freilich meist das aeussere Elend ihr Anlass,
wie auch die Markesaner ihre Kinder aus Hungersnoth toedteten und assen
(Ellis 4, 328); allein das reicht weder fuer Polynesien noch fuer
Suedamerika aus. Meinicke meint nun (b, 59 bis 60), dass in Polynesien
der Kindermord eingefuehrt sei, um die Reinheit des Blutes der
Aristokratie zu erhalten. Er stuetzt diese Ansicht, fuer welche
historische Gruende sich nicht aufstellen lassen, dadurch, dass, trotzdem
der Kindermord bei allen Klassen der Bevoelkerung vorkommt, er doch zu
Tahiti zumeist von den Areois ausgeht, dass alle Kinder aus gemischten
Ehen, die bei der foermlichen Berechtigung der Vornehmen zu jeglichem
Lebensgenuss gar nicht zu vermeiden waren, getoedtet wurden. "So moegen",
faehrt er S. 60 fort, "solche Kinder seit Jahrtausenden getoedtet sein,
ohne dass dies bei den koerperlichen Vorzuegen, die dergleichen
Verbindungen mit Menschen niederen Standes nicht haeufig gemacht haben
werden und bei ihrer geringen Zahl grossen Einfluss gehabt haben wird.
Aber mit der Zeit fing man an, Kinder auch zu toedten, um durch die
Sorge, die sie erforderten, nicht an Ausschweifungen und Vergnuegungen
gehindert zu werden (wie es bei den Areois der Fall war), und endlich
verbreitete sich die grauenvolle Sitte bloss durch den Einfluss der
Mode, die auf den Suedseeinseln so gut wie in anderen Erdtheilen die
niederen Staende antreibt, Verkehrtheiten und selbst Laster der Vornehmen
nachzuahmen, auch unter das Volk, wo sie in der Bequemlichkeit,
Liederlichkeit, Armuth und den Beschwerden, die Kinder zu erziehen,
mannigfache Unterstuetzung fand. Man sieht, dass der Kindermord so mit
der Zeit stets zunehmen musste und wird hierin eine Hauptursache der
erstaunlich raschen Abnahme der Bevoelkerung zu suchen haben, wenn auch
die Angaben der Missionaere ueber die Zahl der hingeopferten Kinder
uebertrieben sein sollten". Dies letztere ist nun zwar bei den mit
bestimmten Zahlen angegebenen einzelnen Faellen und der genauen
Uebereinstimmung der Angaben, welche die Missionaere machen, nicht
wahrscheinlich[H] wie denn Ellis ausdruecklich sagt, dass er Williams
Angabe, 2/3 der Kinder seien getoedtet, an Ort und Stelle geprueft und
nicht uebertrieben gefunden habe. Recht aber hat Meinicke darin, dass
auch er diese Sitte fuer eine sehr alte ansieht.

Allein sonst ist seine Ansicht schwerlich richtig. Mag auch spaeterhin,
und er hat es gewiss sehr reichlich gethan, der Unterschied zwischen
Volk und Adel dem Kindermord weitere Ausdehnung verliehen haben;
veranlasst hat er ihn gewiss nicht, wofuer zunaechst spricht, dass wir in
Suedamerika den Kindermord fast in aehnlicher Ausdehnung wie in
Polynesien, jenen Standesunterschied aber nicht vorfanden. Aber auch fuer
Polynesien allein wird es bedenklich, den letzteren als alleinige
Ursache des ersteren anzusehen, wenn man Folgendes erwaegt. Williams
sagt, wie wir schon vorhin sahen, dass ein niederer Mann durch
Kindermord sich dem Stand seiner vornehmeren Frau angleichen kann; was
Meinicke, wohl nur durch einen Irrthum seinerseits, fuer einen Irrthum
hielt. Denn aller Rang vererbte durch die Mutter; der Adel war ferner
eine mit Seele begabte, goettliche Klasse, im Gegensatz zu dem
unbeseelten, irdischen Volk. Kinderseelen nun, welche nach Moerenhout fuer
besonders heilig gehalten und zu denen als Vermittlern zwischen Goettern
und Menschen besonders gebetet wurde, konnten, wenn fuer den unbeseelten
Mann geopfert, ihm, sei es durch direkten Uebergang in ihn, oder sei es
durch Vermittlung bei den Goettern, zu einer Seele verhelfen, wodurch er
zu hoeherem Rang emporstiege. Die Areois sind eine religioese
Gesellschaft; religioese Scheu zeigte sich in der Art, wie man
(wenigstens in Tahiti) die Kinder umbrachte; man hat sie also in vielen
Faellen vielleicht nur getoedtet, um Schutzgeister zu haben oder sie als
Opfer fuers eigene Leben--solche Opfer werden wir gleich noch mehr
sehen--den Goettern darzubringen. Dieselbe Bedeutung hat wohl der
Kindermord in Mikro-und Melanesien gehabt, wie einzelne Spuren noch
andeuten, wenn sich auch Zwingendes nicht dafuer anfuehren laesst als eben
ihre Verwandtschaft mit den Polynesiern. Wenn aber Meinicke sagt, die
Sitte muesse ueberall geherrscht haben und sei, wo wir sie nicht erwaehnt
finden, wie in Tonga, nur uebersehen, so kann man das nicht zugeben; der
so feinen und scharfen Beobachtung Mariners haette sich ein so
auffallender Gebrauch nicht entziehen koennen und er fuehrt 2, 18-19 einen
Fall der Art ausdruecklich als etwas Ausserordentliches an. Aber moeglich
ist es, ja wahrscheinlich, dass die Sitte auch in Tonga urspruenglich
geherrscht hat, nur waehrend sie sich im uebrigen Polynesien ausbreitete,
so erlag sie schon sehr frueh und lange vor der Entdeckung dem besseren
Sinn der Tonganer, wie sie auch andere aehnliche Sitten aufgaben, z. B.
die Ermordung der Weiber beim Tode der Maenner, von der Mariner als von
einer frueher gebraeuchlichen hoerte (1, 342), die aber zu seiner Zeit
schon ausser Gebrauch gekommen war.

Da wir nun Gruende haben, bei den Polynesiern diesen Gebrauch fuer einen
urspruenglich religioesen zu halten, der freilich in spaeterer Zeit aus
ganz anderen Motiven, aus Faulheit, Eitelkeit, Lieblosigkeit,
Standeshochmuth u.s.w. sich unendlich verbreitete und das ganze Leben
der Nation in der neuen Gestalt anfrass; so moechte auch die ziemlich
weite Verbreitung der Sitte, wie wir sie im eigentlichen Malaisien von
Luzon bis nach Madagaskar hin nachwiesen, auf demselben Princip beruhen.
Wie es sich in Suedamerika hiermit verhaelt, lassen wir, da es uns an
aelteren Daten fehlt, uneroertert; doch hat hier vielleicht eine aehnliche
Grundanschauung geherrscht, als wir sie fuer Polynesien annahmen. Denn in
Mexiko wenigstens glaubte man, kleine Kinder, welche stuerben, seien den
Goettern besonders lieb; sie kaemen zu einem Baum, von welchem bestaendig
Milch herabtraeufele, und seien Vermittler zwischen Goettern und Menschen
(Waitz 4, 166). Kinderopfer, um die Goetter gnaedig zu stimmen, kamen viel
bei ihnen vor (4, 159) und das Bild des Gottes, das sie bei der
Ceremonie, die unserem Abendmahl aehnlich ist, unter sich vertheilen und
als "das Fleisch Gottes" verzehren, war mit Kinderblut angefertigt, wie
auch bei den Totonaken die Kuchen bereitet waren, welche sie "das Brot
unseres Lebens" nannten (Waitz 4, 161). Jetzt scheint diese Sitte dort
keine anderen Motive zu haben, als Eitelkeit, Faulheit und Elend und
Noth[I]. Das Toedten von Zwillingen oder des einen von beiden Kindern
beruht auf anderen Grundlagen: es geht aus von dem Schreck ueber das
portentum einer mehrfachen Geburt, in welcher man etwas Unnatuerliches
und daher Unheimliches oder aber eine Thieraehnlichkeit sah.




Sec. 9. Krieg und Kannibalismus.


Haben wir oben gesehen, wie wenig das Menschenleben bei den Naturvoelkern
geachtet wurde, so werden wir von seinem geringen Werth bei ihnen im
Folgenden noch massenhaftere Beispiele finden, da wir uns zunaechst mit
der Frage beschaeftigen muessen, welchen Einfluss auf Zahl und Existenz
dieser Voelker haben Krieg, Kannibalismus und Menschenopfer gehabt?

Freilich scheint die Art der Kriegfuehrung bei den unkultivirten Staemmen
mindere Opfer als bei den kultivirten gefordert zu haben. Denn so
kriegerisch auch die Nordamerikaner waren, so sehr ihr ganzes Leben
beinah auf dem Krieg beruhte, so galt ihnen doch eine Art der
Kriegfuehrung, wie die europaeische, wo man in offener Feldschlacht stets
das eigene Leben in Gefahr setzt, fuer Thorheit, ihr Krieg bestand nur in
Ablauern des Feindes, in Ueberfall und Hinterhalt; daher er denn, dem
entsprechend, minder durch Tapferkeit als durch Schnelligkeit,
Schlauheit und Verwegenheit gefuehrt wurde. Aber dafuer endete auch der
Krieg bei ihnen nie: denn Grenzverletzungen oder Blutrache, sowie Rache
fuer Zauberei (durch die man jeden Todesfall, namentlich aber den Tod von
Haeuptlingen verursacht glaubte) oder alter, einmal eingewurzelter und
durch stets neue schlimme Thaten niemals verloeschender Stammhass
erregten ihn immer aufs Neue. Und gerade diese versteckte, fast feige
scheinende Art, wie sie den Krieg fuehrten, brachte oft ein furchtbares
Blutvergiessen hervor, da bei den Ueberfaellen der meist unvorbereitete
und wehrlose Feind ganz und gar mit Weib und Kind niedergemetzelt wurde,
schon der Skalpe wegen, deren Erbeutung ja den Siegern die groesste
Herzenssache und Ehre war. In Virginien zwar und bei den Huronen wurden
Weiber und Kinder meist zu Gefangenen gemacht; war der Kampf aber lang
und erbittert gewesen, so mordeten auch hier die Sieger so lange als sie
die Arme heben konnten (Waitz 3, 150-154). Und gefangene Feinde, die
Maenner wurden ja von diesen Voelkern wie bekannt so gut wie immer
getoedtet. Dass aber solche Kriege der Existenz ganzer Voelker
verhaengnissvoll geworden sind und also, als fuer ihr Aussterben
grundlegend, recht eigentlich zu unserer Betrachtung gehoeren, dafuer hat
Waitz, was Amerika betrifft, 1, 165, Zeugnisse gesammelt. "Die
Kupferminenindianer sagt er an dieser Stelle, wurden durch die
Hundsrippenindianer (Hearne) fast vertilgt, die Moquis durch die Navajos
im hohen Grade geschwaecht (Schoolcraft), die Osagen durch ihre
erstaunlich vielen Feinde innerhalb 10 Jahren auf die Haelfte ihrer
frueheren Anzahl reducirt. Der kleine Rest des besiegten Volkes wird dann
nicht selten von dem siegenden in sich aufgenommen und sein Name
verschwindet von da an aus der Geschichte. Auf diese Weise sollen z.B.
die Creecks allmaehlich die Reste von 15 anderen Staemmen verschlungen
haben." Auch die Irokesen (Waitz 3, 155) haben ausserordentlich durch
derartige Kriege gelitten. Jenseits des Felsengebirges sind die Kriege
viel milder und thun im Ganzen wenig Schaden (3, 338) und ebenso ist es
auch bei den Oregonvoelkern, wenn diese gleich viel kraeftiger zu sein
schienen als die Nulkas und Chinooks.

Der Kannibalismus, welcher vom Kriege nicht zu trennen ist, hat auf die
Voelker Nordamerikas keinen sehr bedeutenden und fuer ihre Zahl durchaus
ungefaehrlichen Einfluss gehabt. Er findet sich bei manchen Voelkern, z.B.
den noerdlichen Athapasken, den Hasenindianern, Nipissangs, den Crees,
Ojibways, doch ist bei allen diesen das Entsetzen vor der That ein ganz
ausserordentliches. Ebenfalls findet er sich, und durch gleiche
Veranlassung, bei den Indianern in Canada, die ihn aber minder
verabscheuen (Waitz 3, 89). Allein bei den Algonkins und den Irokesen,
den Sioux war der Kannibalismus frueher (jetzt hat er aufgehoert) weit
verbreitet und besonders merkwuerdig ist es, dass es bei den Miami und
Potowatomi eine besondere, aus bestimmten Familien sich ergaenzende
Gesellschaft gab, welche Menschenfleisch ass und sich im Besitz von
uebernatuerlichen, auf andere uebertragbaren Zauberkraeften waehnte (Waitz 3,
159 nach Keating): man wird an die Gesellschaften der Areois auf Tahiti
und die entsprechenden auf den anderen polynesischen Inseln erinnert.[J]
Aber bei allen diesen amerikanischen Voelkern sowie auch bei den
Oregonindianern (Waitz 3, 345) ward der Kannibalismus nur an gefangenen
oder gefallenen Feinden ausgeuebt, deren Herz man ass, theils aus Rache,
theils um sich die Tapferkeit und Kraft dessen, dem das Herz gehoerte,
anzueignen (Waitz 3, 159).

In Suedamerika hat der Krieg nicht minder, die Anthropophagie noch weit
mehr gewirkt, als in Nordamerika: lebte doch hier das Volk, welches dem
Kannibalismus seinen Namen gegeben hat, die Kaniben, Kariben oder
Karaiben. Urspruenglich auf den kleinen Antillen und dem ihnen
gegenueberliegenden Festland heimisch machten sie von dort aus, nach
Columbus Erzaehlung, verheerende Kriegszuege in weite Ferne, um Weiber zu
erbeuten, waehrend sie die Maenner erschlugen und sie, wie auch ihre
eigenen mit den gefangenen Weibern erzeugten Kinder frassen (Waitz 3,
374-375). Auch ihre Weiber waren ausserordentlich kriegerisch und
kaempften so selbststaendig, dass die Sage von den Amazonen, die im
noerdlichen Suedamerika haeufig vorkommt, durch sie veranlasst zu sein
scheint. Schomburgk 2, 429 erzaehlt, dass die Kariben sich namentlich
gegen die Makusis wandten, um Sklaven zu erbeuten, zu welcher
Menschenjagd sie von den Hollaendern aus Eigennutz angetrieben wurden,
denn diese kauften die Sklaven von ihnen. Er schildert diesen
scheusslichen Handel naeher und sagt, dass er bis gegen die vierziger
Jahre dieses Jahrhunderts, also bis auf unsere Zeit hin bestanden habe!
Die Art nun, wie noch jetzt die Kariben von allen anderen indianischen
Staemmen als Herrn und Gebieter gefuerchtet werden, so dass sie ohne
Weiteres sich in jeder beliebigen Huette was ihnen gefaellt nehmen koennen
(ebendas. 427); so wie die blinde Angst, welche man noch jetzt in jenen
Gegenden vor ihnen hat, laesst erkennen, was sie einst gewesen sein
moegen. Und wie durch sie die Aturen (Humboldt c, 1, 284) in die
Katarakten des Orinoko, wo

  ihres Stammes letzte Spuren
  birgt des Uferschilfes Gruen,

hineingedraengt verkamen: so waren die blutigen Kriege, welche von ihnen
ausgingen, eine Hauptursache fuer die Verminderung der Staemme in Guyana.
Indess verzehren sie jetzt (Schomburgk 2, 430) Menschenfleisch nicht
mehr; und jetzt sind auch sie sehr zusammengeschmolzen (eb. 417), wozu
ihre eigenen Kriege nicht wenig beigetragen haben moegen. Da nun auch die
Tupi tapfere, ja wilde Krieger waren (Azara 218) und sie sowohl wie auch
die Guarani (welche Azara 213 ff. freilich als sehr scheu schildert)
Menschenfleisch verzehrten; da nun auch fast alle suedamerikanischen
Staemme, die Araukaner (Waitz 3, 529 ff.), Chiquitos (eb. 530), die
Pampas, Patagonier u.s.w. (Azara an vielen Stellen) sich durch wilde
Tapferkeit auszeichneten und demzufolge zwischen ihnen fast stetiger
Krieg herrschte; da sie fast alle Kannibalen waren, wie die Mbayas
(Waitz 3, 473), ganz besonders die Guaykurus (471), die Tobas (475), die
Abiponer (476), die Feuerlaender (508) und ebenso die Patagonier, welche
alle feindlichen Maenner niederhieben, Weiber und Kinder aber zu
Gefangenen machten: so werden wir begreiflich finden, dass die Zahl
dieser Voelker, die in so heftigem und unablaessigem Kampf mit einander
sind, auch dadurch abgenommen hat und noch jetzt abnimmt. Tschudi 2, 259
sagt geradezu, dass die Angriffe der Botokuden auf die von den
Portugiesen um Rio Janeiro unterworfenen halb civilisirten Indianer die
Ursache seien, dass jene Gegenden auch heute noch so spaerlich bevoelkert
seien. Auch mag daran erinnert werden, dass jene Voelker in dem
Urarigift, mit dem sie ihre Lanzen vergifteten, eine ganz besonders
gefaehrliche Waffe haben, da dies Gift auch bei der leisesten Verwundung
unfehlbar toedtet.

Tuechtige Krieger waren nun, nach der trefflichen Schilderung bei Waitz,
auch die Kulturvoelker des alten Amerikas. Doch da ihre Kriege keine
Vernichtung des Feindes bezweckten, sondern diesem, auch wenn er besiegt
wurde, seine Nationalitaet und Hab und Gut liessen, bis auf den Tribut,
den sie zahlen mussten (Waitz 4, 77. 406), so konnten diese wohl den
Namen von Voelkern aufhoeren machen, indem sie das besiegte dem eigenen
Volke einverleibten, und namentlich in Peru geschah das oefters (407),
aber ein Volk vernichten oder auch nur so weit verringern, dass seine
Lebenskraft dadurch gebrochen waere, konnten sie nicht und haben sie
nicht gethan, denn Columbus, Cortez und Pizarro fanden dichtbevoelkerte,
bluehende Staaten vor. Zwar herrschte auch Anthropophagie in Mexiko: die
geopferten Sklaven oder Kriegsgefangenen wurden verzehrt, und die
Ottomies sollen sogar Menschenfleisch auf dem Markte verkauft haben,
eine Sitte, die man so wenig anstoessig fand, dass man offen davon sprach
und den Spaniern erzaehlte, ihr Fleisch schmecke bitter (Waitz 4, 158);
doch liegt es auf der Hand, dass auch diese Sitte dem Bestehen dieser
Voelker oder seiner Nachbarn nicht die mindeste Gefahr brachte, da sie
sehr wenig ausgedehnt war. Sie scheint ein Recht zu sein aus alter und
aeltester Zeit, wo sie dann freilich weitere Verbreitung gehabt haben
wird. Auch in Neugranada war Kannibalismus, in manchen Gegenden des
Landes in sehr roher Form, verbreitet (Waitz 4, 374, 376). Was von den
Cariben erzaehlt wird, dass sie ihre eigenen mit gefangenen Weibern
erzeugten Kinder gefressen haetten, wird auch von ihnen berichtet (4,
374). Auch in Yukatan (310) fand sich Anthropophagie.

Anders aber finden wir es in der Suedsee. Zwar in Australien sind, ausser
im Norden, die Kaempfe an sich wenig blutig: Hale 115 beschreibt
dieselben, wie sie meist aus Privatschlaegereien entstehen, wie sich dann
beide Parteien, jede bis 200 stark, heftig und lange erst schelten, und
dann Mann fuer Mann vortritt und den Speer schleudert, bis einer
verwundet wird: dann hoert der Kampf auf. Doch fehlt es ihnen keineswegs
an Muth, Kraft und Standhaftigkeit, wie sie auch Schmerzen mit grosser
Geduld ertragen (Turnbull 34-35). Allein da die Kriege, bei der
Verfehdung fast aller Staemme unter einander, doch sehr zahlreich sind
(Wilson 143 v.d. Rafflesbai), da man manche Staemme von ihnen, namentlich
die Nordaustralier, deren Krieger und Zauberer durch den ganzen
Continent aufs Aeusserste gefuerchtet sind, als Gegner auch Europaeern
gegenueber keineswegs verachten darf (Grey 1, 152), da ferner auch diese
Kriege zum groessten Theil in Ueberfall und in Ermorden Wehrloser oder
Schlafender bestehen und, weil jede solche That wieder Rache verlangt,
geradezu unendlich sind (Meinicke a 2, 198)--so sind sie fuer die Zahl
und das Gedeihen der Einwohner so verhaengnissvoll, dass wir sie als eine
der wichtigeren Ursachen fuer das Aussterben der Australier hier
bezeichnen muessen. Auch die Eingeborenen von Vandiemensland lebten unter
einander in bestaendigem Streit, der von Stamm gegen Stamm ausgefochten
wurde (Nixon 26).

Auch Kannibalismus herrscht in Neuholland, doch keineswegs sehr
ausgedehnt. So brauchen nach Angas 1, 68 die Eingeborenen von Lake
Albert die Schaedel ihrer Feinde als Trinkgeschirre, ganz wie die Inkas
von Peru (Waitz 4, 413) und die Abiponer, und nach dem bekannten
Zeugniss des Paulus Diaconus, die Langobarden.[K] Ferner sollen
Kannibalen im Innern des Landes leben (Angas 2, 231); ganz sicher
verzehren im Norden Freunde ein Stueck vom verstorbenen Freund und an
Moretonbai assen (Angas 1, 73) Eltern aus Liebe von dem Fleische ihrer
todten Kinder, eine Sitte, welche nach Anderen auf geliebte Verwandte
ueberhaupt ausgedehnt ist (Howitt a, 289. Austral, Felix 134). Sie findet
sich auch zu Hawaii: dort ass das Volk aus Liebe Fleisch von der Leiche
seiner verstorbenen Fuersten (Remy XLVIII. 125.[L]) Auch Aberglaube
diente dazu den Kannibalismus zu verbreiten. Wie bei den Potowatomi und
den Miami in Nordamerika, wie in so manchem indisch-arabischen Maehrchen
der Genuss des Menschenfleisches hoehere uebermenschliche Kraft gibt--ein
Zug, der auch, wie wohl verdunkelt, in deutschen Sagen vorkommt
(Bechstein, Sagen des Rhoengeb. u. d. Grabfeldes 60 ff.)[M]--ebenso
muessen in Australien (nach Eyre) die Zauberer Menschenfleisch essen, um
ihre Wunderkraft zu behalten. Am Lake Alexandrine ist es nicht
ungewoehnlich, einem lebenden Menschen das Nierenfett auszuscheiden, das
als Zauber gegen boese Geister von ganz besonderer Kraft sein soll (Angas
1, 123). Auch Bennet (1, 295) fand Menschenfett als Zaubermittel oder
Medikament aufgehoben. Meinicke a 2, 184 hat also wohl die Neuhollaender
zu frei von Kannibalismus dargestellt.

Gehen wir nun zu den melanesischen Inseln, so finden wir auf Vanikoro
unter den einzelnen Staemmen fortwaehrenden Kampf (D'Urville 5, 165) und
wenn sie auch keine Kannibalen zu sein behaupten, so dienen die Schaedel
der Feinde doch als Trophaeen (eb. 217), welche oeffentlich aufbewahrt
werden. Auch auf Tanna herrscht bestaendiger Krieg der einzelnen Staemme
unter einander (Turner 82, Gill 227), da jede Privatbeleidigung einen
oeffentlichen Krieg nach sich zieht (85), und ausgebildetster
Kannibalismus: die erschlagenen Feinde werden mit Yams gekocht, Farbige
den Weissen vorgezogen, einzelne Portionen des Fleisches an Freunde
geschickt als Ehrengeschenke u.s.w. (82). Auch auf Fate und Aneitum,
obwohl beide minder kriegerisch sind, findet sich der Kannibalismus
(Turner 393. 371. Gill 66). Erromango und Mare (Nengone), auf welcher
letzteren Insel zwei feindliche Staaten neben einander bestanden, waren
fortwaehrend von leidenschaftlichem Krieg heimgesucht und die
Anthropophagie hatte hier einen solchen Grad erreicht, dass selbst die
naechsten Verwandten, wenn man mit ihnen in Streit gerieth, erschlagen
und gefressen wurden (Gill 10-11; 122. Turner 400. 411). Es ist eine
leere Behauptung oder auch Einbildung der katholischen Mission, dass sie
auf Neukaledonien den Kannibalismus haette aufhoeren machen (Montreval in
nouv. annal. de la foi 1854, 94); Turner (um anderer zu geschweigen)
fand ihn daselbst sehr ausgebildet und so unbefangen, dass er ueberall
eingestanden und besprochen wurde (426), wie er uns auch von den
bestaendigen Kriegen der Insel (428) berichtet. Die Bewohner von Isabel
schildert schon Mendana 1595 (Dalrymple 91) als Menschenfresser und
eifrige Krieger, wie sich auch die Bewohner von Guadalcanar zeigen.
Eifrige Krieger und Menschenfresser sind auch die Eingeborenen der
Lusiade (Salerio bei Petermann 1862, 342-344) und von der Nordwestkueste
von Neuguinea sagt einer der besten Kenner dieser Gegenden, Marsden (in
Transact. of the Reg. Asiat. Soc. 3,125), dass daselbst ein aeusserst
roher Kannibalismus herrsche: man frisst Feinde so gut wie Freunde,
natuerlich Gestorbene so gut wie Erschlagene, und ist dieser Nachricht
gegenueber nicht abzusehen, wie Finsch (49) seine Behauptung, noch sei
von keinem glaubwuerdigen Manne bestimmte Nachricht ueber das Vorkommen
des Kannibalismus auf Neuguinea gegeben, aufrecht halten will. Einzelne
der neuguineischen Staemme sind Koepfeschneller, d.h. sie schlagen todt,
wen sie finden, um Koepfe zu erbeuten, deren recht viele zu besitzen
eine grosse Ehre ist; und so entstehen bloss zu diesem Zwecke im
Distrikt Namototte (Speelmannsbai) die hartnaeckigsten und moerderischsten
Kriege (N. Guin. 109 ff. und daher wohl Finsch 82).

Aber schlimmer als ueberall ist die Geringschaetzung des Menschenlebens
auf den Fidschiinseln, deren Einwohner im Ruf einer besonderen
Tapferkeit auch auf Tonga stehen, und die von solchen Tonganern, welche
Kriegsabenteuer erleben und zu Hause selbst als Krieger beruehmt sein
wollten, vielfach besucht wurden (Mariner). Krieg ist nun auch, nach
Wilkes 3, 63, ihre so bestaendige Beschaeftigung, dass irgend welcher
Kampf auf der Gruppe immer herrscht; und da die Insulaner ebenso
blutduerstig als verraetherisch sind (Hale 50), so sind diese Kriege sehr
zerstoerend. Doch fuehren sie den Krieg, der indessen stets offen angesagt
wird, nur durch Verrath und heimlichen Ueberfall; weshalb sie Williams
und Calvert (1, 43) und ebenso Erskine (249) geradezu feig nennen. Wegen
des bestaendigen Verrathes herrscht ein grenzenloses Misstrauen auf der
Gruppe, Niemand geht, aus Furcht ueberfallen zu werden, ohne Waffen
(Will. u. Calv. a.a.O.), Niemand traut einem andern, selbst nicht den
naechsten Verwandten (Hale 51). Und das nicht ohne Grund: denn da zu
ihren nur einigermassen solennen Bewirthungen Menschenfleisch nothwendig
gehoert, so werden oft die harmlosesten Wanderer (je harmloser, desto
eher), Weiber bei der Feldarbeit u.s.w. ueberfallen und getoedtet, wozu
Erskine 182 empoerende Beispiele erzaehlt. Wenn auch die Schlachten,
sobald nur einige gefallen sind, aufhoeren (Jackson bei Erskine 425), so
sind die Kriege doch ausserordentlich blutig durch die sinnlose Wuth,
mit der Alles, was ihnen in die Haende kommt, gemordet wird. Bei
Ueberfaellen, die sehr haeufig sind, machen sie es nicht anders, so dass
oft ganze Distrikte (Erskine und Jackson a.a.O. Seemann Zeitschr. 9,
476) vernichtet werden. Wer einen Menschen erschlagen hat, bekommt einen
Ehrennamen und wird durch besondere Ceremonien geweiht (Will. u. Calvert
55), gerade wie in einigen Gegenden Neuguineas nur der Kakadufedern
tragen darf, der einen Feind getoedtet hat, und bei den alten Deutschen
nur ein solcher aus dem kostbarsten und heldenhaftesten Trinkgefaess, dem
Schaedel des erschlagenen Feindes, trinken durfte.

Der Kannibalismus ferner steht hier in solcher Bluethe, wie wohl nirgends
sonst auf der Welt. Erskine, der um 1840 die Gruppe besuchte, gibt
(257-60) Beispiele. Den Menschen nennen die Eingeborenen nur das "lange"
Schwein, zum Unterschied vom "wahren" Schwein (ebend.); bei jedem Fest
muss Menschenfleisch gegessen werden, zu welchem Behufe die das Fest
gebenden Staemme gar nicht selten ihre eigenen Kinder schlachten; alle
Feinde, alle Schiffbruechigen werden gefressen (Erskine. 262. 229). Oder
man erschlaegt, um das noethige Fleisch zu bekommen, den ersten besten aus
dem Volke, den man unbewaffnet trifft (so wurden einmal 16 Weiber
gefangen und gegessen, wie Erskine 182 erzaehlt). Dass man allen Freunden
von dieser geschaetztesten Speise schickt, ist so feste Sitte, dass gar
nicht selten, weil es bei irgend einer Gelegenheit unterlassen, Krieg
entsteht. Dem Gebratenen gibt man oft eine Keule in die Hand, malt ihm
das Gesicht roth und setzt ihm eine Perruecke auf (Erskine 262); ja in
einigen Gegenden der Gruppe fuehren die Weiber um diese Todten und ihnen
zum Hohne die allerschandbarsten Taenze auf (Jacks, bei Erskine 440).
Auch hat man verschiedene Arten, Menschenfleisch zu kochen, welche nach
den Landestheilen verschieden sind (261. 439). Als der Sohn eines
Haeuptlings starb; jammerte ihm sein Vater nach: er war so kuehn! er
toedtete, wenn sie ihn erzuernten, seine eigenen Weiber und ass sie (Ersk.
244). Auch Mariner (1, 329) nennt den Kannibalismus auf den
Fidschiinseln sehr verbreitet und sagt, dass er von dort erst zu den
Tonganern, die ihn nur in prahlerischer Nachahmung der Fidschis ausueben,
gekommen sei; an einem Fest haetten die Fidschimaenner 200 Feinde gegessen
(1, 345; 2, 71). Wer eines natuerlichen Todes stirbt, wird nicht gegessen
(Williams und Calvert 1, 266), doch hat man auch Graeber erbrochen, um
die Leichen zu verzehren! (eb. 212), ja man schneidet, um auch das
Scheusslichste nicht zu verschweigen, auch von Lebenden, aber nur von
gefangenen Feinden, Fleisch ab und verzehrt es vor ihren Augen (Will. u.
Calv. 1, 212). Der Grund des Kannibalismus, urspruenglich Hass und
Rachedurst oder Prahlerei, indem man sich dadurch furchtbar machen
wollte, oder die Absicht, sich die Eigenschaften des Gefressenen
anzueignen, ist jetzt fast ueberall auf der Gruppe nur Wohlgeschmack am
Menschenfleisch, das sie jetzt jedem anderen Fleische vorziehen. Roh
verzehren sie es nie: die Gabel, mit der es gegessen wird, ist fuer alle
anderen Speisen verboten (Tabu) (eb. 212). Mit Trommelschlag in ganz
bestimmtem Rythmus

   |  |\ |  _  |   |     |  |\ |  _  |   |
   |  |  |  /  |   |     |  |  |  /  |   |
  *  *  *     * ' * ' , *  *  *     * ' * ' ,

der sonst nie angewendet wird, laden sie zu den Kannibalenfesten ein
(Erskine 291), von denen Weiber fast immer, Sklaven und gewisse Priester
immer ausgeschlossen sind (Erskine 260; Williams und Calvert 1, 211).
Und trotz alledem hatte der Kannibalismus eine religioese Weihe bei
ihnen: die getoedteten Feinde werden zuerst den Goettern dargeboten
(Erskine 261), die selbst Kannibalen sind (247) und jedes Kannibalenfest
hat bestimmte, sonst nicht getanzte heilige Taenze (209. 440).

Wir haben uns bei diesem ekelhaften Detail so lange verweilt, einmal,
weil es anthropologisch von hohem Interesse ist--dann aber und
hauptsaechlich, um zu beweisen, dass der Kannibalismus, der so
ausgepraegt, so eingewurzelt bei den Fidschis ist, nicht erst, wie jetzt
die Haeuptlinge gern erzaehlen, in der letzten Zeit aufgekommen sei, Hand
in Hand mit dem blutiger werdenden Kriege (Erskine, 272). Er besteht
gewiss viele Jahrhunderte lang, gewiss viel laenger, als die Fidschis
ihre jetzige Wohnung inne haben: allein er hat sich immer weiter
ausgedehnt und mag seine rohesten Formen, z.B. das Menschenfressen aus
Leckerei erst im letzten Jahrhundert seines Bestehens, so lange aber
auch mindestens, angenommen haben. Trotzdem aber, und auf dies Faktum
werden wir zurueckkommen, trotzdem ist ein Aussterben der Bevoelkerung
nicht zu merken (Erskine 274). Die Zahl derselben betraegt nach den
Missionaeren (ebendas.) 200-300,000 und mag dies auch etwas zu hoch
gegriffen sein, sie ist jedenfalls betraechtlich genug, so dass auch Behm
200,000 als Totalsumme annimmt. Und ferner, was von besonderer
Wichtigkeit fuer die geschichtliche Betrachtung der Naturvoelker ist, sie
selbst haben das Bedenkliche des Kannibalismus eingesehen; daher jene
halb entschuldigende Rede der eingeborenen Fuersten; daher die
verhaeltnissmaessige Leichtigkeit des Kampfes, welchen die Missionaere
gegen die Anthropophagie fuehren, welchen man doch gerade, wegen des
Alters der Sitte, fuer unendlich schwierig halten sollte (Erskine 280).
Ja sie werden sogar von einer heidnischen Partei darin unterstuetzt,
welche sehr gegen den Kannibalismus, sowie gegen das unsinnige Morden
der Weiber und Sklaven ist, welches wir gleich betrachten werden, und
fuer Abschaffung aller dieser Sitten eifrig kaempft. Die Fuersten sind es,
welche aus feudalen Geluesten dies Alles aufrecht erhalten wissen wollen
(Seemann Zeitschr. 10, 289). Man sieht, das Christenthum ist hier gerade
im rechten Zeitpunkt gekommen: man sieht aber auch ferner, solche
Umaenderungen, wie wir sie vorhin fuer Tonga voraussetzten, haben sich
wirklich bei diesen Voelkern vollziehen koennen: wir sehen sie hier bei
einem viel roheren Volk vor unseren Augen geschehen.

Auch in Polynesien herrschten die blutigsten Kriege, wobei aber zu
bemerken, dass, obwohl man den Eingeborenen persoenliche Tapferkeit
durchaus nicht absprechen kann, welche sie, auch die sonst so
weichlichen Tahitier, selbst den Europaeern gegenueber, wohl gezeigt
haben, dass trotzdem auch hier der Krieg hauptsaechlich durch Ueberfall
gefuehrt wird. Aber auch die Polynesier morden den besiegten Stamm
kaltbluetig mit Weib und Kind und so sind ihre Kriege ausserordentlich
blutig und verheerend. Solche Kaempfe herrschten nun zu Neuseeland und
trugen wie zur Zersplitterung der Maoristaaten zum Hinschwinden der
Bevoelkerung nicht wenig bei (Dieffenbach 2, 132), die theils im Krieg
selbst getoedtet, theils zu Sklaven gemacht, theils durch die Noth nach
dem Kriege vernichtet wurde (2, 16). In Tonga wurden Kriegsgefangene
(Mariner 1, 115) stets ermordet, und ebenso alle Einwohner eroberter
Staedte (1, 101). Von den grausamen Kriegen unter Finau (der z.B. einmal
18 nur verdaechtige Vornehme ertraenken liess, Mariner 1, 271), welche bei
Ankunft der Europaeer schon in voller Bluethe und nur Wiederholung oder
Fortsetzung frueherer aehnlicher war, hat uns Mariner ein getreues, aber
schreckensvolles Bild geliefert, wie er auch erzaehlt, dass die
tonganischen Sitten immer mehr durch die Bekanntschaft mit den Fidschis
verwilderten. Auf Samoa herrschte ein noch grausamerer Kriegsgebrauch
als zu Tonga (Mariner 1, 163) und haeufig genug waren diese blutigen
Kriege daselbst, welche Turner 304 und vorher schildert. Und betrachten
wir den Markesasarchipel, so ist ganz Nukuhiva in einzelne vom hohen
Gipfel der Insel herablaufende Thaeler getheilt, deren jedes von einem
besonderen Stamm bewohnt wird. Alle diese Staemme sind in erbitterter
Feindschaft und in ewigem Krieg (Melville, Krusenstern, Mathias G***).
Viel aerger aber als ueberall haben die Kriege auf Tahiti gewuethet, von
denen die Insel so fortwaehrend heimgesucht war, dass Lutteroth (22) ganz
mit Recht den Frieden einen der Insel unbekannten Zustand nennt. Und wie
wurden diese ewigen Kriege gefuehrt! Alle Fliehenden, die man einholte,
alle Weiber und Kinder der Besiegten, welche dem Sieger in die Haende
fielen, wurden niedergemetzelt (Moerenhout 2, 38-39, Lutteroth 21, Ellis
1, 310 ff.). Nun waren in frueherer Zeit fast alle Schlachten
Seeschlachten und gerade deshalb besonders blutig, denn die Besiegten,
welche sich durch Schwimmen ans Land zu retten suchen mussten, wurden
begreiflicher Weise leicht von den Kaehnen der Sieger eingeholt. Weniger
verderblich waren die Landschlachten, weil in ihnen, nach
malaiisch-polynesischer Sitte, der Sieg, nach dem nur einige wenige
gefallen waren, fuer entschieden angesehen wurde (Moerenhout 2, 40, Ellis
l, 312). Waren dann bei der Verfolgung die Menschen vernichtet, so gings
nun an die Zerstoerung des Landes: die Tarofelder und sonstigen
Pflanzungen wurden verwuestet, den Kokosbaeumen das Herz ausgeschlagen,
wonach sie absterben, die Brotbaeume umgehauen, die Haeuser verbrannt
(Ellis 1, 293, Lutteroth 21-22)--kurz die Besiegten wurden womoeglich
ausgerottet, ihr Land auf Jahre zu einer unfruchtbaren Oede gemacht.
Solche Kriege wuetheten auf der ganzen Gesellschaftsgruppe; der Missionaer
Nott erlebte auf Tahiti in einem Zeitraum von 15 Jahren 10 solcher
Kriege (Lutteroth 17). Auch die Kriege auf der Hawaiigruppe waren
verwuestend genug. Hier wie zu Tahiti gab es blutige Seeschlachten (Ellis
4, 155) und in den Landkriegen, in denen nach Jarves (59) Hinterhalte,
heimliche Ueberfaelle u. dergl. selten vorkamen, vielmehr meist in
offenen Feldschlachten (die auch zu Tahiti keineswegs selten waren,
Ellis 1, 284) gekaempft wurde, war es namentlich wieder die Verfolgung,
nicht die Schlachten selbst (Jarves 60), welche der Bevoelkerung und
ganzen Distrikten Tod und Zerstoerung brachte. Die Gefaehrlichkeit dieser
Kriege geht aus der Geschichte Hawaiis unter Tamehameha und aus den
Bewegungen, welche dieser grosse Fuerst auf der Gruppe hervorbrachte, zur
Genuege hervor. Auch die Paumotuinsulaner sind wilde, weit und breit
gefuerchtete Krieger, die unter sich die heftigsten Kriege fuehren. Die
Bewohner von Anaa (Chainisland) verwuesteten alle umliegenden Inseln,
hieben die Fruchtbaeume nieder und was von den Bewohnern nicht getoedtet
wurde, ward als Sklave mit fortgeschleppt (Moerenhout 1, 199 vergl. 169).
Nicht weniger als 38 Inseln haben sie auf diese Art veroedet (Hale 35).

Auch in Mikronesien wurden und werden heftige Kriege gefuehrt, so auf den
Palaus (Keate), auf einzelnen Karolinen und zwar auf den hohen Inseln
Eap, Truck (Hogoleu), Ponapi, nicht aber auf Kusaie (Ualan Chamisso 135,
Kittlitz 1, 356): so und besonders leidenschaftlich auf der Eatakkette
(Kotzebue, Chamisso) und auf den Gilbertinseln (Gulick 410). Waehrend man
in diesem Gebiet nur an einigen Orten die Baeume schonte (Hale 84) hieb
man, sie nach der gemeinsamen Sitte der Ozeanier, auf Ratak und sonst
nieder (Kotzebue 287), und man kann sich denken, wie furchtbar solche
Barbareien auf den kleinen schon ohnehin nur ueberaus kaergliche Nahrung
bietenden Inseln wirken mussten: viele, die der Krieg verschont hatte,
namentlich Weiber und Kinder, erlagen dem Hunger, dem Elend, das ihm
folgte. Daher ist die Behauptung, dass die einheimischen Kriege der
ozeanischen Bevoelkerung ganz unberechenbaren Schaden zugefuegt und
wesentlich zu ihrer stetigen Verminderung beigetragen haben, nur
allzusehr gerechtfertigt.

Die Sitte des Schaedelerbeutens, welche wir auf Neuguinea sahen und die
das ganze Malaisien beherrscht, finden wir insofern ueberall in
Polynesien, als man gierig die Schaedel und in Tahiti auch die
Unterkiefer der Feinde erstrebt, um sie als Trophaee aufzuheben (Nukuhiva
Melville 2, 129, Tahiti Bougainville 181, Ellis 1, 309, Perl- oder
Palliserinseln ebend. 1, 358, Aitutaiki 1, 309, Rarotonga 1, 359,
Neuseeland Dieffenbach 2, 134, Samoa Turner 301. 304). Hiermit haengt die
weite Verbreitung der Menschenfresserei enge zusammen, wie sie nach Hale
38 in Neuseeland, wo nach Thomson 1, 148 das letzte Beispiel dieser
Sitte noch 1843 vorkam, Hervey, Mangareva (Gambier), Paumotu und dem
Marquesasarchipel ganz allgemein und ohne Scham betrieben wurde. Auch zu
Kriegen wird sie oft Anlass, indem man, um ihn zu fressen, einen oder
mehrere Menschen eines fremden Stammes erschlug, welche That natuerlich
Rache erheischte. Auf Samoa, Tonga, Tahiti und Hawaii kommt der
Kannibalismus jetzt nur noch einzeln vor, auf Samoa bei ganz besonders
erbittertem Hass (Turner 194), auf Tonga aus Prahlerei und in Nachahmung
der Fidschisitten, (Mariner 1, 116-17), so wie bei Hungersnoth, wo man
irgend Jemanden, meist einen Verwandten erschlaegt und isst (eb. 2, 19;
1, 117); in Tahiti gleichfalls, aus Prahlerei, um sich furchtbar zu
machen (Ellis 1, 310). Aber frueher war er auf diesen Inseln allgemeine
Sitte (Hale 37), wie eine Menge seltsamer und anders ganz unerklaerbarer
Gebraeuche beweisen: so auf Tahiti der oft beschriebene Gebrauch bei
Menschenopfern, dem Koenig das linke Auge (den Sitz der Seele) des Opfers
darzubieten, der dann den Mund oeffnete, als ob er es verschlaenge und
durch diese Ceremonie Verstand und Klugheit bekommen sollte.
Urspruenglich hat er es gewiss gegessen, und erst spaeter, als die Sitten
sich milderten, begnuegte man sich, wie in analogen Faellen bei allen
Voelkern der Welt, mit einer symbolischen Handlung. Im Samoaarchipel
beugt sich, wer dem Sieger als besiegt sich unterwirft, vor demselben
nieder, indem er ihm Feuerholz und die Blaetter darreicht, in welche man
in Polynesien die Speisen, die gekocht werden sollen, einschlaegt (Turner
194). Und so liesse sich vieles anfuehren. Es scheint aber, als ob, wie
die Tahitier, Hawaier u.s.w. die Menschenfresserei abgeschafft hatten,
ehe die Europaeer kamen, noch an manchen anderen Orten Polynesiens
dieselbe Sitte in Abnahme oder doch in Misskredit gekommen sei, ohne
dass der Einfluss der Europaeer dies bewirkt haette: so laeugneten auf
Nukuhiva die wilden Taipis den Kannibalismus ganz und gar, und suchten
ihn den Weissen zu verbergen, wie Melville mittheilt. Und die
neuseelaendischen Fuersten erzaehlten, er sei keineswegs von Alters her bei
ihnen Sitte, sondern erst spaeter eingefuehrt (Thomson 1, 142), eine
Behauptung, welche entschieden falsch und nur von ihnen erfunden kaum
eine Widerlegung verdient.




Sec. 10. Menschenopfer.


In Nordamerika sind Menschenopfer nicht sehr zahlreich gewesen. In
Florida wurden Weiber und Diener ehedem beim Tode des Herrn gleichfalls
getoedtet, um ihm im Jenseits zu dienen (Waitz 3, 199-200), wie man
ebendaselbst den Erstgeborenen der Sonne opferte. Kinderopfer werden
auch sonst oefters erwaehnt: in Virginien, in Neuengland, bei den Sioux
und sonst (Waitz 3, 207). Auch bei manchen Caribenstaemmen wurden mit den
gestorbenen Haeuptlingen einige seiner Weiber lebendig begraben (ebend.
3, 387) und vornehmen Leuten folgte ein Sklave nach (3, 334). Allein bei
allen diesen Voelkern sind die Menschenopfer von so wenig Ausdehnung
gewesen, dass wir bei ihnen, da sie fuer unsere Betrachtung gar keine
Bedeutung haben, nicht zu verweilen brauchen. Um so zahlloser aber waren
die Menschenopfer, welche die Religion der amerikanischen Kulturvoelker
forderte und deren Ursprung in uralte vorhistorische Zeit zurueckgeht
(Waitz 4, 157). Wo wir Menschenopfer finden, werden wir dieselben immer
mit groesster Wahrscheinlichkeit auf die alleraelteste Zeit zurueckfuehren,
denn sie wurzeln stets in sehr ernst gemeinter Religiositaet, nie in
Grausamkeit. Spaetere Einfuehrung derselben findet sieh nur in ganz
vereinzelten Faellen und wird sich aus Nachahmung der Sitten anderer
Voelker, besonders heftiger Kriegserbitterung oder irgend etwas aehnlichem
fast immer erklaeren lassen. Wohl aber sind die Menschenopfer im Laufe
der Zeiten bei manchen Voelkern abgekommen: so bei den Indogermanen, den
Semiten u.s.w. Die Zahl dieser Opfer war nun in Mexiko geradezu
ungeheuer, wie folgende Zeugnisse, die alle aus Waitz 4, 157 ff.
entlehnt sind, beweisen. Der Bischof Zumarraga (zur Zeit der Entdeckung)
schaetzt sie bei Torquemada auf 20,000 jaehrlich, wenigstens fuer die
letzte Zeit des Reichs; in der Hauptstadt und ihrer naechsten Umgebung
soll ihre Zahl jaehrlich mehr als 2500 gewesen sein. Oviedo behauptet,
dass Montezuma jedes Jahr ueber 5000 geopfert haette; bei einem Fest in
der Stadt Tlaskala fielen 800 Opfer jaehrlich; der zweite Monat des
Jahres war, weil er so viele Menschenopfer forderte, nach der
Schlaflosigkeit der Menschen benannt. Trat Duerre, Misswachs u. dergl.
ein, so wurden die Opfer vermehrt. Die Einweihung des Haupttempels zu
Tenochtitlan (den 19. Februar 1487 nach Gama) "soll nach Torquemada
(1610) 62,344, nach Fra Toribio Motolinia und Ixtlilxochitl (von
muetterlicher Seite aus vornehmen mexikanischen Fuerstengeschlecht, von
vaeterlicher Seite Spanier, der mit grossem Eifer die Geschichte des
Landes seiner muetterlichen Vorfahren durchforschte und seine
grossentheils zuverlaessigen Werke um 1600 schrieb Waitz 4, 7 u. 8) sogar
80,400 Menschen das Leben gekostet haben." Die Schaedel der Opfer wurden
zu einer grossen Pyramide im Tempelhof aufgeschichtet, die man im
mexikanischen Haupttempel auf 136,000 berechnet hat (Waitz 4, 149). Und
ausserdem kommt noch eine grosse Zahl geopferter Menschen dadurch hinzu,
dass jedes auch kleinere Fest solche Opfer, nur wenigere forderte: durch
die stete Wiederholung aber, denn es gab viel Feste im Jahr, sammeln
sich auch diese zu einer grossen Summe. Wenn wir nun auch mit Waitz die
kleinsten der genannten Zahlen fuer die wahrscheinlichsten halten; so ist
die Zahl, die fuer jedes Jahr herauskommt, noch immer enorm. Waren die
eben besprochenen nur solche Opfer, die man den Goettern brachte, so
forderte der Tod vornehmer Menschen andere. Starb der Herrscher oder
irgend ein Vornehmerer sonst, so folgten diesem Weiber und Sklaven in
den Tod; aber da nun am 4ten, 20sten, 40sten und 80sten Tage nach dem
Begraebniss auf dem Grabe derartige Abschlachtungen stattfinden mussten,
so darf man sich auch die Zahl der auf diese Weise umgebrachten Menschen
nicht zu gering denken: stieg sie doch manchmal bis auf 200 (4, 167).

Die Quiches in Guatemala (4, 264) so wie die Chorotegen in Nikaragua
(279), toltekische Voelker, brachten Menschenopfer dar wohl ebenso
reichlich als die Mexikaner, wie denn ihre Religion in fast allen
Stuecken der mexikanischen gleich war. In Yukatan, wo solche Opfer zwar
auch vorkommen, waren sie doch minder zahlreich als in jenen Gegenden
und in Mexiko (4, 309).

In Darien vergifteten sich des Herrschers Lieblingsweiber und Diener bei
seinem Tod, oder sie wurden lebendig mit ihm begraben (4, 351), wie
Weiber und Diener auch bei den Chibchas in Neugranada getoetet (4, 466)
und Menschenopfer bei allen diesen Voelkern gar nicht selten den Goettern
dargebracht wurden. Ebenso war es auf den Antillen (4, 327).

In Peru waren Menschenopfer, wozu man gefangene Feinde nahm, selten und
nur bei ausserordentlichen Veranlassungen gebraeuchlich. Weiber und
Diener aber folgten auch hier dem Inka, deren einem 1000 seiner
Angehoerigen sich geopfert haben sollen, und ebenso den Vornehmen
freiwillig in den Tod nach, um ihm im Jenseits weiter zu dienen.
Namentlich aber Kinder wurden hier vielfach getoetet; wenn ein Vornehmer
krank war, wurde eins von seinen eigenen Kindern den Goettern zum
Ersatzopfer, wie man annimmt, geschlachtet, welches dann freudig in den
Tod zu gehen pflegte. Vor dem Auszuge zum Krieg, bei Krankheit des
Herrschers und bei dessen Inauguration wurden Kinder, meist Knaben von
4-10 Jahren, seltener Maedchen, nach einzelnen freilich nicht ganz
glaubwuerdigen Angaben bis zu 200, ja bis zu 1000, geopfert, was auch
beim Erntefest, bei verheerenden Epidemien, ja in einigen Gegenden mit
jedem erstgeborenen Kinde und mit dem einen von Zwillingen geschah. Auch
wurde den Todten von dem Blute des geopferten Kindes ein Strich von
einem Ohr zum anderen gezogen (Waitz 4, 460-61). Auch hier muessen wir
auf das zurueckkommen, was wir oben gesagt haben: die Kinderopfer dienen
nur dazu, einen bei den Goettern, denen Kinder am liebsten waren,
besonders gueltigen Vermittler zu haben; deshalb, und nicht zum Ersatz,
wurden die eigenen Kinder als Opfer bei Krankheiten preisgegeben und
unsere Auffassung wird unterstuetzt dadurch, dass die Kinder gewoehnlich
freudig in den Tod gingen: sie wussten, dass sie einem guten Loos
entgegengingen; daher auch der Strich mit Kinderblut ueber die Todten,
welche auf diese Weise gleich das Zeichen des Vermittlers an sich
trugen.

Die Kinderopfer in Mexiko hatten meist dieselbe Veranlassung und
denselben Zweck: so wurden zwei Kinder vornehmer Abkunft, wenn die Saat
aufging, ertraenkt, vier, wenn sie groesser war, dem Hungertode
preisgegeben (4, 159). In Nikaragua wurde ein Knabe, wenn Regen noethig
war, den Goettern dargebracht (4, 379). Aehnliche Opfer brachten die
Chibchas in Neugranada vor der Schlacht (364).

Nirgends aber sind auch die Menschenopfer massenhafter, als auf Fidschi,
wie wir daselbst auch den Kannibalismus schrecklicher ausgebildet
fanden, als sonst irgendwo. Zur Feier der Mannbarkeit eines
Haeuptlingssohnes, so erzaehlt Seemann (Zeitschr. 9, 476), sollte eine
rebellische Stadt ganz vernichtet, die Einwohner erschlagen, auf einen
Haufen zusammengetragen, auf diese Sklaven gelegt und auf diese wieder
der Einzuweihende gesetzt werden. Alle Schiffbruechigen, das verlangt ihr
Glaube, muessen getoedtet werden; wer es unterliesse, wuerde sonst selbst
im Schiffbruch umkommen (Erskine 249-50). Alte Eltern werden von ihren
Kindern, kranke Kinder von ihren Eltern lebendig begraben (ebend.) und
zwar ist es der eigene Wille der Opfer, dass ihnen so geschieht (477),
denn man glaubt, man kaeme nach und durch solchen Tod sofort in ein
anderes und viel besseres Leben; daher sich diese scheussliche Sitte mit
wirklicher Familienanhaenglichkeit vertraegt. Aber es ist ebendaher auch
begreiflich, dass nur wenige Menschen eines natuerlichen Todes sterben
(Will. u. Calvert 1, 188). Menschenopfer am Grabe, namentlich von
Haeuptlingen, sind ebenso gewoehnlich als umfangreich; die Weiber werden
entweder alle oder doch die Lieblingsweiber und eine Menge Sklaven
ermordet. Die Mutter, deren geliebter Sohn stirbt, folgt ihm bisweilen
ins Grab, der Freund dem Freund (Will. u. Calvert 1, 134). Auch hierzu
draengen sich, wegen der Belohnungen im Jenseits, die Opfer; die Weiber
erdrosseln sich selbst, wenn ihnen Niemand diesen Dienst thut (Erskine
293. Mariner 1, 347). Und wie fest man an den Menschenopfern hielt, geht
aus folgender Notiz bei Erskine 440 hervor: ein Fidschiinsulaner hatte,
von irgend welchem Mitleiden ergriffen, einen Gefangenen nicht dem Gotte
geopfert; da erschien ihm letzterer im Traum und quaelte ihn ueber diese
Unterlassung dermassen mit Gewissensbissen, dass der Mensch fast in
Raserei fiel. Doch dieselbe Partei, welche, wie wir schon erwaehnt haben
(S. 70), sich gegen den Kannibalismus wendete und ihn abzuschaffen
sucht, ist auch diesen Menschenopfern feindlich (Erskine 280) und so
werden auch sie, da der Einfluss der Europaeer hinzukommt, hoffentlich
nicht mehr allzulange dauern.--Aehnliche Gebraeuche fanden sich auch
sonst in Melanesien, wenn auch nirgends so uebertrieben wie hier:
namentlich ist es das Lebendigbegrabenwerden der Eltern, der Kranken,
die Ermordung der Mutter oder einer Verwandtin, wenn ein kleines Kind
stirbt, was uns berichtet wird.

Was nun Polynesien betrifft, so ist es gewiss Uebertreibung, wenn
Michelis (91. ohne Quellenangabe) erzaehlt, der Koenig von Futuna
(noerdlich von Samoa), dessen Insel 2000 Einwohner hat, habe waehrend
seiner Regierung an 1000 Menschen den Goettern geopfert. Denn wir finden
sonst in Polynesien die Menschenopfer nicht allzuzahlreich. Freilich ist
es ein Irrthum, wenn Ellis 1, 106 behauptet, sie seien in Tahiti erst
spaeter eingefuehrt, da sie mit der ganzen polynesischen Religion viel zu
eng verwachsen sind; wohl aber sind sie in spaeterer Zeit, noch vor der
Entdeckung, von den Eingeborenen selbst sehr beschraenkt. Bei Beginn
eines Krieges erhielt der Kriegsgott ein Menschenopfer (Ellis 1, 276),
dem so wie anderen Goettern oefters Menschen dargebracht wurden (1, 357).
In Kriegszeiten, bei grossen Nationalfesten, bei Krankheiten und dem Tod
der Fuersten (Bratring 182-83. 196) opferte man Menschen, sowie man die
Koepfe der Besiegten (was auch melanesischer Brauch war) in den
Tempelplaetzen als Weihgeschenk aufstellte (Moerenhout 2, 47). Haeufiger
waren diese Opfer in Hawaii, wo (Jarves 47) haeufig an 80 Menschen auf
einmal geschlachtet sein sollen. Man nahm, hier und in Tahiti, dazu
Gefangene oder Verbrecher oder Leute, die irgend ein Tabu gebrochen
hatten, oder, wenn deren keine vorhanden waren, Leute aus dem Volk
(Jarves 18. Ellis a.a.O.). Aehnlicher Gebrauch herrschte auch auf den
Herveyinseln (Williams 215). Wenn nun auch in Hawaii, nach den Angaben
der Fuersten, diese Opfer erst spaeter eingefuehrt sein sollten (Jarves
47); so ist dies nur ein Zeichen, dass man auch hier schon dies
Schreckliche der Sitte eingesehen hatte und sie im Abnehmen war.
Menschenopfer fanden selbstverstaendlich auch hier an den Graebern der
Vornehmen statt, zunaechst beim Ausstellen der Leiche und dann noch
zahlreicher beim Begraebniss selbst (Remy 115). Ebenso war es frueher in
Neuseeland Sitte--jetzt ist sie abgekommen--dass sich die Weiber am
Grabe ihrer Maenner erdrosselten, die Sklaven getoedtet wurden (Taylor
97). In Tonga wurden bei den Graebern der Vornehmen ab und zu Weiber
geopfert (authent. narrat. v. Tonga 78; Mariner 1, 295), was auf fruehere
Allgemeinheit dieser Sitte, gegen welche die tonganischen Fuersten selbst
eiferten, schliessen laesst.

Von besonderem Interesse ist der Kindermord, wie er sich auf Tonga
zeigt. So wurden (Mariner 1, 229) Kinder den Goettern geopfert, um den
Frevel eines Fuersten gegen ein Heiligthum wieder gut zu machen: ein
Opfer, welches gar keinen Sinn haette, wenn man nicht eben in den Kindern
den Goettern besonders angenehme Vermittler gesehen haette. Um des Koenigs
Leben zu erhalten, wurde eines von seinen mit einem Nebenweib erzeugten
Kindern getoedtet (1, 379): wenn aber der Tui-tonga, der hoechste
religioese und frueher wohl auch weltliche Herr von Tonga krank ist, da
genuegt ein Kind nicht und man toedtet drei bis vier (1, 454).

Ehe wir diesen Gegenstand verlassen, ist noch von einer Art Opfer zu
sprechen, die, wie es scheint, ueber die ganze Welt verbreitet ist: ueber
die Menschenopfer zur Einweihung, zur Sicherung von Gebaeuden u.
dergl.[N] Auch diese Sitte ist am uebertriebensten auf den
Fidschiinseln. Dort muessen neugebaute Kaehne, damit sie vor Sturm und
Unheil sicher sind, ueber lebende Sklaven in die See gerollt werden;
jeden Pfosten eines neu gebaut werdenden Hauses muss, damit der Pfosten
sicher steht, ein lebender Sklave umfassen--und zu diesem lebendig
Zerquetscht-, zu diesem lebendig Begrabenwerden draengen sich die Opfer,
denen es im Jenseits maechtig vergolten wird (Erskine 249-50). Die Sitte
war nicht bloss melanesisch, sondern auch ueber ganz Polynesien
verbreitet: in Neuseeland ruhte der Mittelpfeiler des Hauses frueher auf
Menschenleichen (Taylor 387 ff.) und von Tahiti erzaehlt dasselbe
Moerenhout 2, 22-23; doch scheint auch hier der Gebrauch in spaeterer Zeit
abgekommen zu sein; denn wenn er und Ellis (1, 346) diesen Gebrauch nur
fuer Tempel angeben, so ist er wohl erst spaeter nur auf diese beschraenkt
worden. Derselbe Gebrauch findet sich auch in Suedamerika: der Palast des
Bogota, des Herrschers der Chibcha stand auf Maedchenleichen und sein
Grund so wie seine Thuerpfosten waren mit Menschenblut getraenkt (Waitz 4,
360).

Nachdem wir so diese Uebersicht ueber die Art, wie die Naturvoelker das
Menschenleben schaetzen, vollendet haben, ergibt sich als Resultat, dass
ihre Kriege fuer sie hoechst gefaehrlich sind, ja einzelnen geradezu die
Existenz gefaehrden, so dass wir sie in erster Linie auffuehren muessen,
wenn wir die Ursachen fuer das Aussterben der Naturvoelker aufsuchen; dass
aber Kannibalismus und Menschenopfer, obwohl in einzelnen Laendern
furchtbar ausgedehnt, nur von sekundaerer Wichtigkeit sind und nur wenn
sie mit anderen Gruenden vereint auftreten, zur sichtlichen Verminderung
eines Volkes beigetragen haben.




Sec. 11. Verfassung und Recht.


Auch die Staats-und Rechtsverfassung der Naturvoelker wird nach einigen
Seiten uns hier, freilich nur kurz, beschaeftigen muessen. Die
Kulturstaaten Amerikas so wie die polynesischen Inseln sind es, die wir
nach dieser Richtung hin betrachten muessen; denn bei den uebrigen
Naturvoelkern ist theils das Rechts- und Staatsleben zu wenig entwickelt,
als dass es irgend welchen Einfluss gehabt haette, theils so entwickelt,
dass dieser Einfluss kein unguenstiger war. Wie das Recht in seiner
aeltesten Entwickelung immer seine Gesetze "mit Blut" schreibt; so war es
auch in Mexiko der Fall: fast alle Verbrechen, selbst geringe
Diebstaehle, Trunk, Verleumdung u. dergl. wurden mit dem Tod bestraft,
und bisweilen die ganze Familie in die Sklaverei verkauft (Waitz 4,
84-85). Denn der Grundsatz, dass die Sippe haften muss fuer das einzelne
verbrecherische Mitglied gilt auch hier. In Peru (4, 414-15) war die
Strenge der Gesetze nicht minder gross und die Haftbarkeit der Familie
fuer den Schuldigen, mit dem sie in vielen Faellen den Tod zugleich
erlitt, noch groesser. Diese strenge Justiz und namentlich die
Haftbarkeit der Familie fuer den Einzelnen hat in der Suedsee ferner, wo
sie gleichfalls herrscht, um so groesseren Schaden angerichtet, als, wie
wir gleich sehen werden, dort die Gewalt der Herrschenden noch absoluter
war als in Amerika. So wurde in Tonga der ganze Stamm eines Aufruehrers
vernichtet (Mariner 1, 271) und die fortwaehrenden Rachekriege dieser
Voelker und Staemme untereinander beruhen theilweise auf dieser blutigen
Rechtsauffassung (z.B. fuer Neuseeland Dieffenbach 1, 93, Haftbarkeit des
Stammes fuer den Einzelnen Thomson 1, 98). Auch in Neuholland sind
ziemlich strenge Rechtsstrafen (Grey 2, 236-37), entweder Tod oder
Durchstossen einzelner Koerpertheile mit dem Speer (wobei oft der Tod
erfolgt) oder Speerung, d.h. der Schuldige muss sich den Speerwuerfen
einer groesseren oder geringeren Menge von Volksgenossen aussetzen, denen
er freilich durch seine Geschicklichkeit (Waffen darf er nicht haben),
wenn sie ausreicht, ausweichen darf (Grey 2, 244-45). Die Haftbarkeit
der Familie, des Stammes fuer den Einzelnen ist hier wo moeglich noch
fester, als irgendwo sonst (Grey 2, 239-40; 235-36).

In Mexiko war die Verfassung streng monarchisch, wobei der Adel, der
frueher wahrscheinlich die hoechste Staatsgewalt selbst in Haenden gehabt
hatte (Waitz 4, 71), wie in anderen monarchischen Staaten auch, grosse
Vorrechte ueber das Volk hatte. Der Herrscher, weil er Stellvertreter
Gottes auf Erden war, hatte unumschraenkte Gewalt (Waitz 4, 68); und
mochte dadurch auch mancherlei Ungerechtigkeit und Gewaltthaetigkeit
geschehen, mochten einzelne Fuersten ihre Macht missbrauchen, wie denn
namentlich der letzte von ihnen, Montezuma II., seinen gewaltthaetigen
und hoffaertigen Charakter in noch schaerferer Entwickelung des
Absolutismus und der Sonderstellung des Adels zeigte; das wurde doch vom
Volk ertragen, ohne dass dadurch das Volk noch auch durch den Unwillen
des Volkes die Herrscher gefaehrdet waren. Schlimmer war, dass die
Herrscher durch ihren Absolutismus den eigenen Willen des Volkes zu sehr
gelaehmt hatten. "Die strenge und allgemeine Fuegsamkeit in den Willen des
Herrschers hat sich von Seiten des Volkes bei mehreren Gelegenheiten in
unzweideutiger Weise gezeigt: auf einen Wink von Montezuma blieb Alles
ruhig, sogar als er selbst von Cortez gefangen gesetzt wurde und mit der
Eroberung der Hauptstadt hoerte jeder Widerstand auf, nicht bloss weil
die Grossen des Reichs dort alle vereinigt waren, sondern auch weil mit
dem Falle des Herrschers fuer die bis zum Aeussersten standhaft
gebliebenen Mexikaner die Pflicht der Selbstverteidigung wegfiel.
Revolutionen des Volks waren--abgesehen von neu eroberten Laendern--fast
unbekannt" (Waitz 4, 68). Am gefaehrlichsten aber war die
Eroberungspolitik des mexikanischen Staates. Um alle Laender sich und
ihrem Gotte Huitzilopochtli zu unterwerfen, was das stete Streben der
Mexikaner war (4, 117), hatten sie ihre Herrschaft vom atlantischen bis
zum stillen Ozean ausgedehnt, ohne aber wirklich Widerstand leistende
Laender ernstlich zu bezwingen und sich zu assimiliren. Und Montezuma II.
noch machte es ebenso. Waehrend in seinen Laendern Empoerungen der
unterworfenen Laendertheile ausbrachen, schickte er, anstatt das
Gewonnene dauernd zu fesseln, seine Heere in immer fernere Gegenden, um
immer mehr zu gewinnen (Waitz 4, 46), und "daher, sagt Waitz 4, 47, ist
es wohl begreiflich, dass das grosse rasch gewachsene Reich des
Montezuma durch ein paar kraeftige und geschickt gefuehrte Stoesse
zertruemmert werden konnte." Eine Menge einheimische Feinde, ganze
Laendertheile erhoben sich und stellten sich auf Seiten der Spanier--und
so ist Mexiko, das so bevoelkerte, reiche und bluehende Land zum nicht
geringsten Theil durch seine eigene Politik zu Grunde gegangen. Da diese
Schilderung im Grossen und Ganzen auch auf Peru passt, wo der Koenig als
Stellvertreter Gottes auf Erden nur eine noch absolutere und drueckendere
Macht besass, wo gleichfalls Eroberungskriege das Land ausgedehnt und
dadurch minder fest gemacht hatten, weil es nun in seinem Innern
feindliche Elemente barg (Waitz 4, 399-413), da wir hier so ziemlich
dasselbe finden, so brauchen wir die Verhaeltnisse des Inkareiches nicht
genauer zu betrachten und gehen gleich zu Polynesien ueber.

Hier hat der Absolutismus und die Sonderstellung des Adels, die in der
goettlichen Abstammung des Adels und der Koenige wurzelt, die denkbar
hoechste, man koennte sagen eine logisch vollkommene Entwickelung
gefunden. Ueberall, in Neuseeland, in Tahiti, in Hawaii, dem
Markesasarchipel, auf Tonga, bei der alten Bevoelkerung der Marianen
(waehrend sonst Mikronesien in der Praxis wenigstens die Gegensaetze
minder scharf fasst) gilt das Volk als unbeseelt, daher sein Leben als
vollkommen werthlos. Man toedtete es nach Geluesten oder Laune (Mariner 1,
60. 91), man bedrueckte es, da es weiter keine Geltung hat, als eben nur
fuer die Vornehmen da zu sein, keinen Werth weiter als was es den
Vornehmen werth ist--und nirgends war dieser Druck schlimmer als auf
Hawaii--man hat ihm aus demselben Grund alle harte Arbeit, z.B. den
Landbau, aufgeladen; dabei ist ihm das meiste der besseren
Nahrungsmittel verboten; zu den Festen der Vornehmen muss es, was es
besitzt an Lebensmitteln, beisteuern, zu den Menschenopfern nimmt man
die Individuen aus ihm, kurz, es liegt ein Druck auf ihm, so
unglaublich, dass man gar nicht begreift, wie unter demselben ueberhaupt
sich eine und noch dazu zahlreiche Bevoelkerung erhalten konnte. Oft fand
es nicht Zeit zur Bestellung des eigenen Landes, daher denn Hungersnoth,
Kindermord und namentlich eine grosse Menge von Auswanderungen
eintraten, die vor allem Tahiti entvoelkerten, aber auch von anderen
Inseln erzaehlt werden. So gab es auf Tahiti im wilden, gebirgigen und
kaum bewohnbaren Inneren der Insel eine zerstreute Bevoelkerung "wilder
Maenner", die, ausserordentlich scheu und aengstlich, ganz einsam in den
Klueften leben, gewiss nur entsprungene Fluechtlinge aus dem Volke, oder
deren Abkoemmlinge, welche nicht zurueckzukehren wagten (Ellis 1, 305).
Von Hawaii sagt Jarves (368 ff.): "Der Ackerbau ward vernachlaessigt, und
Hungersnoth herrschte. Ganze Schaaren gingen unter ihrer Last zu Grunde;
andere verliessen ihre Heimath und flohen gleich wilden Thieren in die
Tiefe der Waelder, wo sie aufs elendeste aus Mangel umkamen, oder eine
klaegliche Existenz durch Fruechte und Wurzeln fristeten. Blind fuer diese
Folgen setzten die Fuersten ihre Politik (zu der sie von geldgierigen
Fremden vielfach verleitet wurden) fort." Kindermord war die Folge
namentlich einer unerschwinglichen Kopfsteuer und nicht nur physisch,
auch moralisch verkam das Volk. Und auf dies moralische Verkommen ist
sehr zu achten; denn nichts befoerdert den Untergang einer Bevoelkerung
mehr als dies. Wo die Moralitaet (natuerlich hier nur nach den Begriffen
der betreffenden Voelker) fehlt, fehlt auch die Selbstachtung; wo die
Selbstachtung, die Freude am Leben, welche diesen Menschen auch schon
aus aeusseren Gruenden unmoeglich war; und wo die Freude am Leben fehlt, da
verkommt und versiegt das Leben selbst. Mit Recht stellt daher Jarves
(a.a.O.) diesen Druck, unter dem das Volk erlag, fuer eine Hauptursache
seines massenhaften Schwindens hin: und wie es in Hawaii war, so war es,
mit wenig Abaenderungen, so ziemlich ueberall in Polynesien.




Sec. 12. Natureinfluesse.


Sahen wir so, was die Naturvoelker durch eigene Lebensart oder Schuld zu
ihrem Hinschwinden beitragen: so muessen wir, ehe wir weiter gehen, einen
Blick auf die Naturumgebungen dieser Voelker werfen und deren guenstigen
oder schaedlichen Einfluss abwaegen. So viel leuchtet schon dem ersten
Blick ein: durch Natureinfluesse allein stirbt kein Volk aus und die
menschliche Natur gewoehnt sich fast an alles. Man kann sich, nach
Darwins Schilderung, kaum eine fuer menschliche Entwickelung unguenstigere
Natur denken, sowohl in Hinsicht auf Klima, als auf Lebensmittel u.s.w.,
als die Suedspitze von Amerika und dennoch sagt derselbe Schriftsteller,
dass ein Aussterben der elenden Staemme der Feuerlaender nicht zu bemerken
sei. Ebenso wenig der Eskimos. Der Mensch akklimatisirt sich, freilich
nur sehr allmaehlich in langsamen Vorruecken und durch Jahrhunderte oder
besser Jahrtausende lange Vererbung und dadurch Verstaerkung der fuer die
einzelne Gegend speziell befaehigenden Eigenschaften an jede Gegend, an
jedes Klima, und nichts beweist gerade mehr die Dauerhaftigkeit unserer
Natur als diese Faehigkeit der Gewoehnung. Aber freilich werden weder
Feuerlaender noch Eskimos sich je zu grossen maechtigen Nationen
entwickeln: und zwar in Folge ihrer Naturumgebung, welche der freien
Entfaltung der Menschheit denn doch unuebersteigliche Hindernisse in den
Weg stellt. So ist denn eben die Naturumgebung der Grund, dass wir die
roheren Naturvoelker nie sehr zahlreich sehen; die Natur erheischt ein
Leben, welches dem Gedeihen der Menschheit nicht zutraeglich ist. Die
geringe Zahl der Neuhollaender ist zweifelsohne bedingt durch die
erstaunlich unfruchtbare Natur ihres Landes, denn wenn auch Grey (1,
239) Recht hat gegen Sturt und viele Andere, dass der Nahrungsmangel in
Neuholland nicht so gross ist, als er gewoehnlich gemacht wird, und
allerdings gibt er fuer den Suedwestdistrikt des Welttheils, fuer eine
Ausdehnung von 2-300 Meilen (2, 299) eine reiche Menge Nahrungsmittel an
(2, 263-64); so sind dieselben doch immer erst weit zerstreut, muessen
gesucht werden und sind oft, im einzelnen betrachtet, elend genug. Sie
zu vermehren, anzubauen haben die Eingeborenen nicht Kultur genug, auch
finden sich kaum unter den Pflanzen und Thieren Neuhollands solche, die
zu eigentlichen Kulturpflanzen oder Hausthieren brauchbar waeren; zu
sammeln aber sind die Neuhollaender, wie wir schon bei der Betrachtung
ihres Charakters sahen, zu indolent, zu traege. Wir muessen hier die
ausserordentlich hemmenden Schranken der Natur anerkennen, die jedoch
nur dann erst wirklich fuer den Bestand eines Volkes gefaehrlich werden,
wenn noch andere Bedraengnisse hinzukommen. Ueber viele Distrikte
Amerikas muss man, mehr oder minder, dasselbe sagen, in mancher
Beziehung auch von Suedafrika. Und fast noch unguenstiger gestellt ist
Polynesien schon in seinen hohen Inseln, die meist im Innern so steil
und unwegsam sind, dass sie, wie Tahiti und Nukuhiva, nicht bewohnt
werden koennen, oder grosse unfruchtbare Strecken hinter ihren meist
ueppigen Uferstrecken bergen, wie die Fidschis und viele der
Hawaiiinseln, und die, wenn sie auch durch und durch bewohnbar waeren,
doch schon durch ihre verschwindende Kleinheit in dem ungeheuren und
gefaehrlichen Ozeane ihren Bewohnern ein Hinderniss sind. Hier ist die
Schifffahrt nicht so leicht, wie im Mittelmeer und eine
Kuestenschifffahrt ganz unmoeglich. Grosse Thiere gibt es gar nicht ausser
dem zum Hausthier im wahren Sinne ungeeigneten Schwein und einigen
Hunden, welche aber ihre Hundenatur fast abgelegt haben und Mastvieh
geworden sind. Nutzpflanzen gibt es genug, aber so reichlich, dass weder
geistige noch leibliche Anstrengung, ja kaum Thaetigkeit noethig ist, um
hinlaenglichen Vorrath zu bekommen, oder so wenig, wie auf Neuseeland
(natuerlich zur Zeit der Entdeckung), dass trotz aller Anstrengung die
Nahrungsmittel sich nicht sehr heben konnten. Und nun gar die kleineren
Inseln, die fast immer unfruchtbaren Korallenringe, welche meist, wie im
oestlichen Polynesien und in Paumotu, nur den Pandanus mit seinen
kuemmerlich naehrenden Fruechten und, aber noch nicht einmal ueberall, z.B.
in der noerdlichen Ratakkette nicht, die Kokospalme hervorbringen, den
Brotbaum und die anderen Nahrungspflanzen der Suedsee, welche feuchten
Boden verlangen, wie Tacca und Arum, nur seltener oder nur erst nach
sehr muehevoller Bearbeitung des harten Korallengrundes gedeihen lassen,
Thiere aber, ausser zahlreichen Ratten, gar nicht besitzen. Dazu kommt,
dass graessliche Orkane, denen nichts zu widerstehen vermag, auf Tahiti,
den Paumotu- und Herveyinseln, auf Tonga, den Karolinen, den Marianen,
kurz so ziemlich ueberall, die Vegetation gar nicht selten so vollstaendig
vernichten, dass aeusserste Hungersnoth eintritt. Auf den Inseln suedlich
vom Aequator sollen Stuerme der Art nach Moerenhout (2, 365) nicht oefter
als alle 8-10 Jahre vorkommen, also gerade oft genug, um eine reiche
Entwickelung der Bevoelkerung unmoeglich zu machen. Denn ihre Gewalt ist
so, dass an irgend welchen Schutz oder Widerstand gar nicht zu denken
ist. Daher ist es denn begreiflich, dass man den Kindermord, wie
Chamisso mit solchem Entsetzen von den Ratakinsulanern erzaehlt, dort und
auch sonst noch (z.B. auf Tikopia) geradezu gesetzlich regulirte, um die
Inseln vor Uebervoelkerung zu behueten; begreiflich ferner, wie
Hochstetter auf den Gedanken kam, dass der Kannibalismus auf Neuseeland
durch den Hunger eingefuehrt sei. Ist nun zwar letztere Ansicht gewiss
nicht richtig, wie sich leicht aus dem was wir ueber den Kannibalismus
schon gesagt haben, ergibt; so ist es doch sicher, dass in einzelnen
Gegenden Polynesiens, z.B. in Nukuhiva, bisweilen der Hunger zum
Auffressen naher Verwandten trieb. Auch in Amerika, namentlich im
Norden, gibt es Voelker, die durch die aeussere Noth gezwungen, zum
Kannibalismus gebracht sind (Waitz 3, 508; 4, 251).

Dass auch die Aleuteninseln durch ihre Naturbeschaffenheit keine reiche
Entwickelung ihrer Bevoelkerung zulassen, ist klar; und dasselbe gilt von
Kamtschatka, ueber dessen Natur von neuern Schriftstellern v. Kittlitz
trefflich gehandelt hat.

Alle die besprochenen Laender machen eine grosse geschichtliche
Entwicklung von vornherein so gut wie unmoeglich. Einfoermigkeit ist das
Zeichen der meisten; und historische Schicksale, das wirksamste Mittel,
die Menschheit zu heben, konnten ihre Bewohner so gut wie gar nicht
treffen. Dadurch aber konnten sie sich nicht ueber die Natur, wie z.B.
die Indogermanen, die Semiten gethan, erheben, so dass diese von ihnen
beherrscht waere. Und nehmen wir auf der anderen Seite Voelker mit den
Sitten, wie wir sie bisher geschildert, in unguenstiger Natur, so
leuchtet wohl ein, wie gerade ihnen gegenueber schaedliche Natureinfluesse
von doppelter Gefahr sein mussten.




Sec. 13. Aeussere Einfluesse der hoeheren Kultur auf die Naturvoelker.


Wir koennen nun erst, nachdem wir betrachtet haben, was in der Natur und
Lebensweise dieser Voelker selbst einen fruehen Untergang Begruendendes
liegt, die Einfluesse genauer erwaegen, welche ihre Beruehrung mit anderen
meist hoeher kultivirten Voelkern und namentlich mit den Kulturvoelkern
Europas und Amerikas hervorgebracht hat.

Es sind hier zunaechst Einfluesse zu erwaehnen, welche obwohl durchaus
nicht feindselig, ja haeufig nur gut gemeint dennoch physisch wie
psychisch die gewaltsamsten Wirkungen haben mussten und hatten und
haben.

Zunaechst ist es die Umaenderung des aeusseren Lebens der Naturvoelker,
welche uns, wie sie durch jene Beruehrung unvermeidlich war, beschaeftigen
muss.--Die ganze Lebensart dieser Voelker war durch lange fast
instinktive Auswahl, dem Klima, den Bodenverhaeltnissen, ihrer ganzen
aeusseren Natur so entsprechend oder wenigstens die Natur dieser Voelker
hatte sich durch lange Gewoehnung so mit dieser Lebensart assimilirt,
dass jede auffallende Aenderung, namentlich wenn sie ploetzlich kam, wenn
sie sich ueber mehreres erstreckte, oder gar wenn sie bloss halb, bloss
zeitweilig durchgefuehrt wurde, die groessten Revolutionen in ihrem
gesammten Wesen hervorbringen musste. Auch hier ist wieder auf die
unendliche Macht einer sich stets verstaerkenden Vererbung hinzuweisen,
wie sie durch Jahrhunderte, Jahrtausende lange Gewoehnung, durch ueberaus
allmaehliche Angleichung die Menschennatur so fest auch an unguenstige
Einfluesse gewoehnen kann, dass eine Abwendung von ihnen fuer den
Augenblick nur schaedlich zu wirken scheint.

So finden wir das koerperliche Leben der Naturvoelker im engsten Einklang
mit den Naturumgebungen und ihren Einfluessen. Vor der Bekanntschaft mit
den Europaeern oder Amerikanern (die immer, was gestattet sein moege,
mitgemeint sind, wenn im Folgenden einfach nur von den Europaeern und
ihrem Einfluss die Rede ist) waren daher die Naturvoelker durchaus
gesund, obwohl einzelne Seuchen ab und zu schon damals bei ihnen
vorkamen: nie aber kannten sie die chronische Kraenklichkeit kultivirter
Nationen.

So war es mit der Kleidung. Die Neuseelaender trugen Kleider von
Mattenzeug, welches aus den Blaettern der neuseelaendischen Flachslilie
(Phormium tenax) geflochten war--auf welchen Matten man auch
schlief--und seltener und nur die Fuersten einen Mantel aus
zusammengenaehten Hundefellen (Dieffenbach 2, 153). Statt dieser kuehlen,
die Haut nur schuetzenden, kaum erregenden Kleidung, welche auch (fuer
Neuseeland sehr wichtig, wo es sehr oft, meist nur voruebergehend,
regnet) die Naesse nicht lange hielt, tragen sie jetzt wollene Decken,
die, abgesehen davon, dass sie dem Ungeziefer eine willkommene Zuflucht
sind, die Haut reizen, die Feuchtigkeit sehr lange halten und einen viel
staerkeren Wechsel in der Temperatur des Koerpers hervorbringen. Denn wie
die Maoris frueher ihre Phormiummatten bei irgend welcher Arbeit oder
sonstigen Gelegenheit leicht ablegten, gerade so machen sie es, ganz
ohne Ruecksicht, ob sie warm sind, ob nicht, auch mit den Wollendecken
jetzt (Dieffenbach 2, 18). Ganz aehnlich schildert das Jarves 370 von
Hawaii. Fuersten und Volk, sehr begierig auf jeden auslaendischen Stoff,
gleich viel ob es Matrosentuch oder das duennste chinesische Gewebe war,
trugen alles ganz ohne Unterschied, und so kamen sie bald nach ihrer
alten Art, bald anders, bald mit einer Mischung von beiden bekleidet;
derselbe, der laengere Zeit eine solche Kleidung trug, erschien dann
wieder viele Tage lang nackt. Je schoener das Wetter war, um so
reichlicher bekleidet gingen sie, um zu paradiren, bei schlechtem Wetter
aber meist nackt, um die Kleidung zu schonen; nackt daher auch in der
ganzen Jahreszeit des Winters, und im Sommer bekleidet. Jarves wie
Dieffenbach finden daher mit vollem, Recht in dieser Veraenderung und in
dieser Art der Neuerung eine aeusserst wirksame Ursache fuer den Verfall
der Gesundheit dieser Voelker. Diese Ursache aber wirkt ueberall, wo
Natur- und Kulturvoelker zusammentreffen: sie musste eintreten, weil
schon die Missionaere eine etwas decentere Bekleidung als die meisten
Naturvoelker kannten, verlangen mussten.

Auch eingefuehrte Nahrungsmittel (abgesehen von den Spirituosen) waren
den Naturvoelkern schaedlich: so nach Dieffenbach a.a.O. fuer die
Neuseelaender die Einfuehrung des Maises, den sie halb gegohren verbacken
und durch dies aeusserst ungesunde Brot sich sehr schaden. Salz, sagt er,
was sie frueher in den Seethieren genossen, essen sie jetzt gar nicht
mehr, denn ihre fast einzige Nahrung ist die Kartoffel; diese aber,
abgesehen davon, dass ihr ausschliesslicher Genuss ueberhaupt schaedlich
ist, wirkte noch dadurch unguenstig, dass sie bei der wenigen Pflege, die
sie verlangt, ganz und gar nur von Sklaven und Weibern besorgt wird,
ohne die Maenner nur zu irgend welcher Thaetigkeit anzuregen. Was wir hier
an dem einen Beispiel zeigten, gilt natuerlich wiederum fuer einen ganzen
Kreis dieser Voelker.

Auch der Hausbau hat sich vielfach geaendert, wenigstens in Polynesien,
da hier fast allein ein annaehernd freundliches Verkehren der Europaeer
mit Eingeborenen sich entwickelt hat. In Polynesien war man frueher an
sehr luftige, reinliche Haeuser, die fast nur aus einem sehr tief
herabreichenden Dache bestanden, gewoehnt. Jetzt aber kommen mehr und
mehr mit Hintansetzung der altheimischen Art Haeuser oder Baracken auf,
die nach europaeischer Art gebaut der fuer jene Gegenden so noethigen
Ventilation fast ganz entbehren und, da nun noch dazu nach alter Sitte
viele Menschen in einem solchen Raum zusammen wohnen und schlafen, durch
den grellen Gegensatz gegen das von frueherher Gewohnte den schlimmsten
Einfluss haben (z. B, Dieffenbach 2, 68-71).

Namentlich war es der Adel in Polynesien, der diese Aenderungen
vornehmlich, da er mit den Europaeern in genauere Beruehrung kam und
groessere Mittel hatte, bei sich einfuehrte: gerade aber der Adel ist vom
Aussterben weit mehr und rascher ergriffen, als das Volk--so namentlich
in Hawaii--und es ist diese Erscheinung nicht so zu erklaeren, dass man
beim Adel, weil er geringer an der Zahl sei, das Hinschwinden klarer
saehe: denn hiergegen sprechen die Verhaeltnisszahlen so wie der Umstand,
dass in der ersten Zeit der Adel vornehmlich von Krankheit u. dergl.
heimgesucht war, bis das Verderben sich weiter ausbreitete. Es nimmt das
um so weniger Wunder, als auch der Adel es war, welchem die meisten der
geschilderten polynesischen Ausschweifungen zur Last fallen. Das meiste
ueberhaupt, was vorzueglich in aelteren Reisebeschreibungen von Polynesien
gesagt wird, geht auf den Adel, da dieser bevorzugte Stand mit so
hervorragenden Fremdlingen, als die Europaeer waren, zu verkehren nach
polynesischen Begriffen fast allein das Recht hatte. Wo aber diese
Voelker wenigstens nicht halb und nur zeitweilig, sondern ganz und fuer
immer die europaeischen Sitten, Kleidung, Wohnung, Lebensart u. s. w.
annehmen, da bleiben sie weit ungefaehrdeter, wie dies Dieffenbach a. a.
O. von den Neuseelaendern nachweist. Den skrophuloesen Habitus so vieler
Maorikinder an der Kueste erklaert er dagegen nur durch die ungeeignete
und halbe Aenderung der einheimischen Lebensweise.

Auch die Ausbreitung der Weissen beschraenkt und beschaedigt natuerlich,
schon durch sich selbst und ohne boeswillige Absicht der sich
Ausbreitenden, die Naturvoelker in hohem Grade. Auf den kleinen
polynesischen Inseln z. B., doch auch sonst und ueberall sind die
Lebensmittel bei so riesig durch die Europaeer gesteigertem Verkehr viel
werthvoller und dadurch immer knapper geworden. Man denke nur, um dies
Beispiel aus Polynesien auszufuehren, was alle die Schiffe brauchen,
welche zu Papeiti oder gar zu Honolulu vor Anker gehen, um sich zu
verproviantiren. Und sollte man denken, dass grade dies groessere
Beduerfniss ein Sporn fuer die Eingeborenen sei, der sie weiter bringe in
der Kultur, im Ackerbau, Handel u. s. w.: so erwaege man, dass jetzt kaum
ein Jahrhundert seit der ersten Entdeckung (die spanischen Besuche auf
den Inseln, welche frueher fallen, abgerechnet) verflossen ist, dass in
einem so kurzen Zeitraum aber, wo so mannigfache Schicksale auf die
Eingeborenen einstuermten, sich der Ackerbau noch gar nicht so entwickeln
konnte, dass er diesen massenhaften Anforderungen entspraeche; und dass
zu grosse Forderungen eben nicht mehr anspornen, sondern erschlaffen,
erdruecken. In anderen Gegenden gestaltet sich dieselbe Sache anders,
aber die Resultate bleiben gleich.

Die Neuhollaender freuen sich, wenn sich in ihrem Gebiete Europaeer
niederliessen, sie wuenschten es und forderten sie dazu an vielen Orten
auf. Allein die naechste Folge war, dass sie in eine sehr elende Lage
geriethen: denn (abgesehen von anderem, was wir spaeter besprechen) ihre
Jagdthiere verminderten sich auf der Stelle, ja sie verschwanden, theils
verdraengt oder verjagt, theils ausgerottet von den meist sehr
jagdlustigen Einwanderern (Lang bei Grey 2, 234-35). Daher sagte ein
Australier sehr richtig zu einem Europaeer: "Ihr solltet uns Schwarzen
Milch, Kuehe und Schafe geben, denn ihr seid hergekommen und habt die
Opossums and Kaenguruhs vertilgt. Wir haben nichts mehr zu essen und sind
hungrig" (Bennet bei Waitz 1, 183). Die brauchbaren Gras- und
Weidestrecken nahmen die Europaeer mehr und mehr im Lauf der Jahre ein in
Neuholland, Neuseeland, Afrika, Amerika, die fruchtbaren Kuestenstriche,
sonst der gewoehnliche Aufenthalt der Eingeborenen, haben sie ganz und
gar inne, das Land erklaeren sie fuer ihr Eigenthum, und da sie sich man
kann wohl sagen taeglich mehr und mehr ausbreiten, so draengen sie schon
durch ihre blosse Existenz die Eingeborenen in die Waelder, die Berge,
die Wildniss zurueck; so dass es denn gar kein Wunder ist, wenn die
Eingeborenen schon hierdurch allein "wie von einem giftigen Hauche
beruehrt" (oder wie die Phrase lautet) verkommen. "Als der weisse Mann,
so sagte der Cherokeehaeuptling Bunteschlange in einer Rede, sich gewaermt
hatte am Feuer des Indianers, und sich gesaettigt an seinem Maisbrei, da
wurde er sehr gross, er reichte ueber die Berggipfel hinweg und seine
Fuesse bedeckten die Ebenen und die Thaeler. Seine Haende streckte er aus
bis zum Meere im Osten und Westen. Da wurde er unser grosser Vater. Er
liebte seine rothen Kinder, aber sprach zu ihnen: ihr muesst ein wenig
aus dem Wege gehen, damit ich nicht von ungefaehr auf euch trete. Mit dem
einen Fuss stiess er den rothen Mann ueber den Okonnee und mit dem
anderen trat er die Graeber seiner Vaeter nieder. Aber unser grosser Vater
liebte doch seine rothen Kinder und aenderte bald seine Sprache gegen
sie. Er sprach viel, aber der Sinn von Allem war, nur: geht ein wenig
aus dem Wege, ihr seid mir zu nahe. Ich habe viele Reden von unserem
grossen Vater gehoert und alle begannen und endeten ebenso" (Waitz 3,
144). Chamisso, einer der wenigen, die sich in Deutschland fuer die
Stellung jener Voelker interessirten, hat dieser Rede ergreifenden
Ausdruck verliehen in einem seiner Gedichte (Werke 4, 86). Sie ist
bekannt genug: und wenn auch in ihr der ethische Gedanke die Hauptsache
ist, so kann doch auch die Schilderung der Thatsachen nicht schlagender
gegeben werden.

Und doch, auch wenn man den Eingeborenen genuegenden Landbesitz und Jagd
und Lebensmittel genug sichern koennte, wir wiederholen es: die totale
Umwaelzung ihres ganzen leiblichen Lebens, das, wie wir eben gesehen,
sich nach jeder Richtung hin aendern musste durch die ploetzlich
hereinbrechende Kultur, wird auch wenn keine Halbheiten,
Ungeschicklichkeiten u. dergl. vorkommen, wenn alles gleich so trefflich
als moeglich eingerichtet waere, den gefahrvollsten Einfluss auf die
Naturvoelker haben und je mehr, je ploetzlicher sie kommt. Denn je laenger
physische Gewohnheiten schon bestehen, um so fester sind sie und um so
gefaehrlicher ist es fuer die menschliche Natur, wenn sie ploetzlich
gebrochen werden sollen. Auch hierin ist Leib und Seele einem Gesetze
unterworfen: dem Gesetze der Beharrlichkeit. Wie eine Fluessigkeit,
welche man in einen bestimmten Kreislauf gebracht hat, diesem Laufe
immer williger und rascher folgt, aber wild in ungeordnete Wirbel
zusammenschaeumt, wenn man sie nach der entgegengesetzten Richtung hin
zwingen will, bis sie sich endlich und allmaehlich diesem Neuen gewoehnt:
so musste das natuerliche Leben dieser Voelker in Aufregung und Unordnung
kommen, als es so ploetzlich von der uebermaechtigen Kultur unterbrochen
wurde, an die es sich erst langsam und sehr allmaehlich gewoehnen wird. So
werden denn einzelne wohl, nie aber ein ganzes Volk rasch und ploetzlich
sich eine so totale Umaenderung, wie hier noethig, und kaeme sie unter den
guenstigsten Bedingungen (was hier leider nicht geschah), aneignen
koennen. Nur so ist sicher die Nachricht zu verstehen, die wir vorhin
Dieffenbach entlehnten, dass die Neuseelaender, wo sie vollkommen
europaeisch lebten, auch gesund seien: wobei denn immer noch zu erwaegen
bleibt, dass Dieffenbach erst 1840 seine Beobachtungen anstellte, also
ueber zwei Generationen (70 Jahre) nach der ersten Entdeckung der Insel.
Allein man koennte sagen: und doch haben andere Voelker dasselbe
ploetzliche Hereinbrechen einer uebermaechtigen Kultur durchgemacht und
ueberwunden. Man koennte unsere eigenen Vorfahren, die alten Deutschen
nennen. Und doch, welch ein ungeheurer Unterschied hier in Allem! Denn
erstens war die griechischroemische Kultur, wie sie zu den Germanen kam,
unendlich bequemer als die moderne, wie sie die Naturvoelker annehmen
sollen; zweitens standen die Germanen in jeder Weise, auch in ihrer
leiblichen Beschaffenheit, jener Kultur und ihren Traegern bei weitem
naeher als die Naturvoelker den Europaeern; drittens brach dieselbe nicht
so unaufhaltsam, so ploetzlich, so ruecksichtlos ueber die Germanen herein,
wie ueber jene Voelker, sondern ganz allmaehlich, durch Jahrhunderte langes
Vertrautwerden mit dem Einzelnen, wobei das romanisirte Gallien keine
unbedeutende Vermittlerrolle spielte; und endlich kam sie nicht in
solchem Grade feindselig, wie die moderne Kultur ueber die sogenannten
Wilden.




Sec. 14. Psychische Einwirkungen der Kultur.


Und so blieben unsere Vorfahren vor dem namentlich bewahrt, was den
Naturvoelkern so verhaengnissvoll wurde: vor dem geistig deprimirenden
Eindruck, den die Kultur auf die Naturvoelker macht. Die Germanen fanden
Gelegenheit selbstaendig siegend in dem Land ihrer geistigen Besieger
aufzutreten: sie behielten stets das gegruendete Bewusstsein eigenes
Werthes und dass sie nicht in jeder Beziehung untergeordnet seien. Sie
standen den Roemern gegenueber wie der Schueler dem Lehrer, der des
Schuelers geistiges Leben leitet, corrigirt, erhoeht, aber nicht verletzt,
vernichtet, verhoehnt.

Ganz anders aber die Naturvoelker. Ihr Geistesleben, alles, was sie
dachten, fuehlten und glaubten ist ihnen durch ihr Bekanntwerden mit den
Europaeern was sollen wir anders sagen als geradezu (und oft mit der
boshaftesten Absichtlichkeit) vernichtet worden. Hierdurch wurden
selbstverstaendlich je gebildeter die Voelker waren, sie um so haerter
betroffen; so dass vieles von dem im folgenden Entwickelten auf die
rohesten Staemme Suedamerikas oder Neuhollands keine Anwendung findet.

Zunaechst die Religion. Die meisten Naturvoelker sind von sehr reiner und
inniger Religiositaet, bei allen Abgeschmacktheiten und Monstrositaeten
ihres Glaubens. So waren es die Mexikaner. Ihre Religion (Waitz 4, 128)
war es, welche ihnen ihre hohe und reine Moral eingab, deren
Grundgedanke--zugleich ihr festester und untrueglichster Schwur (Waitz 4,
154)--war: sieht mich nicht unser Gott? Und alles, was die Religion
schweres von ihnen forderte, wurde treu und gewissenhaft und mit aechter
und inniger Andacht von ihnen, nach Cortez eigenem Zeugniss (Waitz 4,
154) ausgefuehrt, Ihre vielen Eroberungskriege waren, wie wir schon
sahen, alle von dem Gedanken geleitet, ihre Religion auszubreiten ueber
alle Welt. Nicht anders, nach Waitz Schilderung (4, 447 ff.) die
Peruaner. Gleichfalls in hohem Grade gottesfuerchtig sind die
Nordindianer (Waitz 3, 205), die keine Handlung ohne Gebet unternehmen,
die alle schweren von der Religion verlangten Peinigungen mit der
groessten Gewissenhaftigkeit vollfuehren. Und so haben alle diese Voelker
ueberall zaehe an ihren Religionen gehalten.

Etwas anders steht die Sache in Polynesien. Nicht als ob die
polynesischen Voelker nicht von gleich tiefer Religiositaet waeren; was
z.B. schon die bekehrten Eingeborenen beweisen, in deren Hand jetzt der
groesste Theil der Suedseemission ist. Aber die ganze Bevoelkerung war
sittlich minder rein als die Amerikaner und befand sich schon zur Zeit
der Entdeckung, wie Meinicke (b) nachgewiesen, in einem Zustande auch
des geistigen Verfalls. Daher erklaert sich die auffallende Erscheinung,
dass die Polynesier (Dieffenbach 2, 50 vom ganzen Ozean) und nach
Chamissos Zeugniss auch die Mikronesier sich leicht bewegen lassen, ueber
ihren frueheren Aberglauben selbst zu lachen und ihn aufzugeben. Doch
auch sie fuegen sich und nicht bloss aus Herkommen mit freudigstem
Gehorsam den beschraenkendsten Gesetzen ihrer Religion, z.B. den
Tabu-Gesetzen, d.h. den Bestimmungen, durch welche Gegenstaende aller Art
heilig gesprochen und dem unheiligen Volk gaenzlich entzogen werden,
sowie der uebergrossen Adelsverehrung und anderem der Art. Und nur da
haben sie ihre Religion wirklich und ohne Widerstand aufgegeben, wo sie
durch die Mission wirklichen religioesen Ersatz bekamen. Gegen
feindselige Angriffe auf ihre Religion, mochten sie absichtlich oder nur
zufaellig sein, haben sie sich immer aufs heftigste aufgebracht gezeigt
und eine Menge Ueberfaelle, Kriege, ja Cooks Tod selbst sind nur durch
solche Verletzungen ihrer Tempelplaetze oder sonstigen Heiligthuemer
hervorgerufen.

Aber selbstverstaendlich war es gerade die Religion, gegen welche sich
die heftigsten und ersten Angriffe der Kulturvoelker richteten. Das
brauchte nicht mit der brutalen Roheit der Conquistadoren und ihrer
Pfaffen in Amerika oder der Sendlinge Frankreichs in den letzten
Jahrzehnten, der Laplace, Dupetitthouars u.s.w. in der Suedsee zu
geschehen: auch die edelsten der Europaeer mussten sich gegen diese
Religionen wenden, um sie zu zerstoeren, und so sahen die Eingeborenen
ihr Heiligstes vernichtet, ja als durchaus schlecht und nichtswuerdig
verachtet. Aus dem Vorstehenden aber kann man ermessen, wie vernichtend
dieser Schlag ihr geistiges Leben traf.

Ebenso war es mit den politischen Einrichtungen: und auch hier muessen
wir wenigstens auf einige Hauptpunkte hinweisen. Die despotische
Verfassung, das strenge Adelsregiment der Suedsee (um bei den Polynesiern
zunaechst zu bleiben), haben wir schon betrachtet. Aber mochte der Adel
sich noch so hoch ueber das Volk stellen, das Volk aufs aergste
unterdruecken: er war doch von Gott, man hing ihm doch mit warmer
Verehrung an, man brachte in den meisten Faellen sein Gut und Blut mit
aufrichtigem Eifer dar--lohnte doch eine solche Aufopferung mit einem
besseren oder ueberhaupt mit einem Leben nach dem Tode! Jedenfalls
beruhte auf diesem Verhaeltniss des Adels, der naturgemaess die stolzeste
Meinung von sich hatte und sich keineswegs den europaeischen Grossen
untergeordnet fuehlte, und des Volkes das gesammte oeffentliche Leben
Polynesiens und Mikronesiens und hier wieder vorzueglich der Marianen.

Durch den Einfluss der Europaeer aenderte sich das alles und so sehr auch
das Volk nachher dadurch gewann: fuer den Augenblick musste es die
Einrichtungen, die ihm seit Jahrtausenden gewohnt und ehrwuerdig waren,
aufgeben und die, welche es vordem gleich Goettern geachtet hatte, von
den Europaeern keineswegs besonders hochgestellt, ja oft mit Verachtung
oder gar mit schreiendster Ungerechtigkeit behandelt, zum Theil wie auf
den Marianen blutig verfolgt und vernichtet sehen. Der Adel selbst aber
war noch schlimmer dran. Er war, bei voelliger Unumschraenktheit, der
festen Ueberzeugung, von ganz anderem Stoff zu sein, als das gemeine
Volk, er stellte sich ganz den hoechsten Europaeern gleich und wusste
sich, wie Liholiho, Tamehameha I. Sohn in England bei seinem Aufenthalt
unter der englischen hoechsten Aristokratie bewiesen hat, diesen auch im
aeusseren Benehmen ziemlich gleich zu halten. Und nun fand er sich von
den Europaeern, oft von den gemeinsten Matrosen, nicht nur nicht goettlich
verehrt, sondern verachtet, dem gemeinen Volke ganz gleich, und
jedenfalls tief unter jeden Weissen gestellt, er fand sich von der
Gesellschaft in den meisten Faellen (wo sich eine wirklich europaeische
Gesellschaft bilden konnte) entweder ausgeschlossen oder doch nur
geduldet! So geschah es zu Neuseeland--man kennt ja den Hochmuth der
englischen Race einer farbigen Bevoelkerung gegenueber--so, seit der
gloriosen franzoesischen Occupation, zu Tahiti, so einige Jahrhunderte
frueher auf den Marianen, wo der Adel in den blutigen Kaempfen ganz zu
Grunde ging.

Noch viel schlimmer, weil die Zerstoerung gruendlicher war, wirkten diese
Dinge in Amerika. Denn auch hier war Volk und Herrscher durch Bande
grosser Anhaenglichkeit und Religiositaet verknuepft. Der Herrscher, der
aus dem hohen Adel gewaehlt wurde, und mit ihm der hoechste Adel war, wie
wir schon sahen, Stellvertreter Gottes auf Erden und daher
unumschraenkt. Wie rein und tief man in Mexiko, trotz alles Absolutismus,
die Stellung des Herrschers auffasste, geht aus den Reden hervor, die
man bei seiner Inauguration an ihn richtete und welche nicht nur nach
Waitz 4,68 "zu dem Schoensten und Erhabensten gehoeren, was von den
Azteken noch uebrig ist", sondern ueberhaupt zu dem Schoensten und
Erhabensten, sicher zu dem Wahrsten, was man je Koenigen gesagt hat. Die
Steuern und Frohnen, unter denen, nach den alten spanischen
Schriftstellern, das Volk seufzte, sind nach Waitz genauer und
schlagender Untersuchung von den Spaniern aus nahe liegenden Gruenden
sehr uebertrieben worden. Nach alle diesem wird sich die Luecke ermessen
lassen, welche im Gemueth des Volkes nach dem Sturz alles Bestehenden
entstand. "Zurita hat gezeigt, sagt Waitz 4, 186, wie das mexikanische
Volk hauptsaechlich dadurch ins aeusserste Elend gerieth, dass alle
Grundlagen seiner bisherigen politischen und socialen Organisation von
den Siegern zerstoert wurden. Vom mexikanischen Adel ueberlebten nur
wenige den Fall der Hauptstadt und diese wenigen waren meist noch
Kinder. Eine Petition sechs vornehmer Indianer an Karl V. legt dar, wie
der Rest des Adels von den Spaniern niedergetreten und ins Volk
zurueckgeworfen in Armuth und Elend umkam. Eine Tochter Montezuma's ist
im tiefsten Elend gestorben." Man nehme nun dazu, dass auch das gesammte
aeussere Leben, die ganze glaenzende Kultur des Volkes, die reiche
Hauptstadt, die bluehenden Gaerten, die zahlreichen Tempel, dass Alles
zerstoert und oft aufs grausamste und veraechtlichste zerstoert wurde: und
man wird begreiflich finden, dass schon dadurch der Sieger der Seele des
besiegten Volkes einen Todesstoss versetzte. Dasselbe gilt, vielleicht
in noch hoeherem Grade von den Quechuas und den Nordamerikanern. "Mit
einem Fuss stiess er den rothen Mann ueber den Okonnee, und mit dem
anderen trat er die Graeber unserer Vaeter nieder", hiess es in der oben
erwaehnten Rede. Und leider waren es die persoenlichsten und heiligsten
Empfindungen, die man allzu oft und mit der groessten Ruecksichtslosigkeit
verletzte, woran freilich nicht mehr die Kultur, sondern nur ihre Traeger
schuld waren. Das zweite Concil zu Lima bedrohte die Zerstoerung und
Pluenderung der alten Indianergraeber, die Preisgebung der Leichen mit
Excommunication; allein der supremo consejo de las Indias fand der
Schaetze wegen, die sie enthalten koennten, fuer gut, ihre Durchsuchung zu
erlauben (Waitz 4, 493-94). Alles dies musste das unterdrueckte Volk
ruhig mit ansehen: ihr innerstes Leben wurde ihnen vernichtet, ohne dass
sie, die sonst schon aufs fuerchterlichste bedrueckt waren, sich wehren
konnten. Dass aber nicht bloss ihre Todten, dass die Lebenden selbst
noch mehr zu leiden hatten; dass man auf sie, ob sie lebten oder
starben, nicht die mindeste Ruecksicht nahm, dass man also durch
Verletzung der theuersten und heiligsten Gefuehle auch nach dieser Seite
hin den Indianern das aeusserste that, das ist nur allzubekannt. Ein
Nordindianer (Waitz 3, 141) sagte in einer oeffentlichen und viel
erwaehnten Rede: "ich haette sogar daran gedacht, ganz unter euch zu
leben, haette nicht ein Mann mir Boeses gethan. Oberst Cresap ermordete im
letzten Fruehjahr (1774) mit kaltem Blut und aus eigenem Antriebe alle
meine Verwandten, selbst meine Weiber und Kinder verschonte er nicht.
Kein Tropfen von meinem Blut laeuft mehr in den Adern eines lebenden
Wesens." Dies eine Zeugniss genuege.

Eine der hervorragendsten Eigenschaften der Naturvoelker ist ihr Stolz.
Die Amerikaner halten sich fuer die ersten aller Menschen; Geschickt wie
ein Indianer und dumm wie ein Europaeer sind bei ihnen Sprichwoerter
(Waitz 3, 170). Verletzung dieses Stolzes war auch das Haerteste, was sie
unter sich einander zufuegten. Die Polynesier glaubten alles Ernstes, die
Europaeer kaemen zu ihnen, um jetzt erst wahres Leben kennen zu lernen und
an ihrer Glueckseligkeit, an ihrer Vollkommenheit Theil zu nehmen.
Selbstmord aus Scham oder verletztem Ehrgefuehl ist unter ihnen gar nicht
so selten (Dieffenbach 2, 112. Thomson 319. Will. u. Calvert 1, 121
ff.); ihre eigenen Thaten laeugnen sie eben wegen dieses Stolzes nie
(Williams u. Calvert 1, 124; Tyermann u. Bennet 1, 78; Waitz a.a.O.).

Nicht minder empfindlich ist das Rechtsgefuehl aller dieser Voelker,
welches z.B. einen Irokesen, der von Christi Leiden hoerte, ganz wie
jenen Friesenfuersten zu dem Ausrufe zwang: "waere ich dabei gewesen, ich
wuerde ihn geraecht und die Juden skalpirt haben" (Waitz 3, 169). Und
diese Empfindungen, fuer welche Waitz a.a.O. u. b, 147 noch eine Menge
Beispiele zusammenstellt, finden wir ebenso in Polynesien; ebenso
wirksam wenigstens, wenn auch minder frei entwickelt, auch bei den
roheren Voelkern, den Suedamerikanern, Hottentotten, Australiern. Schon
das stete Streben, welches diese Voelker nach Rache haben, beweist es.
Wie grausam aber sind gerade diese Eigenschaften von der Kultur
verletzt! Theils ohne ihre Schuld: denn dass die Naturvoelker gar bald
einsahen, wie sie gegen die Europaeer nichts waeren und nichts vermoechten,
lag in der Natur der Sache. Theils aber tragen auch hier die Europaeer
die schwerste Verantwortlichkeit, denn sie haben die Rechte dieser
Voelker absichtlich mit Fuessen getreten, sie haben, da sie die
Naturvoelker kaum fuer Menschen ansahen, nicht einmal ihr menschliches
Selbstbewusstsein ihnen lassen moegen, sondern auch dieses, und oft von
Staatswegen, wie die Vereinigten Staaten, wie Frankreich in Tahiti, wie
die Englaender in Australien, mit Fuessen getreten; und man tritt es durch
den grenzenlosen Hochmuth und Hass, mit dem man diese Voelker von aller
Gemeinschaft und damit von aller Kultur ausschliesst, nachdem man ihnen
haeufig Land und Lebensmittel genommen, auch ferner mit Fuessen. Und
selbst in ihrem Rachedurst sind alle diese Voelker den Europaeern
gegenueber so ohnmaechtig, gegen welche hoechstens einmal ein vereinzelter
Racheakt Einzelner gluecklichen Erfolg hatte. Mag auch Waitz Recht haben,
wenn er sagt (b, 157), das Rechtsgefuehl der Indianer sei durch den
harten Druck der Weissen weiter und schaerfer entwickelt worden, als es
wohl sonst geschehen sei; so faehrt er doch ebenso richtig fort:
"freilich war davon die naechste Folge fuer sie selbst nur diese, dass sie
ihre Ohnmacht und die Trostlosigkeit ihrer Lage dann um so bitterer
empfanden."

Diese Vernichtung aber des gesammten geistigen und ethischen Lebens der
Nationen kann man gar nicht stark genug betonen, wenn man die Gruende fuer
ihr Aussterben aufsuchen will. Wie nichts ein Volk mehr hebt, als
freudige Achtung vor sich selbst und froehliches Gelingen des von ihm
Erstrebten, so drueckt nichts den Volksgeist tiefer, als das Gefuehl der
eigenen Ohnmacht und Verlorenheit. Zum Gefuehl aber der aeussersten
Ohnmacht und Rechtslosigkeit, des bittersten und doch ganz huelflosen
Ingrimms finden wir alle diese Voelker, Amerikaner, Aleuten und
Kamtschadalen, Neuhollaender, Polynesier und Hottentotten verdammt. "Jede
Race, weiss schwarz oder roth, sagt Elliot bei Waitz 3, 299, muss
untergehen, wenn ihr Muth, ihre Energie und Selbstachtung durch
Unterdrueckung, Sklaverei und Laster zu Grunde gehen." Und nun hatten,
wie wir gesehen, die meisten Naturvoelker schon von Haus aus einen
entschiedenen Hang zur Melancholie, welche durch alle diese Schicksale
natuerlich aufs aergste vermehrt ihren Untergang nur beschleunigte. Man
denke sich nur, wenn wir Europaeer mit allen unseren Kulturmitteln, mit
unserer Religion, kurz mit allen den Vortheilen, die wir den
Naturvoelkern gegenueber besitzen, ihr Loos auch nur wenige Jahre, etwa
eine Generation, zu ertragen haetten, was aus uns werden sollte! Man
denke, wie der dreissigjaehrige Krieg gewirkt hat, dessen Greuel doch bei
weitem durch das, was die Naturvoelker zu leiden hatten, ueberboten
werden: und man wird sich mehr ueber die zaehe Ausdauer, als ueber das
Hinschwinden derselben verwundern. Nur ihre groessere Haerte und
Festigkeit hat sie aufrecht erhalten den Voelkern gegenueber, die sie
anfangs alle, Mexikaner sowohl wie Hottentotten und Neuhollaender, fuer
Goetter hielten!

Musste alles dieses auf das geistige Leben der Voelker und damit auch auf
das leibliche einen vernichtenden Einfluss ausueben, so uebte es den auch
noch auf eine andere Art. Mit der Vernichtung der bestehenden Staaten
war natuerlich auch jedes Recht und Gesetz, welches in denselben
bestanden hatte, aufgehoben. In Mexiko, in Peru aber waren die Gesetze
von grosser Strenge und grosser Wirksamkeit, da sie ueberall in hoechster
Achtung standen und nicht anders war es in Polynesien, wo das Tabu auch
manchen heilsam verbietenden Einfluss hatte. Stuerzte nun das Alles
zusammen, so musste nothwendigerweise eine um so aergere Demoralisation
eintreten, je hoeher frueher die Kultur des zerstoerten Staates gestanden
hatte; eine solche Demoralisation musste aber gerade in einer Zeit einer
so allgemeinen Zerstoerung, wo fuer die Unterliegenden weder leiblich noch
geistig irgend ein Halt blieb, die unheilvollsten Folgen fuer ihr ganzes
Dasein haben und nicht wenige in den genannten Kulturstaaten sind denn
auch gerade durch die unter den Eingebornen einreissende Zuegellosigkeit
zu Grunde gegangen. Und je tiefer, je persoenlich vernichtender die
Angriffe waren, um so mehr natuerlich demoralisirten sie die Voelker: was
sollten die noch irgend etwas scheuen und heilig halten, welche selbst
in ihrem Heiligsten verletzt waren? wie konnten sie noch sich selbst
achten, die von jenen ankommenden Goettern so in Staub getreten wurden?
Ueberall riss in Folge der auf diese Weise nahenden Kultur
Entsittlichung und dadurch immer tieferes geistiges und leibliches
Sinken unter den Naturvoelkern ein. Was nicht unmittelbar vernichtet
wurde, das wurde im Innersten vergiftet und langsames Hinsiechen war die
nothwendige Folge.




Sec. 15. Schwierigkeit fuer die Naturvoelker, die moderne Kultur sich
anzueignen.


Aber wenn auch die europaeische Kultur den Naturvoelkern mit vollkommener
Freundlichkeit und Schonung zugefuehrt worden waere: diese Kultur bot auch
noch ausser denen, welche wir schon gesehen haben, die groessten
Schwierigkeiten und Gefahren, die wir jetzt betrachten muessen.

War es schon keine Kleinigkeit, dass diese Voelker fast alle ihre seit
Jahrhunderten eigenthuemlichen Ideen und Anschauungen aufgeben mussten,
so war es noch viel schwieriger, das aufzunehmen, was die Europaeer
brachten, die ganze unendlich verwickelte moderne Kultur! Das traf
besonders Polynesien und Australien; man denke sich die kleinen
Kokosinseln, die nun ploetzlich sich hineinfinden muessen in die ganze
europaeische Lebensart, in den europaeischen Handel, das europaeische
Recht, die Religion und so vieles andere--und sie muessen mehr als nur
oberflaechliches davon annehmen, wenn sie nicht verloren sein wollen. Um
wie viel gluecklicher waren auch hierin die Germanen, die sehr allmaehlich
eine viel weniger verwickelte Kultur aufzunehmen hatten; und doch wie
lange Zeit brauchten auch sie, bis sie diese Kultur vollkommen sich
assimilirt hatten! Ist es zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass dies
erst im vorigen Jahrhundert durch das geistige Durchdringen des
Alterthums ganz geschehen sei?

Einzelne Punkte--denn vieles (Wohnung, Kleidung u.s.w.) ist schon in
dem bisher Behandelten wenigstens andeutend ausgesprochen worden--muessen
wir noch besonders beruecksichtigen. Zunaechst die Bewaffnung. Die
Feuerwaffen sich anzueignen ist weit schwieriger, als die Aneignung der
roemischen Taktik, da sie ausser der leiblichen Uebung noch die
Ueberwindung der Scheu vor Donner und Blitz, durch welche gerade man die
Weissen zuerst als Goetter dokumentirt sah, verlangen; da ihre Wirkung
weit uebernatuerlicher scheint, als die der roemischen Waffen.--Ferner die
Sprache. Uns Europaeern macht es sehr grosse Schwierigkeiten, die Sprache
eines Naturvolkes mit ihren anderen Anschauungen geistig zu erfassen;
und doch steigen wir herab, da jene Sprachen alle in der Entwicklung und
Verbindung der Gedanken so wie in der Fuelle der Anschauung weit weniger
vorgeschritten sind, als die Sprachen des gebildeten Europas; und
zugleich haben wir durch lange Jahrhunderte fortgesetzte Uebung und
ausserdem durch eine Menge von Huelfsmitteln eine viel groessere Kraft,
als jene Voelker, die doch hinaufsteigen muessen, wenn sie eine
europaeische Sprache erlernen wollen. Schon beim blossen Sprechenlernen,
das vom Begreifen und wirklichen Verstehen einer Sprache himmelweit
verschieden ist, muessen sie ihren Geist mit einer ganzen Menge neuer
Anschauungen und Begriffe erweitern, die ihnen frueher aber auch ganz
unbekannt waren--und das meist vom Niveau einer Sprache aus, welche
strenges, logisches Verknuepfen und Ausdenken der Begriffe wenig genug
unterstuetzt.

Nicht anders ist es mit der Religion. Der Abstand von manchen der
Religionen dieser Voelker vom Christenthum mag, wenn auch die meisten
tiefer stehen, nicht groesser sein, als der des germanischen Heidenthums
von letzterem war; aber das Christenthum, was den Germanen gepredigt
wurde, war selbst ein ganz anderes, als was die Missionaere, wenigstens
die protestantischen, heut zu Tage predigen. Dann freilich, wenn man die
Berichte des sehr eifrig katholischen Michelis liest, so ist das, was
die Propaganda z.B. in der Suedsee gepredigt hat, an vielen Orten
ueberhaupt nicht, viel Anderes gewesen, als was jene Voelker schon
wussten: die katholischen Missionaere haben getauft und das Heidenthum
gelassen. Auf der andern Seite aber, wie so ganz unfassbar muss fuer die
ganz sinnlichen Naturvoelker eine so abstrakte Lehre sein, wie die
evangelische, die noch dazu auf Begriffen und Anschauungen beruht,
welche jene Voelker gar nicht haben. Und indem man ihnen das Christenthum
predigte, verlangte man, dass sie die Religion der Maenner annehmen
sollten, welche ihnen so alles Aergste zugefuegt hatten, der Weissen! Ja
hat man sie nicht auch gleich, damit ihnen nichts erspart bliebe, mit
dogmatischen Streitigkeiten beglueckt? In der ganzen Missionsgeschichte
der neueren Zeit ist vielleicht kein so trauriges Ereigniss als das
Auftreten der Propaganda in der Suedsee, wo eben die protestantische
Mission festen Fuss zu fassen und Fruechte ihrer muehevollen Arbeit zu
sehen begann. Das liess der katholischen Kirche nicht Ruhe: sie trat an
einzelnen Stellen mit rohster Gewalt (die dann durch Luegen aller Art
verdeckt wurde) der protestantischen Mission entgegen und brachte zu den
eben bekehrten Heiden den Streit der kirchlichen Parteien. Lutteroth,
den zu widerlegen Michelis sich vergebens bemueht, hat dies scharf und
schlagend bewiesen. Auch Streitigkeiten, die in ihrem eigenen Schooss
entstanden sind, brachte sie zu den Neubekehrten, wie Humboldt b, 5, 133
von Suedamerika erzaehlt. Uebrigens ist auch die protestantische Kirche in
der Schonung solcher Heiden, die von einer andern protestantischen Sekte
bekehrt waren, durchaus nicht uebermaessig zart gewesen. An manchen Orten
(Nordamerika, Afrika u s.w.) hat auch sie statt des Friedens des
Christenthums den Streit der Sekten gebracht. Welchen Einfluss musste
das auf die eben gewonnenen Naturvoelker und deren Charakter machen!
Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass in den meisten Faellen sich
der Mission die Europaeer selbst auf das Heftigste entgegensetzten, da
sie sich durch jene in ihrem oft sehr weltlichen oder besser gesagt
gottlosen Treiben behindert sahen. So war es namentlich in Polynesien,
fast auf jeder Insel (Meinicke, Lutteroth und fast in allen Quellen); so
in Amerika schon im 16. Jahrhundert (Waitz 4, 188; 338); so auch in
Afrika bei Hottentotten, Kaffern, Negern, ueberall. Man sieht, unsere
Kultur verlangt von den Naturvoelkern eine geistige Anstrengung von so
enormer Groesse, dass sie mit einem Male und von einer Generation gar
nicht ueberwunden werden kann. Waehrend aber nun die Europaeer immer
frischen Zuzug neuer Schaaren haben, die sie in ihren Bestrebungen
staerken, waehrend auch bei den Germanen auf die Stelle einer unterlegenen
Schaar eine andere trat, die das, was jene gewonnen hatten, uebernehmend
ausfuehrte, was noch nicht geleistet war, so fehlt es bei der geringen
Kopfzahl der Naturvoelker an solcher kraftgebenden und aushelfenden
Ersatzmannschaft, durch welche die Arbeit sich theilen, die Aneignung
sich leichter und allgemeiner vollziehen koennte. Daher wird der lebenden
Generation eine um so groessere und schwerere Aufgabe gestellt und es ist
schon deshalb klar, dass eine Generation, ja dass zwei, drei
Generationen ihr nicht genuegen koennen. Die Groesse der Aufgabe, die
enorme geistige Anstrengung selbst erschwert aber das gedeihliche
Weiterleben der Generationen durch den geistigen Druck so sehr, dass wir
auch hierauf mit allem Nachdruck hinweisen muessen. Und zweitens muessen
wir auch wieder betonen, dass der Hang zur Melancholie durch solche
Ueberanstrengung, wo in den meisten Faellen nur allzubald sich zeigt,
dass ein auch nur einigermassen befriedigendes Ziel kaum zu erreichen
ist, immer vergroessert wird, ja dass er geradezu Charakterzug der Voelker
werden kann. Und so finden wir es im allgemeinen wie im einzelnen.
Tschudi 2, 286 erzaehlt von einem Botokudenknaben, der von einer Familie
in Bahia sorgfaeltig aufgezogen und dann zum Studium der Medizin auf die
Universitaet geschickt wurde. Er erwarb sich den Doktortitel, uebte auch
eine Zeitlang die Praxis selbstaendig, bis er verschwand. "Eine tiefe
Melancholie war immer der Grundzug seines Charakters." Spaeter erfuhr
man, dass er wieder, nachdem er sich jeglicher Spur von Civilisation,
auch der Kleider, entledigt, als Jaeger durch die Waelder streife. Einen
ganz gleichen Fall von einem jungen Choktaw, der Advokat geworden war,
hernach aber durch Melancholie (woran freilich der Kastenhochmuth der
Nordamerikanischen Weissen mit Schuld war) bis zum Selbstmord getrieben
wurde, erzaehlt Waitz b, 71-72. Diese Faelle zu erklaeren, reicht es nicht
aus, bloss an die "schiefe Stellung" zu erinnern, in welche solche
Individuen gerathen; denn bei jenem Botokuden trifft dies nicht zu, da
in Suedamerika das Verhaeltniss der Farbigen zu den Weissen kein
unguenstiges ist: wesentlich mitgewirkt hat bei ihnen und aehnlichen, wie
wir sie bei Individuen und ganzen Voelkern finden, die ewige Demuethigung
auf der einen, die Ueberanstrengung auf der anderen Seite.




Sec. 16. Behandlung der Naturvoelker durch die Weissen. Afrika. Amerika.


Wir kommen nun zu dem duestersten Punkt in unserer ganzen Schilderung, zu
der duestersten Partie vielleicht in der ganzen Geschichte der
Menschheit: zu der Art, wie die Weissen die Naturvoelker behandelt haben.
Die Laster, die sie ihnen brachten oder bei ihnen befoerderten, brauchen
wir hier, da wir sie schon oben an verschiedenen Stellen erwaehnten,
nicht noch einmal im Zusammenhang zu besprechen. Beginnen wir mit
Suedafrika. Die Hottentotten zeigen sich uns gleich bei ihrem ersten
Bekanntwerden als ein Volk, das frueher eine viel groessere Macht und
Ausdehnung besessen hatte und damals schon in einer Art Verfall war. Von
den umwohnenden afrikanischen Voelkerschaften waren sie ueberall
verdraengt, namentlich von Norden nach Sueden geschoben und nicht nur sehr
vermindert, sondern wie es scheint, auch in ihrem inneren Wesen
gebrochen oder wenigstens, durch die ewigen Kriege und Niederlagen,
wesentlich beschaedigt worden (Waitz 2, 323 ff.). Schlimmeres aber
brachten ihnen die Hollaender, welche sich seit 1652 am Cap niederliessen
und natuerlich den Eingeborenen so viel Land ohne weiteres wegnahmen, als
sie brauchten. Sie brauchten aber, da sie aus Faulheit alles brach
liegen liessen und stets nur frisches Land bebauten, da sie ferner aus
dem gleichen Grund lieber Viehzucht als Ackerbau trieben, sehr viel
Land. Die Hottentotten, welche zu Sklaven zu machen das Gesetz verbot,
machten sie zu ihren Knechten, die, weil man sie nicht verkaufen konnte,
viel schlechter gehalten wurden als Sklaven (Waitz 2, 331). Als freilich
die Englaender 1796 in Besitz des Caps kamen, zeigten sie sich aus
Nationaleitelkeit anfangs zwar sehr empoert ueber das Benehmen der
Hollaender; allein gar bald thaten sie es ihnen in Allem nach (ebd. 332).
Wie man mit "dem schwarzen Vieh", den Hottentotten, verfuhr, zeigt sich
z.B. in folgendem Fall, den Sparmann erzaehlt. Ein Hollaender hatte einen
hottentottischen Knecht, der im Fieber lag und dessen Krankheit durch
eine auf des Herrn Bitte von Sparmann unternommene Kur sehr
verschlimmert wurde; Sparmann suchte den sehr niedergeschlagenen Boer zu
troesten: allein jener fuhr auf: er kuemmere sich den Teufel um den
Hottentotten und seine Seele, wenn er nur einen anderen Ochsenfuehrer, um
seine Butter zu verkaufen, faende (Sparmann 273). Dies war aber kein
vereinzelter Fall, sondern allgemeine Ansicht und so werden wir uns ueber
die Einrichtung der sogenannten Commandos gegen die Eingeborenen, welche
1774 etwa zuerst aufkamen, nicht sehr wundern koennen. Der Bericht eines
Offiziers ueber solch ein Commando bei Waitz lautet (2, 333-34):

"27. Sept. 1792 der erste Kraal angegriffen, 75 Buschmaenner getoedtet, 21
gefangen.

15. Oktober ein anderer Kraal entdeckt, 85 getoedtet, 23 gefangen.

20. Okt. ein dritter entdeckt, 7 getoedtet, 3 gefangen."

"Man wird einigermassen, faehrt Waitz fort, die Ausdehnung ermessen
koennen, in welcher diese Vertilgung besonders der Buschmaenner betrieben
wurde, wenn man bedenkt, dass Coblins (1809) einen sonst respektablen
Mann erzaehlen hoerte, er habe binnen 6 Jahren mit seinen Leuten zusammen
3200 Buschmaenner getoedtet und gefangen, wogegen ein anderer mittheilte,
dass die Commandos, an denen er sich betheiligte, 2700 Buschmaennern das
Leben gekostet haetten. Thompson kannte einen Kolonisten, der in 30
Jahren 32 solcher Raubzuege mitgemacht hatte, auf deren einem 200
Buschmaenner umgebracht seien. Mit dem Eintritt der englischen Herrschaft
am Cap hatte zwar das Commandosystem aufhoeren sollen, aber die Boers
waren so sehr an dasselbe gewoehnt, dass es unmoeglich war, es auf einmal
zu beseitigen. Von 1797-1823, d.h. bis zur Okkupation des Landes der
Buschmaenner, werden 53 Commandos offiziell angegeben; es ist
unzweifelhaft, dass das System 1823 nach einigen Unterbrechungen wieder
in voller Bluethe war und es scheint den Buschmaennern unter der
englischen Herrschaft noch trauriger gegangen zu sein, als unter der
hollaendischen. Dass die Hottentottenbevoelkerung der Capkolonie unter
der englischen Herrschaft bis zum Jahr 1822 um die Haelfte zugenommen
habe (Zeitschr. 1, 287) ist wenig glaubhaft und sicherlich nur
scheinbar." Die Boers zogen, um den ihnen verhassten englischen Gesetzen
nicht gehorchen zu muessen, 5000 an der Zahl, um 1836 nach Port Natal, wo
sie ihre scheussliche Willkuerherrschaft, ihre Commandos und Knechtung
der Eingeborenen noch jetzt, wie sie es selbst bei Livingstones
Anwesenheit thaten, fortsetzen (Waitz 2, 336).

Man wird es nicht eben wunderbar finden, wenn die Hottentotten diesem
Hauche der Kultur erlagen; wenn jetzt ihr Hass gegen die Weissen so
gross ist, dass ein friedliches Einwirken der letzteren, wenn nicht
unmoeglich, doch ausserordentlich erschwert ist: wenn endlich die
Hottentotten jetzt sehr viel roher, traeger und sittlich schlechter sind
als zu der Zeit, da man sie zuerst kennen lernte. Stand doch ueber
manchen Kirchen der Hollaender: "kein Hund und kein Hottentotte darf
eintreten" (Waitz 2, 333). Haben doch die Boers nach Kraeften die
Christianisirung der Eingeborenen zu hindern gesucht, indem sie
verboten, dass ihre Sklaven und deren Kinder getauft wurden und bei
Lebensstrafe denselben die Missionsstation auch nur zu nennen verboten.
Die hollaendische Compagnie selbst war es, welche die maehrischen Brueder
aus dem Lande der Hottentotten vertrieb, weil sie auf letztere einen zu
grossen Einfluss gewannen. Ja noch 1831, als die Hottentotten am Kat
River sich niedergelassen und dort unter Leitung der Missionaere zu einer
gewissen Bluethe gelangt waren, gelang es kaum, die Boers von der
Zerstoerung dieser Colonie mit Gewalt zurueckzuhalten (Waitz 2, 336).

Und in diesem Zustande leben die Hottentotten nun schon ueber 200 Jahr
und sind noch nicht ausgerottet!

Gehen wir nun nach Amerika. Die Indianer Nordamerikas kamen den
Europaeern anfangs freundlich entgegen (Waitz 3, 242), aber die Weissen
waren es, welche das Verhaeltniss truebten. Zunaechst vernichteten sie
wegen verhaeltnissmaessig geringfuegiger Veranlassung das Volk der Pequots;
an 700 wurden bei einem ploetzlichen Ueberfall getoedtet, die uebrigen
zerstreut, gefangen und von Staatswegen als Sklaven verkauft (Waitz 3,
244). Sklavenjagden in Nordamerika von Seiten der Englaender und Spanier
waren ganz gewoehnlich. Die frommen Puritaner, die Gott dankbar waren fuer
jede verheerende Krankheit, welche unter den Indianern wuethete (Waitz 3,
242), sahen in jedem gelingenden Greuel der Christen gegen die Indianer,
namentlich wenn diese massenweise zu Grund gingen, ein Zeichen
goettlicher Gnade, in jedem Misslingen eines Mordzuges einen goettlichen
Zornausbruch gegen sie selber und bekannten dies laut (Waitz 3, 244-45).
Man dachte gar bald daran, die Indianer ganz auszurotten: und soll uns
das wundern, wenn wir erfahren, dass noch in diesem Jahrhundert der
Regierung der Vereinigten Staaten ein foermliches Projekt zur Vertilgung
der Indianer vorgelegt wurde? Und wie man sie vertilgte! "Die Englaender,
versichert Trumbull bei Waitz 3, 248, hatten damals (im 17. Jahrhundert)
und spaeter viel Zweifel darueber, ob es sich mit dem Christenthum und der
Menschlichkeit vertrage, die Feinde lebendig zu verbrennen." Die Weissen
haben, wie schon hieraus hervorgeht und auch sonst ueberall, oft sogar
mit dem groessten Ruehmen, bezeugt wird, den Krieg mit derselben und oft
noch viel aergerer Grausamkeit gefuehrt, als die Indianer selbst (ebd.
258. 260); noch 1830 haben sie, wie frueher oefter, unter den Pani das
Blattergift verbreitet (ebd. 259). Wie man nun die Voelker um ihr Land
geprellt, wie man sie spaeter immer weiter nach Westen und schliesslich
ueber den Missisippi hinuebergedraengt hat, ohne Ruecksicht auf die
bedeutend aufbluehende Kultur der Cherokees, welche durch diese
Verpflanzung einen schweren Stoss erlitt, das mag man bei Waitz 3 bis
299 und b, 26-60 nachlesen: wir wollen nur noch bemerken, dass die
Natchez, die Schawanoes, die Delawares, Potowatomies, Seminolen,
Kaskaskias und andere einst maechtige Voelker von den Weissen vernichtet
oder so gut wie vernichtet sind (Waitz 1, 166).

In Suedamerika traten die Europaeer womoeglich noch scheusslicher auf.
"Benzoni, sagt Waitz 3, 399-100 in Beziehung auf Guyana, hat als
Augenzeuge ein schauerliches Bild davon entworfen, wie die Spanier in
diesen Laendern hausten. Das Verbot, Sklaven zu machen, war kein Verbot,
Sklaven zu halten. Die gewoehnliche Formel, mit welcher letzteres erlaubt
wurde, lautete: ihr sollt als Sklaven halten duerfen die von den
eingeborenen Herren des Landes als solche gehalten und euch verkauft
werden. Das gewoehnliche Verfahren, welches namentlich in Maracapana oft
zur Ausfuehrung gekommen ist, bestand daher darin, dass man einen
Haeuptling einfing, der gezwungen wurde, sich durch den Verkauf seiner
Leute als Sklaven die Freiheit zu erwerben, und dass man die so
gewonnenen Sklaven dann von der Behoerde fuer rechtmaessig erklaeren liess.
Unterwarf sich aber ein Haeuptling freiwillig, so fiel man mit ihm ueber
seine Feinde her, um diese zu versklaven oder suchte Streit mit ihm
selbst. Nasen- und Ohrenabschneiden war eine gewoehnliche und nicht
selten ausgefuehrte Drohung der Spanier gegen Indianer, die sich
ungefuegig zeigten, und da das Gesetz verbot, die Lastthiere zu
ueberbuerden, damit sie sich reichlich vermehren koennten, diente auch dies
als Vorwand, die Eingeborenen selbst als Lastthiere zu gebrauchen.
Naechst der Minenarbeit und persoenlichen Dienstbarkeit ueberhaupt hat
vorzueglich auch die Entfuehrung vieler Weiber ihre Zahl verringert.
Natuerlich liessen sich das die streitbaren Indianer nicht ohne Weiteres
anthun und man kann denken, welche fuerchterlichen Kaempfe eine solche
Behandlung hervorrufen musste und wie diese Kaempfe selbst, obwohl zum
Theil gluecklich fuer sie, die Indianer decimiren mussten. In Brasilien
wars um nichts besser. Obwohl man anfangs den Eingeborenen die Freiheit
zugesprochen hatte, kam man doch sehr bald dahin, dass man
Menschenjagden erst duldete und dann (seit 1611) allgemein gestattete
und diese entwickelten sich gar bald zu einer solchen Hoehe, dass in den
3 Jahren 1628-1630 in Rio de Janeiro allein 60,000 Indianer, meist aus
Paraguay, in die Sklaverei verkauft wurden, wobei es natuerlich auch
wieder zu den scheusslichsten Kriegen kam, in welchen Europaeer und
Indianer gleichmaessig verwilderten (Waitz 3, 450-51). Allerdings setzten
sich die Missionaere (Jesuiten) hiergegen, allein nur, um die
Arbeitskraft der Indianer ihrem Orden zukommen zu lassen, und meist mit
so geringem Erfolg, dass ihr Widerstand gar nichts bedeutete. Uebrigens
ist auch jetzt noch das Loos der unter brasilianischer, also
portugiesischer Herrschaft stehenden Indianer kaum besser (ebd. 453),
wie die Portugiesen wohl diejenigen Europaeer sind, welche am
unmenschlichsten mit den Amerikanern umgingen. Das beweist auch, wie sie
mit den Indianern der Pampas verfuhren. Wir wollen hoeren, was hierueber
v. Tschudi 2, 261-64 von vergangenen Zeiten und von der Gegenwart sagt:
"Das Verhaeltniss zwischen den erobernden Portugiesen und den Indianern
war seit dem 16. Jahrhundert im allgemeinen ein getruebtes. Bekanntlich
trachteten die Ansiedler so viel als nur moeglich, die Eingeborenen fuer
die Feldbestellung und fuer den Bergbau zu benutzen. Diese aber fanden im
ganzen wenig Freude an solchen ihren natuerlichen Neigungen mehr oder
weniger widerstrebenden Verrichtungen und wollten ebenso wenig in ein
Dienstverhaeltniss zu den Eindringlingen treten. Die gebieterische
Nothwendigkeit, Arbeitskraefte zu besitzen, fuehrte die Portugiesen
allmaehlich dahin, sich der Indianer mit Gewalt zu bemaechtigen und sie zu
unentgeltlichen Dienstleistungen zu zwingen. Binnen kurzem bildete sich
eine Indianersklaverei und ein schwunghafter Menschenhandel aus. Banden
kuehner Abenteurer zogen nach den Urwaeldern auf Menschenjagd und
verkauften nach der Rueckkehr ihre Beute an Grossgrundbesitzer, in denen
sie stets willige Abnehmer fanden. Koenigliche Verordnungen autorisirten
gewissermassen dieses empoerende Verfahren und nur an der Gesellschaft
Jesu fanden die hartbedraengten Urbewohner Vertheidiger und Beschuetzer.
Durch massenhafte Einfuhr von Sklaven von der afrikanischen Kueste,
verbunden mit einer etwas humaneren Gesetzgebung, verminderte sich,
besonders im 18. Jahrhundert, die Indianersklaverei, dagegen aber
entwickelte sich an vielen Grenzpunkten der Civilisation ein foermlicher
Vernichtungskrieg zwischen Portugiesen und Indianern. Ueberlegenheit der
Angriffs- und Verteidigungswaffen sicherten den ersten den Erfolg .....
deren weite mit gehacktem Blei geladene Trabucos oft schreckliche
Verwuestungen unter den Gegnern anrichteten.

Wilde Bluthunde, die ausschliesslich auf Indianerfaehrten abgerichtet
waren, halfen den nicht weniger blutduerstigen Menschenjaegern die
feindlichen Lager ausfindig machen. Die Offiziere wetteiferten, wer die
besten Indianerhunde besitze, und ein gewisser Lieutenant Antonio
Pereira liess die seinigen nur Indianerfleisch geniessen, um sie stets
bei guter Nase zu erhalten. Als durch die Einfuehrung der weit
arbeitsfaehigeren Neger die Indianer fast ganz entwerthet wurden, so
handelte es sich bei solchen Expeditionen nicht mehr darum, Menschen zu
fangen, sondern nur eine moeglichst grosse Zahl zu morden. Um diesen
Zweck, die Vernichtung der Indianer, in ausgedehntem Massstabe zu
erreichen, griffen die Portugiesen zu den niedertraechtigsten Mitteln.
Sie legten Kleider von Personen, die an Blattern oder Scharlach
verstorben waren, in der Absicht in die Waelder, dass Indianer sich diese
aneignen und infolge dessen Epidemien unter ihnen ausbrechen und
graessliche Verheerungen unter ihnen anrichten sollten." Also ganz wie es
die Englaender in Nordamerika machten!--Nachdem nun Tschudi gesagt hat,
dass die Spanier zu solchen schaendlichen Mitteln nie gegriffen haetten,
faehrt er fort: "trotz der schoenen aber leider so mangelhaft ausgefuehrten
Constitution Brasiliens hat der Vernichtungskrieg gegen die Indianer der
Provinz Minas bis auf die neueste Zeit noch fortgedauert. Heute noch
(1860) leben dort Individuen, denen eine Indianerjagd der hoechste Genuss
ist und die noch sorgfaeltig Schweiss- und Spuerhunde zu diesem Zwecke
pflegen. Nur eine kurze Zeit ist verflossen, seit ein kaiserlich
brasilianischer Militaercommandant als Repressalien fuer einen von den
Indianern begangenen Mord ein Indianeraldea (Dorf) ueberfiel und als
Siegestrophaee _dreihundert_ Ohren von grausam abgeschlachteten Indianern
in den Flecken St. Matheus, suedlich vom Mukury brachte! Selbst der
kaiserliche Commissionaer ... neigt sich mehr zu den Vertilgungsmitteln
hin, als auf rein menschliche Weise die Indianer der Civilisation
unterthan zu machen....

Ottoni fuehrt einige Beispiele an, wie der Vernichtungskrieg gegen die
Indianer auch in neuerer Zeit gefuehrt wurde. Der Schauplatz dieser
elenden Thaten war das Quellgebiet des Mukury und ein Theil von dem des
Jaquitinhonha. Die Hauptleiter der Moerderexpeditionen waren zwei
indianische Soldaten Cre und Crahy, denen sich als dritter wuerdiger
Genosse ein gewisser Tidoro zugesellte. Sie handelten aber nur auf
hoeheren Militaerbefehl. "Eine Aldea umbringen" war ihr Losungswort, der
Zauber, der sie fuer ihr Henkerhandwerk fanatisirte. Mit Huelfe kaiserlich
brasilianischer Soldaten und "Liebhaber" (oft den besten Staenden
angehoerend) umringten sie waehrend der Nacht die dem Untergang geweihte
Aldea und stuermten sie mit dem ersten Tagesgrauen, so dass die
aufgehende Sonne nur noch blutrauchende graesslich verstuemmelte Leichname
beschien. Die arglosen Indianer hatten gewoehnlich keine Idee von dem
ihnen drohenden Verhaengniss: sie wurden meistens im tiefen Schlaf
ueberrascht. Die Soldaten bemaechtigten sich immer zuerst der in einer
Ecke zusammengestellten Bogen und Pfeile, um so weniger gefaehrdet die
wehrlosen Indianer abzuschlachten. Nur die Kinder (Kurukas) wurden
verschont, sie waren Kriegsbeute! Ein solches Kuruka wurde in der Regel
fuer 100 Milreis verkauft. Selbst in neuester Zeit war der Gewinn, der
aus dem Verkauf der erbeuteten Kinder gezogen wurde, das einzige Motiv,
um eine Aldea umzubringen. Und dieses geschieht im constitutionellen
Brasilien gegen die urspruenglichen Bewohner des Landes! Am Rio
Jaquitinhonha, am Mukury, am Rio St. Matheus, am Rio Dolce sind
zahlreiche Beispiele dieser Menschenschlaechtereien vorgekommen. Vier
Jahre vor meinem Besuch am Mukury leiteten die Henkersknechte Cro und
Crahy eine solche Metzelei bei Queriba am Jaquitinhonha. Sogar im Jahr
1861 wurde wenige Meilen von Philadelphia eine derartige
Menschenschlaechterei ausgefuehrt. Im Jahre 1846 wurde in Marianna, 2
Leguas von St. Jose de Porto Alegre, an der Muendung des Mukury, der
Tribus des Haeuptlings Shiporok fast gaenzlich vernichtet. Sechzehn
Schaedel der ermordeten Indianer kaufte ein Franzose und schickte sie an
ein pariser Museum."

Man muss diese Nachrichten, welche jede Vorstellung uebersteigen, bei
einem so glaubwuerdigen Schriftsteller wie Tschudi selbst lesen, um sie
zu glauben. Uebrigens ging es den Araukanern kaum besser, die in einem
fast 200jaehrigen Kampfe (von 1540-1724) mit den Spaniern um ihre
Unabhaengigkeit rangen. Auch hier waren es wieder die Europaeer, welche
die grauenvollsten Grausamkeiten gegen die tapferen und edeln Amerikaner
begingen, welche letztern aber auch, wie es natuerlich war, in einem
solchen Krieg verwilderten und herunterkamen, so dass man jetzt in ihnen
die alten Araukaner nicht mehr zu suchen braucht (Waitz 3, 521 ff.). Wie
die Spanier noch in diesem Jahrhundert gegen sie verfuhren, geht aus
folgender, von einem Augenzeugen erzaehlten Geschichte hervor, welche den
portugiesischen Schandthaten wuerdig zur Seite steht: "von einem
Indianerstamme, der sich in seinem Versteck aller Nachforschungen
entzog, konnte Major Rodriguez nur ein Weib auffinden mit ihrem Sohn und
ihrer Tochter, die noch Kind war. Drohungen und Versprechungen bewirkten
nichts ueber sie, um sie zur Verraetherei zu bewegen. Da liess man den
Sohn niederknien und erschoss ihn vor den Augen seiner Mutter und
Schwester. Dennoch wollte das Weib nichts gestehen. Auch sie musste
niederknien, um zu sterben; da erbot sich die Tochter, das Versteck
ihres Vaters und ihrer Brueder zu verrathen. Die Mutter stuerzte wuethend
ueber sie her und wollte sie erdrosseln, doch man entriss ihr das Kind
und schleppte sie fort in der von diesem bezeichneten Richtung, waehrend
sie die Tochter mit den haertesten Vorwuerfen wegen ihrer Feigheit und
Entartung ueberhaeufte. Ihre ganze Familie musste sie hinschlachten sehen
und gab verzweifelnd und mit dem letzten Athemzuge den Moerdern fluchend
bei diesem Anblicke ihren Geist auf" (Waitz 3, 526). Solche Beispiele
viehischer Unmenschlichkeit stehen keineswegs als einzelne wegen ihrer
besonderen Scheusslichkeit merkwuerdige Faelle da: sie sind in diesen
Kriegen das ganz Gewoehnliche.

v. Tschudi gab an, dass die Botokuden bei den Jesuiten Schutz gefunden
haetten; und wenn allerdings die Geistlichen bisweilen ihre Stimmen fuer
die Unterdrueckten erhoben, so war das keineswegs ueberall oder immer der
Fall; ja die Geistlichen wurden sehr haeufig nur eine neue Plage fuer die
Eingeborenen durch die Mittel, wie sie die Indianer fuer die Taufe
gewannen: einfach dadurch, dass sie dieselben jagten, fingen und dann
tauften oder so lange einsperrten, bis sie sich taufen liessen, was
freilich von den spanischen Gesetzen verboten war, aber doch oft genug,
mit Huelfe anderer Indianer, ausgefuehrt wurde. Nur allzubekannt ist jene
fuerchterliche Geschichte von der Guahibaindianerin, welche mit ihren
Kindern gefangen worden war und von der

  Zu der Guahiba und der Christen Bildniss
  Erzaehlet jener Stein mit stummem Munde
  Am Atapabos-Ufer in der Wildniss.

Diese Geschichte spielt etwa um 1770: und Humboldt, welcher sie uns aus
dem Munde der Geistlichen selbst erzaehlt (b, 5, 81 ff.; vgl. Chamisso
Werke 4, 69 ff.), faehrt fort: "Dergleichen Jammer kommt ueberall vor, wo
es Herren und Sklaven gibt, wo civilisirte Europaeer unter versunkenen
Voelkern leben, wo Priester mit unumschraenkter Gewalt ueber unwissende,
wehrlose Voelker gebieten" (Humboldt a.a.O. 85). Und er hat Recht:
denselben Jammer finden wir in Californien wieder, wohin die spanische
Herrschaft hauptsaechlich durch Missionaere gebracht war, und wo diese
letzteren Schlingen legten, um Indianer zu fangen oder zu demselben
Behuf bewaffnete Schaaren ausschickten. Widersetzte sich einer der
Eingeborenen der neuen Lehre, so sperrte man ihn zunaechst ein und liess
ihn hungern, dann zeigte man ihm Fleisch, um ihm von dem guten Leben,
das ihn bei den Missionaeren erwarte, einen Begriff zu geben und
suchte ihn so zum--Christenthum zu gewinnen (Beechey 1, 356).
Wiedereingefangene Deserteure erhielten nach Langsdorff Stockpruegel, die
sehr haeufig auch bei Frauen angewendet wurden, und es wurde ihnen ein
schwerer Eisenstab angehaengt, um fuerderhin Flucht ihnen unmoeglich zu
machen. Da nun die so Bekehrten ganz wie Sklaven den frommen Missionaeren
dienen mussten, so ist es einmal kein Wunder, wenn sie, um dieser
Religion, dieser Kultur zu entfliehen, kein Mittel scheuten, auf der
anderen Seite aber auch nicht, wenn wir sie massenhaft in den Missionen
sterben sehen. Krankheiten wuetheten und von Jahr zu Jahr wuchs die
Sterblichkeit. 1786 waren 7701 Indianer getauft, von denen 2388 starben;
1813 waren 57,328 getauft, aber gestorben 37,437 (Beechey 1, 370).--Als
nun spaeter die Missionen durch die politischen Verhaeltnisse Californiens
verfielen, wurde das Loos der Eingeborenen noch schlimmer. Sklavenjagden
oder auch geradezu Menschenhetzen begannen, man schoss sie nieder, ohne
Unterschied des Alters und Geschlechtes, wo man sie traf. Ein spanischer
General hatte (nach Wilkes) Californier zu Soldaten einexercirt; als sie
sich aber sehr brauchbar zeigten, bekam er Furcht vor ihnen und liess
sie alle niederschiessen (Waitz 2, 244-51).

Am alleraergsten aber haben die Weissen in den kultivirten Gegenden
Amerikas gehaust, welche sie zuerst vom ganzen Continente kennen
lernten. Die Eroberung von Mexiko kostete, wie ein Spanier (Clavigero
bei Waitz 1, 189-90) angibt, mehr Menschen, als waehrend der ganzen Dauer
des mexikanischen Reiches den Goettern geopfert sind; wenn auch die
Behauptung desselben Schriftstellers, die Bevoelkerung des Landes sei
durch die Eroberung bis auf ein Zehntel gesunken, von Waitz (4, 190) mit
Recht als uebertrieben angesehen werden mag. Aber Gomara selbst, der fuer
Cortez schreibt, berichtet, dass weder Weiber noch Kinder von den
Spaniern geschont seien (Waitz 4, 186); und doch war Cortez noch
derjenige, welcher wenigstens ohne unnoethige Grausamkeit verfuhr,
waehrend seine Nachfolger geradezu unmenschlich hausten. Doch auch Cortez
vertheilte, trotzdem es ihm hart erschien, die Mexikaner unter die
spanischen Eroberer als Knechte und der hoechste Adel sowohl wie gemeines
Volk mussten ihren Enkomenderos die haerteste Arbeit thun, unter der sie,
ueberhaupt nicht an strenge Arbeit, am allerwenigsten aber an so ganz
unmenschliche Ueberbuerdung gewoehnt, massenweis erlagen. Widerspenstige
oder wer, gleichviel aus welchem Grunde, den Tribut nicht zahlte, wurden
als Sklaven verkauft. Dieser Tribut aber war enorm und wurde mit der
groessten Strenge, sehr haeufig auch mit den aergsten Betruegereien und
Erpressungen beigetrieben. Viele toedteten sich nun aus Verzweiflung,
andere verabredeten sich, keine Kinder mehr zu erzeugen oder kuenstlichen
Abortus zu bewirken, um wenigstens ihre Nachkommen von diesem ganz
unertraeglichen Elend, das noch durch jene fuerchterlichen eingeschleppten
Krankheiten furchtbar erhoeht wurde, zu bewahren. Bei der Eroberung waren
die Wasserleitungen mit zerstoert und dadurch erhob sich neues Elend:
denn ein grosser Theil des Landes ward dadurch zur Wueste (Waitz 4, 187).
Das Christenthum, das uebrigens sobald es sich der Eingeborenen annahm,
von den spanischen Machthabern aufs Heftigste angefeindet wurde, kam nun
auch und mit ihm die Inquisition, die gar nicht selten 100 Ketzer auf
einmal verbrennen liess (4, 189)--kurz, es ergoss sich auf die
ungluecklichen Menschen ein so grimmiges Elend, wie vielleicht kein Volk
sonst hat aushalten muessen, und es ist kein Wunder, wenn auch hier die
Eingeborenen vor dem "Hauche der Kultur" schaarenweis starben; ein
Wunder ists nur, dass sie trotz aller dieser Leiden bis auf den heutigen
Tag nicht ausgerottet sind.

Nicht anders hausten die Spanier in Guatemala (4, 268), in Nikaragua
(280) und noch aerger auf den Antillen und Lukayen (Bahamainseln), deren
Einwohner, mehrere 100,000 an der Zahl innerhalb weniger Jahrzehnte
gaenzlich vernichtet sind, wozu die eingeschleppten Krankheiten, die
Minenarbeiten, die nichtswuerdigen Knechtungen und oft ganz zwecklose
Menschenmetzeleien das Meiste beitrugen. Massenweise toedteten die
Eingeborenen sich selbst. Columbus selbst hatte ganz dieselbe Gesinnung
wie seine Landsleute: Menschenraub, Sklaverei, grausame Verstuemmelungen
geschahen auf seinen Befehl und die spanische Regierung war, obwohl
Isabella diese Behandlung der Eingeborenen im hoechsten Grade
missbilligte, viel zu schwach, irgend etwas Bleibendes zu Gunsten der
Indianer zu erreichen (Waitz 4, 331. 334).

Ebenso ging es in Darien (4, 351) und Neu-Granada (377) und dass es in
Peru eher schlimmer als besser war, dafuer buergt schon der Name Pizarro.
Das beliebte Mittel der Portugiesen, Bluthunde, die auf Indianer
dressirt waren, gegen diese loszuhetzen, wurde hier namentlich
angewandt. Wir erinnern hier an die schon erwaehnte Bitte des gefangenen
Fuersten, ihn nicht verbrennen, nicht den Hunden vorwerfen, sondern
einfach erhaengen zu lassen (1, 478 ff.). Nach Gomara sind in den Kriegen
unmittelbar nach der Eroberung etwa anderthalb Millionen Eingeborene
aufgerieben; die uebrigen litten unter dem Druck der Encomiendas und
Mitas (zwangsweise Vermiethung der Eingeborenen an Privatleute, von der
Mestizen, Mulatten, Zambos frei waren) so unertraeglich, dass sie durch
das Uebermass von Arbeit schaarenweis aufgerieben wurden. Dazu kam noch
der furchtbare Steuerdruck unter den habgierigen Spaniern, an welchem
sich uebrigens die Geistlichkeit ohne die geringste Scheu aufs
lebhafteste mit betheiligte. Nimmt man dies leibliche Leiden zusammen,
und dazu das Bewusstsein der gaenzlichen Ohnmacht gegen diesen Gegner, so
wird man sich die psychischen Leiden dieser Menschen denken koennen;
diese fallen aber mit dem groessten Gewicht in unsere Wagschale, da ihnen
gewiss grosse Mengen erlegen sind, wie vielfach bezeugt ist. Gewiss,
wenn man die Amerikaner in Nord und Sued betrachtet, deren Bedrueckung
noch nirgends ganz aufgehoert hat, so ist das das allein Wunderbare, dass
jetzt, nach 300 oder 200 Jahren eines solchen Druckes, noch irgend etwas
von der Urbevoelkerung existirt.




Sec. 17. Fortsetzung. Der stille Ozean.


Eine aehnliche Behandlung wie die bisher besprochenen Voelker von
Hollaendern, Englaendern, Spaniern und Portugiesen erfuhren die
Kamtschadalen und Aleuten durch die Russen. Nach King (Cook 3te Reise 4,
171) wuethete der Russe Atlassof, der 1699 Kamtschatka zuerst entdeckt
hatte, seit 1706 zum zweiten Male Befehlshaber daselbst, "um die
Einwohner mit guter Art und durch friedliche Mittel zu gewinnen", in dem
Lande so arg, dass seine eigenen Leute, die Kosaken, welche bis dahin
friedlich mit den Kamtschadalen ausgekommen waren, gegen ihn einen
Aufstand erhoben und sich in den Besitz der Halbinsel setzten. Dadurch
ward es aber nicht besser, denn sie wuetheten, einmal an Mord und Blut
gewoehnt, von nun ab unter den Eingeborenen von Kamtschatka selbst. "Die
Geschichte dieser Halbinsel von jenem Zeitpunkte an bis in das Jahr 1731
ist eine Reihe von Mordthaten, Empoerungen und wilden blutigen Gefechten
kleiner im ganzen Lande streifender Parteien." Damals naemlich erhoben
sich die erbitterten Kamtschadalen, um ihr Land nicht immer weiter
unterjocht werden zu lassen und um sich an ihren Peinigern zu raechen.
Behring war zu jener Zeit da, welcher alle ihm entbehrlichen Truppen,
mit Ausnahme kleiner Besatzungen in den Festungen des Landes, gegen die
Tschuktschen schickte, denn bei der ausserordentlichen Klugheit,
Verschwiegenheit und Energie der Kamtschadalen hatte weder er, noch
irgend sonst ein Russe eine Ahndung von einer Verschwoerung, welche ueber
die ganze Halbinsel ausgebreitet war. Sie war sehr gut organisirt; von
kleinen aufhaltenden Zwischenfaellen z.B. waren in kuerzester Frist alle
Oberhaeupter derselben benachrichtigt: und so gelang es denn, nach
Behrings Abfahrt den Kamtschadalen, dass sie die Festungen rasch
einnahmen, und alles was von Russen noch im Lande war (Weiber und Kinder
mit eingeschlossen) niedermachten oder in die Gefangenschaft
wegschleppten. Behring aber, durch widrige Winde an der Kueste
festgehalten, erfuhr das Geschehene, kehrte zurueck und belagerte das
Fort, wohin sich die Kamtschadalen auf Kunde seiner Rueckkehr geworfen
hatten; allein nicht eher konnte er es--so tapfer war der
Widerstand--einnehmen, als bis es endlich durch einen Zufall in die Luft
gesprengt wurde. Da nun die Kamtschadalen auch in einigen offenen
Gefechten, die sehr blutig waren und sonst den kuerzeren zogen, so
mussten sie sich zum Frieden bequemen. Von da ab blieb alles ruhig,
einzelne Aufstaende abgerechnet--welche ein deutliches Bild geben, wie
die Russen sich gegen die durch jenen Aufstand gebrochenen Kamtschadalen
betrugen. Wenn die Halbinsel, nach King, sich nach 1731 wieder so erholt
haben soll (doch King selbst berichtet zweifelnd), dass sie spaeter
volkreicher war als frueher, so ist dieser Nachricht kein Glauben zu
schenken, oder sie bezieht sich auf die Erhoehung der Bevoelkerung,
welche durch Einwanderung erfolgte. Die Russen fuhren fort, wie sie
angefangen hatten; waeren die Kamtschadalen noch die alten gewesen, die
mit solcher Umsicht und Thatkraft den Aufstand von 1731 ausfuehrten, sie
haetten von Neuem gegen das Joch anzukaempfen versucht, was bis auf jene
ohnmaechtigen Aufstaende, welche gegen die Peiniger sich oertlich erhoben,
nicht weiter geschah. Jener Krieg hatte sie eben gebrochen. Und so
erlagen sie denn gaenzlich, als zuerst 1767 jene Epidemien ausbrachen,
die wir schon geschildert haben.

Abgesehen von Krieg und Seuchen hat ihnen der Pelzhandel unendlich
geschadet. Krusenstern (3, 52-53) erzaehlt, dass die Agenten der
amerikanischen Compagnie und die russischen Haendler im Lande
umherziehen, die einzelnen, mit denen sie handeln wollen, mit Branntwein
voellig trunken machen, was ihnen bei der Leidenschaft der Kamtschadalen
fuer den Trunk gar nicht schwer wird, und dann den ganzen Vorrath von
Pelz, den jene besitzen, den Besinnungslosen abnehmen, um sich fuer "die
Menge des getrunkenen Branntweins bezahlt zu machen." So verliert der
Unglueckliche, faehrt Krusenstern fort, den Lohn monatelanger Muehe, statt
sich zum Leben nuetzliche und noethige Dinge kaufen zu koennen, in einem
Rausche. "Groesseres Elend (S. 54) ist auch mit Niederdrueckung seines
Geistes verknuepft, welche einen aeusserst schaedlichen Einfluss auf seinen
ohnehin schon siechen Koerper haben muss, da dieser zuletzt bei
gaenzlichem Mangel an substantieller Nahrung und jeder medizinischen
Huelfe beraubt solchen harten Stoessen nicht lange widerstehen kann. Dies
scheint mir die wahre Ursache ihrer jaehrlichen Abnahme und allmaehlichen
gaenzlichen Ausrottung zu sein, welche durch epidemische Krankheiten, die
sie haufenweise wegraffen, befoerdert wird."

Auch auf friedlichem Wege wird ihre Zahl verringert: denn hier und auf
den Aleuten sind sie mit den Russen vielfach durch Heirathen
zusammengeschmolzen.

Allein auch auf den Aleuten haben sich die Russen meist nur feindselig
gezeigt. Namentlich sind es die russischen Wildjaeger (Promyschlenniks,
welche von 1760-90 die Inseln beherrschten, Waitz 3, 313), die sich
durch wueste Grausamkeit auszeichnen. "Sie pflegten nicht selten Menschen
dicht zusammenzustellen und zu versuchen, durch wie viele die Kugel
ihrer gezogenen Buechse hindurchdringen koenne", sagt Sauer (aus dem
Tagebuch eines russischen Offiziers, das er in den Anhaengen an seine
Reise mittheilt) bei Chamisso 177. Dazu kommt noch die sklavische
Knechtung, in welcher Kamtschadalen und Aleuten von den Russen gehalten
werden (Chamisso 177 und Langsdorff): wie denn z.B. die Haelfte der
gesammten maennlichen Bevoelkerung von 18-50 Jahren das ganze Jahr
hindurch unentgeltlich von ihnen in Anspruch genommen wird (Kittlitz 1,
295). Daher hat Waitz ganz Recht, wenn er die Nachrichten ueber das
milde Verfahren der Russen nicht eben hoch anschlaegt (3, 313-14). Nach
den Schilderungen von Chamisso, der hier mit Kotzebue (1, 167--68) ganz
uebereinstimmt, sind sie jetzt ein traeges auch in seiner Freude truebes
und theilnahmloses Volk (Cham. 177), wozu sie in Folge des
unaufhoerlichen Drucks geworden sind. Einzelne sollen sich, aehnlich wie
die "wilden Maenner" von Tahiti, in die Berge gefluechtet haben und dort
ein kuemmerliches Leben fristen (Chamisso 177).

Von der Inselwelt des stillen Ozeans kamen die Europaeer zuerst in
dauernde Beruehrung mit den Marianen, wo die Spanier, als sie 1668
landeten eine sehr bedeutende Bevoelkerung (100,000 ist nicht
uebertrieben, wie wir schon sahen) auf der ganzen Kette vertheilt
fanden--und um 1710 war nur noch Guaham, die suedlichste und groesste
Insel bewohnt, die anderen veroedet. Der Krieg, welchen namentlich
Quiroga mit blutiger Tapferkeit fuehrte, und der ueber 30 Jahre dauerte,
zahlreiche Epidemien, Verpflanzung der Eingeborenen von einem Distrikt
zum anderen (welches Mittel auch in Amerika die verheerendsten Folgen
hatte) trugen zu dieser Vernichtung das ihrige bei. Aber wenn auch nach
den Berichten, die wir haben und die ganz, wie le Gobien und Freycinet,
auf spanischen Quellen beruhen oder Erzaehlungen der bei der spanischen
Unterwerfung thaetigen Jesuiten sind wie die Berichte im "neuen Weltbott"
(einer Missionzeitung a.d. Anfange des vorigen Jahrhunderts); wenn auch
nach diesen Quellen die Spanier nicht mit der empoerenden Grausamkeit
verfuhren wie in Amerika: so ist es doch auffallend, dass wir ganz
dieselben Erscheinungen hier wie dort nach ihrem Auftreten finden,
wildeste Verzweiflung der Eingeborenen--welche hier wie dort anfangs den
Spaniern sehr freundlich entgegenkamen--massenhaftes Auswandern
derselben, zahllosen Selbstmord, kuenstliche Fehlgeburt oder Ermordung
der Kinder bei der Geburt und schliesslich und sehr bald totale
Entvoelkerung der Inseln, welche fuer Guaham nur durch zahlreiche
Einfuehrung philippinischer Tagalen verhuetet ist. Wahrscheinlich hausten
also hier die Spanier mit derselben rohen Bedrueckung und wilden
Grausamkeit, welche sie ueberall zum Fluch der neuentdeckten Laender
machte, nur dass hier, ganz aehnlich wie ueber das ebenso rasch
entvoelkerte Honduras (Waitz 4, 280), unsere Quellen schweigen, oder nur
parteiisch und einseitig berichten. Sicher wird man aus dem Aussterben
der marianischen Bevoelkerung keinen Schluss ziehen koennen zu Gunsten der
Ansicht, dass die Naturvoelker, weil sie von schlechterer Organisation
seien, den Weissen erlaegen.

Polynesien ist 3 Jahrhunderte spaeter entdeckt worden als Amerika, eins
spaeter als die Marianen; so sehen wir denn hier die kultivirte
Menschheit anders als bisher. Zwar zeigen die frueheren Durchsegler des
Ozeans, die Spanier, Dampier, Roggeween, dieselbe Rohheit den
Naturvoelkern gegenueber wie alle ihre Zeitgenossen; allein im Ganzen ist
man hier milder aufgetreten als sonst, wozu ausser dem kleineren Terrain
wie der geringeren Zahl, in welcher die Europaeer demgemaess auftreten,
der Hauptgrund das Jahrhundert ist, in welchem man die meisten dieser
Inseln entdeckte. War es doch die Zeit des Philanthropismus und glaubte
man doch die ertraeumten Ideale von menschlicher Glueckseligkeit, wie z.B.
Rousseau sie in Europa entwarf, hier im Leben der Suedseeinsulaner
verwirklicht zu finden; ein Umstand, der fuer die Art, wie man den
Polynesiern entgegentrat, von grosser Bedeutung war. Und noch, wichtiger
war es, dass gleich nach der Entdeckung zu ihnen Missionaere der
protestantischen Kirche, denen es nicht auf Ausbreitung des christlichen
Namens und der aeusseren Gebraeuche, sondern da sie selbst im tiefsten
Herzen wahre Christen waren, auf die Emporhebung und Foerderung der
Eingeborenen ankam. So steht der treffliche Wilson, der erste Missionaer
der Suedsee (1795), an der Spitze einer Reihe von Ehrenmaennern, die, wenn
auch hin und wieder selbst nicht frei von menschlichen Schwaechen, auf
das Wohlgemeinteste fuer diese Voelker sorgten.

Allein weder sie noch der fortgeschrittene Geist der Jahrhunderte
konnten auch hier die boesen Wirkungen der Kultur und ihrer Traeger
abwehren. Eine Reihe einzelner Brutalitaeten, deren Helden meist
Schiffskapitaene und ihre Matrosen sind, kamen auch hier vor, welche
allerdings bei der geringen Anzahl der Einwohner fuer die einzelnen
Inseln gefaehrlich genug sein konnten und z.B. fuer Waihu verderblich
gewesen sind (Moerenhout 2, 278-79, der Genaueres und die Quellen gibt).

Aber auf die Dauer gefaehrlich wurden die Europaeer durch die
Verbrecherkolonien, welche sie in der Suedsee (Neuholland, Tasmanien und
sonst) anlegten. Denn eine Menge der deportirten Verbrecher entwichen
und indem sie sich auf verschiedenen Inseln des Ozeans umhertrieben oder
auf einzelnen festsetzten, schleppten sie ausser Krankheiten eine Menge
Laster ein oder reizten, was oft genug vorgekommen ist, die Eingeborenen
zum Krieg gegen die ankommenden Weissen, der meist den Eingeborenen
verderblich wurde; oder zum Widerstand gegen die Missionaere, der ihnen
nach anderer Seite hin schadete.

Ausserdem wird die Suedsee durchkreuzt von einer Menge von Walern, welche
oft ziemlich lange Rast auf den einzelnen Inseln halten und deren
Mannschaft sehr oft aus dem Abschaum aller Voelker zusammenfliesst. Auch
sie wirkten auf gleiche Weise ausserordentlich unheilvoll. Fuer Hawaii
allein schlaegt Virgin (1, 269) die Zahl derselben auf jaehrlich 15-20,000
an und er erwaehnt auch, wie die Syphilis durch sie fortwaehrend neue
Nahrung bekommt. Diesen Walern und ihrem entsittlichenden Einfluss
schreibt auch Gulick die Abnahme der Bevoelkerung von Kusaie, von der
oben die Rede war, zu.

Ferner hat hier die Feindseligkeit, mit welcher die nicht geistlichen
Europaeer den Missionaeren, meist aus Gewinn- oder Genusssucht,
entgegentraten (genauere Belege bei Meinicke b und Lutteroth) ganz
besonders nachtheiligen Einfluss ausgeuebt; und nicht minder der Streit,
welchen die katholische Kirche in der Suedsee mit den evangelischen
Missionaeren anfing. Frankreich war es, welches als "Werkzeug der
Propaganda" (Lutteroth 164) in diesem Theil der Welt auftrat und die Art
und Weise, wie es das gethan hat, war keineswegs im Interesse der
Polynesier. Erstaunt man schon ueber die Orgien, welche seine Vertreter
veruebten--so Dumont d'Urville auf Nukuhiva (4, 5, ff.), Laplace und die
Mannschaft der Artemise auf Tahiti (Lutteroth 167), so erstaunt man noch
mehr ueber die Unbefangenheit, mit welcher die franzoesischen
Schriftsteller ueber diese schmachvollen Vorgaenge als etwas ganz
Selbstverstaendliches reden. Will man die Eingeborenen dieser Inseln
heben, so muss man ihr Selbstgefuehl zu foerdern suchen, man muss, indem
man die Laster, die ihnen so viel geschadet haben, unterdrueckt, auf ihre
guten Seiten belebend und kraeftigend einwirken: von allem aber hat die
franzoesische Okkupation der Insel Tahiti nur das Gegentheil bewirkt und
wie man aus der brutalen Art schliessen kann, mit der sie verfuhr, auch
gewollt. Wenigstens geht aus allem hervor, dass die Einwanderer die
Eingeborenen hier nicht hoeher schaetzten, als einst die Spanier oder
Englaender die Amerikaner. In Neuseeland, wo die Englaender fest sich
niedergelassen und denselben Racenhochmuth gegen die Eingeborenen
gezeigt haben, hat ausser diesem letzteren und anderem schon erwaehnten
namentlich der massenhafte Landverkauf schaedlich gewirkt, auf welchen
die Neuseelaender, ohne recht zu wissen, warum es sich handele, eingingen
und wobei sie oft genug--so namentlich von der Neuseelandcompagnie--sich
betrogen sahen. Sie geriethen durch den Mangel an Land in grosse Noth,
durch den Betrug aber in grosse Wuth und die Kriege, welche noch bis vor
kurzem gefuehrt wurden, beruhen wesentlich auf diesen Gruenden
(Hochstetter 483-97). Durch alles dies, die Kriege nicht in letzter
Reihe, ist natuerlich das Emporkommen der Eingeborenen sehr gehindert.

In Melanesien haben namentlich die Sandelholzhaendler, meist englische
oder amerikanische Capitaene, der Bevoelkerung geschadet, da sie, um zu
ihrer Waare zu kommen, oft die gewaltsamsten und scheusslichsten Mittel
anwenden. Sie schlagen das Sandelholz nieder, wo sie es finden: daher
sie haeufig in Streit mit den Eingeborenen gerathen. Und in einem solchen
Kampfe auf Tanna kam es vor, dass, als die Eingeborenen in eine Hoehle im
Gebirge flohen, die nachfolgenden Matrosen vor derselben ein Feuer
anzuendeten und durch den Rauch alle in der Hoehle befindlichen
umbrachten! Auch rauben sie zu ihren Arbeiten Eingeborene der Inseln und
schleppen sie mit sich fort, welche dann haeufig dem Heimweh und der
Ueberbuerdung mit Arbeit erliegen (Turner 493 vergl. 464). Auf allen
Inseln Melanesiens sind sie gleichmaessig gefuerchtet (Cheyne).

Meinicke (a 2, 217) haelt die Neuhollaender fuer einen der Kultur absolut
unzugaenglichen Menschenstamm. Andere Schriftsteller haben auch
behauptet, ein friedliches Auskommen mit ihnen sei ganz unmoeglich.
Allein die Englaender haben sich nie die Muehe gegeben, auch nur in ein
ertraegliches Verhaeltniss mit ihnen zu kommen: und dass dies sehr leicht
gewesen waere, beweisen zunaechst einzelne Beispiele (Waitz 1 184 ff.),
wie vor allen das Greys, der ueberall friedlich mit ihnen fertig geworden
ist, dann aber geht es aus dem ganzen Betragen der Eingebornen hervor,
die eher scheu als kriegerisch, im Anfang den Weissen freundlich
entgegen kamen, ja sogar ihre Niederlassung im eignen Gebiet wuenschten
(Grey 2, 234-35). Auch Meinicke, der wahrlich nicht fuer die Neuhollaender
Partei nimmt, gibt das zu (a 2, 214). Ihre vielfach behauptete wilde
Blutgier ist nichts als Fabel--wohl aus dem naheliegenden Grund
erfunden, um nun gegen sie desto ruecksichtsloser zu verfahren. Und das
ist reichlich geschehen. Zunaechst machte man ihr Land vornehmlich zum
Deportationsort von Verbrechern; Neu-Sued-Wales war Verbrecherkolonie bis
1843: Westaustralien, das nach Grey's Zeugniss 2, 364 hoeher stand als
der Osten des Continents, weil es keine Verbrecherkolonie war, ist es
neuerdings geworden (Waitz 1, 185) und dass die Ureinwohner die hoehere
Kultur, welche durch diese Straeflinge und ihre Frevelthaten sich
zunaechst bei ihnen ankuendigte, "strenge von sich abwiesen" (Meinicke 2,
217): sollte ihnen das nicht eher zum Lobe gereichen? Sodann hat die
englische Krone die Rechte der Eingeborenen an ihr Land nie anerkannt;
sie hat genommen was sie wollte, und als dann die Eingeborenen in Folge
von Nahrungs-und Landmangel zu Bettlern und Raeubern geworden waren, hat
man hierin ein Zeichen ihrer Unverbesserlichkeit durch die Kultur
gesehen und sie mit allen Mitteln verfolgt. Spaeter freilich, und auch
dies erst in Folge der schreiendsten Misshandlungen durch die Weissen,
hat man sie unter die englischen Gesetze gestellt, allein diese wirken
wenig zu ihren Gunsten (Grey 2, 368). Denn abgesehen davon, dass die
Eingeborenen so gut wie gar nicht zeugnissfaehig vor Gericht sind, so
werden auch die Gesetze meist nur da angewandt, wo sie gegen dieselben,
nicht wo sie zu ihren Gunsten sprechen; ihre Verbrechen an den Weissen
werden gestraft, nicht aber umgekehrt die der Weissen an ihnen, und
letztere Verbrechen sind viel zahlreicher. 1838 weigerten sich die
Geschworenen eine Anzahl Weisser zu verurtheilen, welche 28 Eingeborene
ganz ohne Grund abgeschlachtet hatten (Waitz 1, 184). Man schiesst
(Breton 200) die Eingeborenen oefters zum Vergnuegen nieder, da sie in
den Augen der Kolonisten nicht hoeher stehen, wie etwa der Orang Utang.
Ja man hat sie an verschiedenen Orten schaarenweise vergiftet (Eyre
Journal of expedd. into Central-Austral. 1845 2, 176 Note: Waitz 186);
nach Byrne (12 years wanderings in the british colonies 1848 1, 275,
Waitz eb.) ist das an vielen Gegenden von Neu-Sued-Wales durch Arsenik
geschehen und man hat sich laut und oeffentlich dieser That geruehmt.

Natuerlich ist fuer ihre Emporhebung so gut wie nichts geschehen; denn was
wollen die edeln Bemuehungen einzelner Maenner, wie der Missionaere, sagen,
wenn das ganze Volk der Kolonisten anders handelt? Grey (2, 364 ff.)
stellt zusammen, worin man an ihnen gefehlt hat: man betrachtet sie als
niedere Race und behandelt sie deshalb mit dem groessten Vorurtheil und
der groessten Willkuehr. Werden sie zur Arbeit gedungen, so zahlt man
ihnen oft fast nichts, immer aber weit geringeren Lohn als den
Europaeern. Natuerlich schweifen sie lieber bettelnd umher. Sie unter
englischen Rechtsschutz zu stellen war wohlgemeint: allein man haette die
englischen Gesetze auch auf das Unrecht, was sie einander selbst thun,
anwenden sollen, waehrend jetzt (Grey gibt Beispiele aus Perth) die
Europaeer ruhig zusehen, wenn Eingeborene von Eingeborenen ermordet
werden; man hat durch diese Art der Einfuehrung des englischen Rechts
nichts erreicht, als dass die aelteren Eingeborenen die juengeren durch
grausame Behandlung von der Annahme neuer Sitten abschrecken (Grey 2,
376). Es ist nach alledem kein Wunder, wenn sie sich von der Kultur, die
sie so namenlos elend gemacht hat und fortfaehrt, sie als wilde Thiere zu
behandeln, streng abwenden, obwohl sie geschickt genug sind, sie unter
sich aufzunehmen und sich hoeher zu entwickeln (Grey 2, 374). Grey selbst
erzaehlt einen Fall (2, 369), dass ein europaeisch unterrichteter
Eingeborener, der manche Faehigkeiten sich erworben hatte, wieder
zurueckkehrte zu den uncivilisirten Seinen, in die wilden Waelder.
Wollen wir ihn tadeln, dass er nicht lieber, wie es in Prutzs
geistreichem-Lustspiel von aehnlichen Verhaeltnissen heisst,

  Ein Lump auf Griechisch ist, als ein honetter Tektosage?

Bei den Seinen hatte er Familie, Ehre, Vermoegen; in der Kolonie war er
verachtet, ehrlos, arm. "Ich haette ebenso gehandelt", sagt Grey.

Aus allem Angefuehrten geht hervor, dass es sehr unrecht ist, wenn man
aus der Feindseligkeit der Neuhollaender gegen die Kultur schliesst, sie
seien ueberhaupt jeglicher hoeheren Bildung unfaehig. Nicht sie haben die
Kultur, die Kultur hat sie von sich gestossen.

Die Eingeborenen Tasmaniens, welche noch friedfertiger waren als die
Neuhollaender, sind schon vernichtet. Auch hier war eine
Verbrecherkolonie und was fuer Fruechte sie den Eingeborenen trug, zeigt
folgende Geschichte: ein Straefling ueberredete einen Eingeborenen, dem er
eine geladene Flinte gab, wenn er dieselbe in sein Ohr losdruecke, so
wuerde er eine sehr angenehme Empfindung haben. Er machte ihm, was er zu
thun habe, mit einer ungeladenen Flinte vor; worauf natuerlich der
Eingeborene sich erschoss (Holman a voyage round the world [1827-1832]
4, 403). Auch sonst wurden sie, wie offiziell festgestellt ist, aufs
schmaehlichste, wie wilde Thiere behandelt. Gleich bei der ersten
Ansiedelung schoss ein Offizier zum Vergnuegen mit Kartaetschen unter die
friedlichen Eingeborenen (Bischof, Sketch of the hist. of V. Diemensl.
204); andere Schandthaten gleicher Art kamen haeufig vor und erst seit
1810, sieben Jahre nach der Kolonisation ward festgestellt, dass die
Ermordung eines Eingeborenen als Mord gelten und bestraft werden sollte
(Hobarttown Almanak for the year 1830, 201). So erhoben sich endlich
(1826) die erbitterten Eingeborenen zu einem Krieg auf Leben und Tod, in
welchem sie gefaehrlich genug wurden, schliesslich aber--war doch auf das
Einfangen eines Erwachsenen 5 Pfund, auf das eines Kindes 2 Pfund als
Preis gesetzt (Van Diemensland Almanak for the year 1831 p.
161)--schliesslich unterlagen sie. Darwin, welcher auch der Meinung ist,
dass ihre Vernichtung in dem "schaendlichen Betragen" der Englaender ihren
Grund hatte, vergleicht den Krieg gegen sie mit einer der grossen
ostindischen Jagden (2, 226). Besiegt wurden sie nach Flinders Insel
deportirt (Darwin a.a.O.); 1848 verpflanzte man sie nach Oyster Cove im
Canal d'Entrecasteaux und jetzt werden sie wohl, vor dem Hauche einer
solchen Kultur, ganz ausgestorben sein (Melville the present state of
Australia 1851 370, Nixon 18). 1815 betrug ihre Zahl noch 5000, 1835
(nach dem Kriege) noch 111, 1847 waren noch 13 Maenner, 22 Weiber und 10
Kinder uebrig; 1854 waren, nachdem 29 gestorben und kein Kind weiter
geboren war, noch 16 uebrig (Petermann 1856, 441 nach dem Blaubuch).
Nirgends fand Darwin die Vermehrung eines civilisirten ueber ein
uncivilisirtes Volk auffallender wie hier: nirgends aber ist auch die
Vernichtung der Eingeborenen roher und ruecksichtsloser betrieben, als in
Tasmanien (Bischof, Sketch of the hist. of V. Diemensland 1832,
appendix); wobei wohl in Anschlag zu bringen ist, dass alle diese
Scheusslichkeiten im 19. Jahrhundert ausgeuebt sind.




Sec. 18. Geographische Vertheilung der einzelnen Gruende fuer das Aussterben
der Naturvoelker. Vergleichung dieser Gruende in Bezug auf ihr Gewicht.


Sorglosigkeit der Voelker also gegen sich, in leiblicher und geistiger
Beziehung: ihre Ausschweifungen, so wie der geringe Werth, welchen sie
dem Menschenleben geben; Druck der einheimischen Fuersten; dann ihr
leibliches und geistiges Verkommen durch die nothwendigen Einwirkungen
einer uebermaechtigen und von ihnen nur theilweise angenommenen Kultur, so
wie endlich die Mittel, welche die Kulturvoelker theils aus Rohheit,
theils mit der Absicht gegen sie anwandten, sie auszurotten: diese
Gruende waren es, welche wir bisher als Schuld an ihrem Aussterben
bezeichneten. Natuerlich haben diese Gruende, wie wir schon sahen, nicht
alle ueberall Geltung und es wird noethig sein, dass wir sie, inwiefern
sie bei den einzelnen Voelkern wirksam waren, hier kurz zusammenstellen.

In Tasmanien ist die Bevoelkerung lediglich in Folge des englischen
Vernichtungskrieges gegen sie zu Grunde gegangen. Gleichfalls nur dem
Einfluss der Europaeer und zwar der Spanier erlegen sind die Bewohner der
Marianen und der Antillen: allerdings haben hier die Seuchen, welche im
Gefolge der Europaeer ausbrachen, den Weissen die Blutarbeit wesentlich
erleichtert: allerdings hat die tiefe Niedergeschlagenheit, welche sich
der Eingeborenen bemaechtigte, wesentlich diese Krankheiten und das
Aussterben befoerdert. Aber beides, Krankheiten und Melancholie, waren
erst durch das Auftreten der Europaeer hervorgerufen; und gesetzt auch,
die Seuchen haetten diese Voelker ohne die Europaeer ueberfallen, so wuerden
sie dieselben wohl ueberwunden haben, wie ja auch die Bevoelkerung Mexikos
das schwarze Erbrechen, welches schon vor Ankunft der Spanier in
verheerender Weise wuethete, siegreich ohne bleibenden Nachtheil
ueberstanden hat.

Den Europaeern allein ist ferner das Verderben der Mexikaner und Peruaner
zuzuschreiben: nur dass sie am Anfang unterstuetzt wurden von
verschiedenen eingeborenen Staemmen und Voelkern, welche mit dem Hauptland
in Feindschaft waren, bis auch diese nach und nach der europaeischen
Bedrueckung erlagen.

Der schlimme Einfluss der Weissen und die Seuchen, welche sie brachten,
war es denn auch vornehmlich, welcher die Neuhollaender aufrieb, aber
keineswegs dieser allein. Bei ihnen ist zweitens die schlechte
Lebensweise, die dadurch veranlasste Unfruchtbarkeit der Weiber und
Sterblichkeit der Kinder von sehr bedeutendem Einfluss, so wie drittens
der Kindermord und viertens die mannigfachen Kriege und Feindseligkeiten
der Staemme untereinander mit in Anschlag zu bringen sind. Die
Ausschweifungen, die sich bei ihnen finden--den Trunk haben erst die
Weissen gebracht--sind zu wenig verbreitet, als dass sie ins Gewicht
fallen koennten.

Auch die roheren Voelker Nord- und Suedamerikas wuerden wir wohl noch in
derselben Anzahl jetzt vorfinden, wie vor 300 Jahren, wenn der Einfluss
der Europaeer, der als Hauptgrund auch fuer ihr Aussterben anzusehen ist,
nicht gewesen waere. Neben der Wirkung der europaeischen Waffen und
Getraenke waren von schlimmstem Einfluss die Seuchen, welche von den
Weissen (wie wir sahen oft mit der schaendlichsten Bosheit) eingeschleppt
wurden, dann aber auch, ausser den direkten Vernichtungskriegen, das
geistige und leibliche Verkommen der Eingeborenen in Folge der ploetzlich
eingefuehrten Kultur und vor allen die tiefe Niedergeschlagenheit, welche
sich der Indianer, als sie ihre Ohnmacht sahen und sahen, wie sie
rechtlos zertreten wurden, bemaechtigte und die bei ihrer schon
vorzugsweise melancholischen Natur doppelt gefaehrlich wirkte. Dazu
kommen nun noch als gleichfalls sehr wichtige Faktoren zweitens die
heftigen Kriege, die sie untereinander fuehrten, drittens die in Folge
der Lebensweise geringere Fruchtbarkeit der Weiber und viertens in
Suedamerika (in Nordamerika war beides zu wenig verbreitet) der
Kindermord, die Ausschweifungen, namentlich der Trunk.

Und hier muessen wir auf jene schon oben (S. 11) erwaehnte Beobachtung
Tschudis zurueckkommen, dass amerikanische Voelker, nach einem sehr
verheerenden Krieg, nach einer sehr schlimmen Epidemie sich nie wieder
zu ihrer frueheren Kraft erhoeben, sondern hoechstens in diesem reducirten
Zustand ein elendes Leben weiter fristeten. Diese betruebende Erscheinung
ist leider nur allzunatuerlich. Denn wie ein menschlicher Organismus, der
sich von einer furchtbaren Krankheit erholt, nur durch lange und
sorgsame Pflege seine fruehere Kraft wieder zu gewinnen im Stande ist:
eben so ist es der Fall bei ganzen Voelkern. Durch das von uns
geschilderte mannigfache Elend aber, in welchem diese Staemme sich auch
sonst noch befinden, werden alle ihre Kraefte schon auf die Erhaltung des
Lebens, wie es nun einmal ist, absorbirt und es bleibt kein Ueberschuss
uebrig fuer Wiederherstellung des Verlorenen oder Verletzten. Auch wird
durch solche furchtbare Schicksale die Lebenskraft selbst schwer
verletzt, indem bei so massenhaftem Elend nothwendig laehmende
Melancholie oder Apathie eintritt.

Die Fruchtbarkeit der Weiber, ja auch der Zeugungstrieb der Maenner wird
durch den steten Druck der Sorge und Noth, der fast noch schwerer auf
der Seele ruht als auf dem Leib, wesentlich beeintraechtigt; und ein
Schlag, den diese Voelker, wenn sie sich in besserer, hoffnungsvollerer
Lage befaenden, mehr oder minder leicht ueberwinden wuerden, muss jetzt
nothwendig hoechst gefaehrlich, ja toedtlich auf sie wirken. Schaffte man
das Elend, das leiblich und geistig auf ihnen lastet, weg--wozu indess
ebenso viel Umsicht und Energie als Ausdauer und Zeit gehoerte--so wuerden
auch solche reducirten Voelker sich heben und mit den Jahren, die man
nicht allzu kaerglich bemessen duerfte, das werden, woran die
suedamerikanischen Staaten denn doch keinen allzugrossen Ueberfluss
haben: brauchbare und zuverlaessige Buerger. Die Indianerstaemme, welche
man jetzt in den Waeldern verkommen laesst oder gar absichtlich mordet und
ausrottet, sind ein Capital, was bei vernuenftiger Behandlung fuer die
Zukunft reichlich Zinsen tragen wuerde und was man jetzt muthwillig und
absichtlich vergeudet.

Die Hottentotten sind gleichfalls hauptsaechlich der feindseligen
Ausrottung durch Hollaender und Englaender erlegen: allein ihre Macht war,
wie es scheint, schon durch fruehere Kriege mit den umwohnenden Voelkern
gebrochen. Ihre elende Lebensart, Seuchen u.s.w. foerdern ihr Aussterben
maechtig.

Die Kamtschadalen und Aleuten sind den Vernichtungskriegen oder der
muthwilligen Ausrottung durch die Russen, sowie den von ihnen
eingeschleppten Seuchen erlegen: zweitens aber wirkten gleichfalls sehr
die Ausschweifungen (in geschlechtlicher Hinsicht und durch den Trunk),
denen sie ergeben waren. Sie waren durch dieselben entnervt und deshalb
zum Widerstand nicht mehr stark genug.

Die Polynesier dagegen haben sich wesentlich selbst zu Grunde gerichtet,
zunaechst durch ihre unsinnigen geschlechtlichen Ausschweifungen (Tahiti,
Hawaii); sodann durch den bei ihnen so furchtbar verbreiteten
Kindermord, drittens durch die blutigen und verheerenden Kriege, die sie
untereinander fuehrten, viertens durch die sinnlose Bedrueckung, welche
die Herrschenden ueber die Beherrschten ausuebten und endlich fuenftens
durch den geringen Werth, in welchem bei ihnen das Menschenleben stand.
Sie waren schon im Aussterben begriffen, als die Kultur zu ihnen kam,
und diese hat nur--einzelne Voelker, wo ihre Traeger groessere Schuld auf
sich luden, abgerechnet--durch die physische und psychische Erregung,
die sie bringen musste und wodurch ein sechster Grund fuer ihr
Hinschwinden dazu kommt, das Uebel, welches diese Voelker wie ein
schleichendes Gift durchdrungen hatte, zum rascheren Ausbruch und
schnelleren Verlauf gebracht.

Fragen wir nun, welche von allen diesen Ursachen war die verderblichste,
so liegt gleich auf der Hand, dass dies das feindselige Auftreten der
Weissen war, wie es ja auch bei fast allen Naturvoelkern gleichmaessig
gewirkt hat und moechten wir die Angriffe auf das psychische Leben der
Naturvoelker fast fuer verderblicher halten, als das Losstuermen auf ihre
physische Existenz. Letzteres hat akuter gewirkt und laesst sich mit der
Verwundung eines Organismus vergleichen: jene brachten, wie eine totale
Vergiftung, ein zwar langsameres, aber viel tieferes, schwerer zu
heilendes und weit allgemeineres Unheil hervor. Aber auch die Europaeer,
trotz der Mittel, die sie anwandten, trotz der grossen Uebermacht ihrer
Kultur, haben eine totale Ausrottung nur auf eng abgegrenzten Bezirken
bewirkt, auf kleinen Inseln, auf Tasmanien, den Marianen, den Antillen:
auf groesseren Gebieten reicht ihre Wirksamkeit nicht so weit, trotzdem
sie hier noch manches andere unterstuetzt hat. Die leichte
Empfaenglichkeit der Naturvoelker muessen wir, sowohl was Kraft der
Wirkung, als auch was weite Ausdehnung derselben angeht, an zweiter
Stelle erwaehnen. Die Krankheiten, welche scheinbar spontan bei der
Beruehrung der Naturvoelker und der Weissen entstanden, so wie die,
welche von letzteren zu ersteren eingeschleppt wurden, haben im
Durchschnitt gewiss ein Drittel, wenn nicht mehr, der Eingeborenen
Amerikas, Afrikas und des stillen Ozeans dahingerafft.

Die dritte Stufe in dieser Reihenfolge der Verderblichkeit geben wir den
Ausschweifungen. Allerdings haben sie minder allgemein geschadet als
jenes Niedergeschmettert- oder Inficirtwerden von aussen her; aber fuer
die menschliche Natur sind sie noch gefaehrlicher, weil sie die innersten
Lebensnerven zerstoeren und wo sie wirksam sind, keine Rettung durch
Flucht oder durch Besiegung des Feindes moeglich ist. Wir sahen die
Polynesier, ein so glaenzend begabtes Volk, verkommen, trotzdem dass
ihrer sich die Kultur im Wesentlichen freundlich angenommen hat: sie
waren im Innersten angefressen durch die Ausschweifungen, denen sie sich
hingegeben hatten und sie waeren auch ohne Beruehrung mit den Weissen und
nach und nach immer rascher durch ihre eigenen Laster zu Grunde
gegangen. Die Betrachtung der Polynesier lehrt uns die Gefahr der
Ausschweifungen fuer ganze Voelker erst richtig ermessen.

Viertens muss der Kindermord genannt werden, welcher vor allen Dingen in
Polynesien und in Suedamerika heimisch war, so wie ueberhaupt der geringe
Werth, welchen man dem Menschenleben beimisst. Dass aber letzteres
allein ein Volk nicht wesentlich zurueckbringt, beweist das Beispiel des
Fidschiarchipels. Nirgends wird durch Menschenopfer, Krieg,
Kannibalismus u. dergl. mehr Blut vergossen und Leben verschwendet als
hier; und dennoch gehoeren diese Inseln zu den bevoelkertsten der Suedsee
und ein Aussterben wird auf ihnen nicht bemerkt.

Die Kriege haben zwar mancherlei Schwankungen unter den Naturvoelkern
herbeigefuehrt, auch wohl einzelne Staemme ganz aufgerieben, aber doch
nirgends so gewirkt, dass wir sie in erster Reihe aufzufuehren haetten.
Ebenso ist es mit der elenden Lebensweise der meisten dieser Voelker,
welche zwar ihr froehliches und kraeftiges Gedeihen hindern konnte,
nirgends aber, so weit unser Material der Beobachtung reicht, eine
voellige Vernichtung herbeigefuehrt haben. Bei alle den roheren Nationen
fanden wir auch vor der Beruehrung mit den Europaeern die Kopfzahl nie
sehr hoch und hierfuer war eben ihre wandernde und kaergliche Lebensart
der Grund. Beides nun, das schlechte Leben und die verhaeltnissmaessig
geringe Volksmenge unterstuetzen jedes andere ueber ein Volk
hereinbrechende Uebel immer in so fern, als sie das Volk um so
rueckhaltsloser und rascher unterliegen lassen. Und aehnlich ist es mit
allen den uebrigen von uns angefuehrten Gruenden, die alle erst dann
wirksam werden, wenn sie mit anderen verbunden auftreten.

Hierher gehoeren auch die unvermeidlichen Folgen der zu rasch herein
brechenden und nur halb angenommenen Kultur, welche wir in so mancher
Beziehung fuer die Naturvoelker schaedlich fanden. Allein wohl nimmermehr
waeren diesen Folgen, den Veraenderungen im leiblichen und geistigen
Leben, der gewaltigen geistigen Anstrengung, welche die Kultur
verlangte, diese Voelker erlegen, wenn nicht andere Ursachen hierfuer
wirksam waren, zu denen dann freilich sich auch jene Folgen der Kultur
als wirksamer sekundaerer Grund hinzugesellten. Haette sich die Annaeherung
der Kultur, wenn auch rasch, aber friedlich vollzogen; haette sie gesunde
Voelker getroffen, so wuerde bei diesen, aehnlich wie bei den alten
Germanen, eine Zeit des Stillstandes eingetreten, dann aber ein neues
kraeftiges Leben erblueht sein. Wo die Verhaeltnisse nur annaehernd normal
waren, finden wir diesen Gang der Ereignisse, wie wir im Folgenden naeher
betrachten werden.

Aus dem Vorstehenden folgt ein wichtiges Gesetz: nie ist es eine Ursache
allein, welche ein Volk vernichtet, sondern stets mehrere zusammen, von
denen allerdings eine im Vordergrund stehen kann. Auch die Ausrottung
der Marianer, Tasmanier und der antillischen Bevoelkerung bildet keine
Ausnahme, da man hier die Begrenztheit des Terrains als zweiten Grund,
in Tasmanien Charakter und Lebensart der Bewohner als dritten in
Anschlag bringen muss. Wo nur eine der genannten Ursachen wirkt, oder
auch mehrere der untergeordneten, da tritt, soweit jetzt menschliche
Geschichte und Beobachtung reicht, kein Aussterben ein; so halten sich
die Feuerlaender trotz ihres elenden Lebens: so bestehen die Fidschis
weiter trotz der auch zu ihnen maechtig eingedrungenen Kultur, trotz der
massenhaften Menschentoedtung; und so kann man dies weiter verfolgen.
Diese Erscheinung ist anthropologisch bedeutsam, weil sie wie keine
zweite die zaehe Lebensfaehigkeit der Menschheit und zugleich beweist,
dass diese Lebenskraft in allen Zweigen des Menschengeschlechtes
gleichmaessig vertheilt ist, ja bei den Naturvoelkern eher staerker, wie
bei den kultivirten Nationen auftritt, welche letzteren, weil sie feiner
organisirt sind als die unkultivirten Menschen, auch bei weitem weniger
zu ertragen im Stande sind.

Denn wenn wir fragen: sind die angefuehrten Ursachen stark genug, um das
Hinschwinden ganzer Voelker zu veranlassen? so muessen wir antworten: sie
sind es reichlich und im Uebermass, jede einzelne schon und nun gar
mehrere vereint. Ist es nicht ein wahres Wunder, dass der Naturmensch in
einem Lande wie Neuholland sich hielt, wo Europaeer trotz aller
Ausruestungen meist so rettungslos verloren sind? Und noch dazu sich
hielt in den ewigen Kriegen mit seines Gleichen, unter den unguenstigen
Einfluessen der eigenen mangelhaften Kultur? oder der Polynesier auf
seinen kleinen oft so unfruchtbaren Inseln inmitten des ungeheuersten
aller Ozeane, und auch er ewigem Krieg und Kindermord und den
entnervendsten Ausschweifungen unterworfen? Nicht ein Wunder, dass nach
den furchtbaren Vernichtungskriegen durch die Weissen nicht eines dieser
Voelker vollkommen vertilgt ist, ausser kleinen Staemmen? Gewiss, wenn
wir dies alles ueberdenken, werden wir nicht von der Lebensunfaehigkeit
der Naturvoelker, sondern vielmehr von ihrer ausserordentlichen
Lebenskraft und Unverwuestlichkeit uns ueberzeugen muessen. Und so ist hier
der Ort, auf die Frage zurueckzukommen, zu welcher wir durch Waitz
veranlasst waren: sind wir wirklich zu dem Gestaendniss genoethigt, dass
uns das Aussterben der Naturvoelker vollstaendig zu erklaeren noch nicht
gelingt? Wir sind es nicht. Wenn man der Geschichte jedes einzelnen
Volkes folgend fragt, wie kommt es, dass es dahin siecht und schwindet,
wir werden immer vollkommen erschoepfend die Gruende erkennen, welche
stets dem von uns zusammengestellten Kreis angehoeren werden. Diese
erklaeren das Aussterben der Bevoelkerung so vollstaendig, dass zu irgend
welchem Raethselhaften nicht der mindeste Platz bleibt, sobald man nur
die einzelnen Gruende in ihrer physischen und psychischen Wirksamkeit
sich mit genuegender Consequenz vor Augen fuehrt.

Doch ist wohl zu beachten, dass auch die Unverwuestlichkeit dieser
haerteren Voelker ihre Grenze hat. Wir sahen in Neuholland einen
Menschenstamm, der von frueher besserem Zustand herabgesunken scheint;
dasselbe ist der Fall mit Mikronesien und dem eigentlichen Polynesien,
sowie mit den Hottentotten. Am weitesten vorgeschritten war der Verfall
bei den Polynesiern: daher sie denn bei verhaeltnissmaessig leichtem
Anstoss von aussen her rasch und viel unaufhaltsamer zusammenbrechen,
als z.B. die Melanesier oder Hottentotten und andere Voelker. Dieser
Verfall musste, wenn seine Ursachen, die Ausschweifungen, Kriege und
Vergeudung der Menschenleben, wirksam blieb, immer rascher weiter gehen
und so waren sie jedenfalls verloren--wenn sie nicht von aussen her
gerettet wurden und das hat, so weit es noch moeglich war, die Kultur im
Grossen und Ganzen gethan. Und moegen wir auch noch so sehr beklagen, wie
die Europaeer sich den meisten Naturvoelkern gegenueber benommen haben: das
muessen wir anerkennen, dass alle diese unkultivirten Voelker, wenn sie in
ihrem Naturzustande noch Jahrhunderte weiterlebten, einem zwar sehr
langsamen, aber sicheren Untergang, dessen Keime sie in sich selbst
trugen, entgegengingen. Sie hatten sich keine Herrschaft ueber die sie
umgebende Natur errungen: sie lebten ausschweifend, nur ihren Geluesten
hingegeben, unregelmaessig, ohne Gedanken in die Zukunft, in gewaltigster
Traegheit; Kriege, Rache u.s.w. waren bei ihnen feste Sitten; der
Aberglaube, der so haeufig Menschenopfer verlangte, beherrschte sie ganz;
ihr psychisches Leben war wenig, die intellektuelle Thaetigkeit nur nach
praktischer Seite hin entwickelt. Diese Zuege ihres Wesens mussten aber
im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende immer starrer und
unueberwindlicher werden: und es ist keine Frage, dass sie ihnen einst,
frueher oder spaeter, denn wer mag das Ende dieser Zeit bestimmen,
erliegen mussten. Die Natur, in welcher sie lebten, bot kein erziehendes
Moment von durchgreifender Macht; und haette sie es durch irgend welche
Veraenderungen ihnen noch geboten, sie waren nicht mehr im Stande, es
sich zu nutze zu machen, da sie durch und in Jahrtausende langer
Gewoehnung erstarrt waren. Sollten diese Voelker also gerettet werden, so
war ein ploetzlicher Anstoss, es war das Eingreifen der Kultur
nothwendig; und obwohl dieselbe ihre Aufgabe so blutig geloest hat; so
ist diese Nothwendigkeit doch ein Gedanke, der ueber das viele Blut und
Elend, das sie oder vielmehr ihre Traeger schufen, einigermassen troestet.




Sec. 19. Vergleichung der Natur- und Kulturvoelker in Bezug auf ihre
Lebenskraft.


Da sich nun aus allen diesen angefuehrten Gruenden das Aussterben der
Naturvoelker vollkommen erklaert, ja da die Art ihrer Wirksamkeit uns erst
recht die Lebenskraft des Menschengeschlechtes beweist: so faellt damit
schon von selbst die Annahme, als ob die Naturvoelker "von der Natur zum
Untergange bestimmt" geringer organisirt seien als die Kulturvoelker.
Dies wird sich ganz klar und unwiderleglich zeigen, wenn wir die
Wirksamkeit derselben Gruende auf die europaeischen Nationen betrachten.
Wir werden dort ganz genau denselben, ja einen noch weit schlimmeren
Erfolg derselben sehen.

Alles, was Caesar den Galliern zufuegte, die Verwuestung des Landes, die
grossen Verluste an Menschenleben, das Zertreten des Nationalgefuehls,
alles das ist doch wahrlich nicht zu vergleichen mit dem, was Mexiko
z.B. oder die Nordamerikaner litten: und dennoch war durch Caesar in
nicht 10 Jahren das gallische Volk, das er freilich schon herabgesunken
vorfand, so sehr gebrochen, dass es seine Selbstaendigkeit bis auf die
Sprache verlor. Allerdings hatten die italischen Buergerkriege Italien
etwa 70 Jahre auf das grauenvollste verwuestet; aber nach ihnen finden
wir auch das Land im Innersten gebrochen und die Macht des roemischen
Staates auf Heeren von Fremdlingen beruhend; erst massenhaft versetzt
mit frischen germanischen Elementen und auch da erst nach langer Ruhe
hebt sich die italische Bevoelkerung, nun ein ganz neues Volk, wieder
empor. Und doch waren auch seine Leiden viel geringer als die der
Amerikaner. Und die Griechen! Warum haben sie aufgehoert ein historisch
bedeutendes Volk zu sein? weil sie entnervt waren von den
scheusslichsten Ausschweifungen und ihre letzte Kraft zertreten wurde
zuerst durch die Stuerme der Voelkerwanderung und dann durch das tuerkische
Joch. Aber welche Hoehe hatten die Griechen einst inne--und es ist nicht
zu viel gesagt, wenn man jetzt die Durchschnittsbildung der Griechen
gleichstellt mit der etwa der uebriggebliebenen Mexikaner.

Der 30jaehrige Krieg, welcher doch im Anfang nur lokal und nie ohne
Unterbrechungen wuethete und mit allen seinen Greueln und seiner Dauer
durchaus nicht das, was die Naturvoelker zu leiden hatten, erreicht,
welche grenzenlose Verwuestung hat er in der Bevoelkerung unseres
Vaterlandes angerichtet! Ernstlich war durch ihn die deutsche Nation in
ihrer Existenz gefaehrdet und es ist ja eine vielfach ausgesprochene
Wahrheit, dass einmal unser Nationalcharakter durch diesen furchtbaren
Krieg mannigfach veraendert und herabgedrueckt ist, andererseits wir noch
bis auf den heutigen Tag mit der Heilung der Wunden, welche er unserem
socialen und politischen Leben geschlagen hat, zu thun haben.

Sehen wir so an diesen wenigen historischen Beispielen dieselben
Ursachen bei den kultivirten Nationen noch staerker wirken, als bei den
Naturvoelkern: so wird eine kurze psychologische Betrachtung uns dasselbe
lehren. Obwohl wir eine Religion haben, welche den Glaeubigen Trost
gewaehrt auch im schlimmsten Unglueck, obwohl wir durch die Kultur so
manches Huelfsmittel auch fuer bedraengte Lagen haben: so wirken doch auf
uns eine Menge Dinge, welche auf die Naturvoelker noch gar keinen und
eine Menge anderer, welche auf sie weit geringern Einfluss haben. Wir
sind in unserm leiblichen Leben verzaertelt, an eine Menge Bequemlichkeit
gewoehnt, die wir nicht entbehren koennen; wir sind geistig viel
empfindlicher und ein Niederwerfen dessen, was uns heilig ist, drueckt
uns mit zu Boden. Liebe zu den Verwandten, Scham, kurz eine ganze Reihe
maechtiger geistiger Faktoren haben bei den Kulturvoelkern eine solche
Herrschaft uebers Leben, dass, wenn sie ernstlich verletzt werden, das
Leben mit bedroht ist, und man kann wohl sagen, je gebildeter ein Volk
ist, um so rascher muss es in fortwaehrendem Unheil sich verzehren. Wenn
wir z.B. nur bedenken, welche Wirkungen das Gefuehl eines ohnmaechtigen
Ingrimms, das laengere Zeit immer in uns erneut wuerde, auf uns haben
muesste, wie jeder Einzelne an sich abnehmen kann, so werden wir einmal
ermessen koennen, wie dasselbe Gefuehl auf die Naturvoelker eingewirkt
haben muss, bei welchen es durch so furchtbare Misshandlungen
fortwaehrend erneut wurde und es sehr begreiflich finden, wenn sie schon
durch dieses allein zu Grunde gegangen waeren; wir werden einsehen, was
die gebildeten Mexikaner und Peruaner gelitten haben und warum gerade
sie so rasch mit dem Sturze ihrer Bildung zu Grunde gingen; wir werden
aber andererseits zugestehen muessen, dass wir unter aehnlichen
Verhaeltnissen wohl viel weniger Widerstandskraft haben wuerden, als jene
Voelker, und gewiss jetzt erst recht aufhoeren von einer besonderen
Lebensunfaehigkeit der Naturvoelker zu sprechen, da wir dem Unheil,
welchem jene unterliegen, viel rascher unterliegen wuerden. Ja, wir
wuerden nach Gruenden suchen muessen, wie es kommt, dass jene Voelker eine
groessere Widerstandsfaehigkeit haben wie wir; und finden dieselben in
ihrer groesseren leiblichen Abhaertung, sowie in ihrer geringen geistigen
Empfindlichkeit, welche immer mit geringer Geistesentwickelung Hand in
Hand geht.--Wenn wir nun dennoch die Kulturvoelker wohl ohnmaechtig und
geschichtlich unbedeutend werden, aber nicht eigentlich verschwinden
sehen, so kommt dies daher, dass sie gerade in solchen Zeiten der Gefahr
mit neuen Menschenschaaren durchsetzt werden. Die Verwuester Italiens,
die Germanen, liessen sich massenhaft in den bluehenden Fluren des
besiegten Landes nieder; ebenso die Bulgaren in Griechenland u.s.w. Oder
die schon bestehende Kultur bietet neue Huelfsmittel, wohin man auch das
Einwandern zahlreicher Franzosen in unser Vaterland nach dem 30jaehrigen
Krieg rechnen mag. Beispiele von Kulturvoelkern, die voellig vernichtet
sind, wie ihre Kultur, bietet die Geschichte von Kleinasien.

Es faellt von hier aus noch einmal ein Blick auf die Eintheilung, nach
welcher Carus die Menschen betrachtet; man sieht auch hier, wie wenig
stichhaltig sie ist, denn seine Tagmenschen haben keine groessere
Widerstandsfaehigkeit, als seine Nacht- oder Daemmerungsmenschen; und
waehrend er behauptet (17), dass die westlichen Daemmerungsvoelker, die
Amerikaner, "wirklich dem Untergange zugewendet" seien, so sehen wir die
Tagvoelker noch rascher ihrem Untergange zueilen, schon wenn sie durch
weit mildere Schicksale heimgesucht werden.--Auch die Eintheilung der
Menschheit in aktive und passive Voelker, wie sie Klemm und Wuttke geben
(Waitz 1, 344) hat ihr sehr Bedenkliches; sie ist falsch, wenn man in
groesserer Aktivitaet zugleich nach jeder Richtung hin groessere
Kraftentwickelung sieht, denn die "aktiven" Voelker (die Kulturvoelker)
zerbrechen im Unglueck viel leichter, als die zaeheren und haerteren
Naturvoelker; sie ist ferner falsch, wenn man sie als in der
urspruenglichen Natur der Menschheit begruendet, wenn man also Aktivitaet
oder Passivitaet als verschiedenen Voelkern angeboren ansieht: denn von
Haus aus gleich organisirt hat sich die Menschheit durch verschiedene
Naturumgebung, verschiedene Schicksale u.s.w. im Lauf der Jahrtausende
so verschieden entwickelt, wie wir sie in geschichtlicher Zeit
vorfinden.




Sec. 20. Aussterbende und ausdauernde Naturvoelker.


Wenn die Annahme einer minderen Lebensfaehigkeit ganzer Voelker richtig
waere, so muesste doch bei allen diesen Voelkern sich jenes Hinschwinden
gleichmaessig zeigen. Wie kommt es aber, dass eins ausstirbt und das
andere dicht daneben nicht? ja, dass von ein und demselben Volke der
eine Zweig abstirbt, der andere ungefaehrdet weiter lebt? Und auch das
findet sich oft. Die Tonganer sterben nicht aus und sind Polynesier wie
die Tahitier, Maoris oder Kanakas; die meisten mikronesischen Inseln (so
namentlich der Gilbertarchipel) haben eine dichte Bevoelkerung, die
Kusaier sterben aus; und beide, Mikro- und Polynesier, sind nur ein
Zweig des grossen malaiischen Stammes, bei welchem ein solches
Hinschwinden, die kleine Insel Engano und einige elende in die Gebirge
gedraengte Staemme ausgenommen, sonst doch nirgends bemerkt wird. Die
Kamtschadalen sterben aus, die uebrigen Nordasiaten, ihre nahen
Verwandten, nicht. Doch vielleicht waren hier jene von uns besprochenen
Gruende des Aussterbens nicht in Thaetigkeit? Allein waehrend die uebrigen
Melanesier an vielen Punkten sich vermindern, bleiben die Fidschis,
trotz des europaeischen Einflusses, trotz ihrer Kriege und Menschenopfer,
kraeftig und bei voller Zahl. Noch aerger fast als alle anderen Voelker
sind die Neger bedrueckt von einheimischen und fremden Tyrannen; und
waehrend sie fuer einen der fruchtbarsten Staemme gelten, der gar nicht zu
vermindern ist, sterben die Neuhollaender, nach dem Kaertchen bei Carus
Nachtmenschen wie sie, aus--welchem Fall freilich der ethnologische
Unsinn, afrikanische und melanesische Neger zu einer Race zu vereinigen,
der sich indess nicht bei Carus allein findet, die Beweiskraft nimmt.
Aber die anderen Beispiele zeigen vollkommen schlagend, wie irrig die
Ansicht ist, dass die hinschwindenden Voelker in Folge der Inferioritaet
ihrer Race ausstuerben; daher wir dabei nicht zu verweilen brauchen. Wenn
unsere Ansicht aber stichhaltig ist, so muss sich nachweisen lassen,
dass da, wo die Gruende, aus denen wir das Aussterben der Naturvoelker
erklaeren, nicht eintreten oder beseitigt werden, dass da die Voelker
gedeihen, sich weiter entwickeln oder sich wieder erholen, ja selbst die
so gefaehrliche Kultur ueberwinden und sich zu ihr, wenn auch nur sehr
allmaehlich, emporheben koennen. Und der Nachweis ist leicht.

In Afrika beweisen es die Hottentotten der herrnhutischen Kolonie
Baavianskloof, welche Lichtenstein schildert. 1799 betrug die Zahl ihrer
Lehrlinge (Licht. 1, 247) 100; das Dorf, worin sie wohnten, glich mit
seinen 200 Haeusern, seinen Gaerten, seinen geraden Strassen ganz einem
deutschen Dorfe; die Hottentotten waren tuechtig im Feld- und Hausbau und
zu allem dem gebracht ganz ohne andere Strafe als Ausschliessung vom
Gottesdienst (251). Die Taufe erhielt man freilich nur als hoechste
Belohnung fuer Thaetigkeit, Rechtschaffenheit und Froemmigkeit und
allerdings fand Lichtenstein noch keine Hottentotten unvermischten
Blutes, sondern nur Mischlinge getauft; aber da sich die Herrnhuter
bemuehten, sie "erst zu Menschen und dann zu Christen" zu machen (eb.
253), so hob sich die Colonie immer mehr, so dass von der Zeit nach 1828
der Bericht lautet: "Die frei gewordenen Hottentotten fingen an mehr fuer
die Zukunft zu sorgen, der Landbau wurde eifrig betrieben und durch
kuenstliche Bewaesserung verbessert, Maessigkeit und Sittlichkeit, die Zahl
der regelmaessigen Ehen, der Besuch und die Sorge der Eltern fuer die
Erziehung der Kinder war im Steigen begriffen und es bedurfte dazu
keiner Unterstuetzung von aussen" (Waitz 2, 337). Dies ist allerdings nur
von einem kleinen Distrikt gesagt; aber wo hat man sich sonst auch mit
demselben Verstand und derselben Ausdauer der Hottentotten so redlich
angenommen? Wo man das thut, da gedeihen sie und werden brauchbare
Menschen (vergl. W. 2, 341).

In Amerika haben die Cherokees, die Algonkins, die Irokesen und andere
Voelker deutlich genug bewiesen, dass auch die Indianer der Erhebung und
Kultivirung faehig sind. Die Irokesen sind seit 1820 "bedeutend
fortgeschritten im Ackerbau, Hausbau und den mechanischen Kuensten
ueberhaupt; sie besuchten die Kirche regelmaessig, viele von ihnen waren
im Lesen, Schreiben und Rechnen so weit gekommen, dass sie Schullehrer
werden konnten, einige andere sogar respektable Geistliche" (Waitz 3,
291 mit d. Quellen). Sie hatten das Mohawk zur allgemeinen
Verkehrssprache im Gebrauch und nach Schoolcrafts Bericht fuer 1845 war
ihre Volkszahl im Wachsen (a.a.O.). Ebenso hatten die Ottawa, ein
heidnischer Algonkinstamm, sowie die Sauk und noch mehr die Delaware
grosse Fortschritte gemacht; sie leben ganz von dem Ackerbau, den sie
sehr eifrig und tuechtig betreiben, sowie vom Handel mit den Produkten
ihrer Felder (292-93): ihre Zahl ist im Wachsen (294).

Noch mehr war dies Alles der Fall bei den Cherokees, deren Volkszahl in
den Jahren 1819 bis 1825 von 10,000 auf 13,500 nebst 200 Weissen und
1300 Negersklaven anwuchs. Schon vor 1820 waren sie sehr tuechtige
Ackerbauer, welche im Laufe von 8 Jahren (M'Kennay bei Waitz 3, 294) die
Wildniss in einen Garten umschufen. Schon um 1773 hatten sie 43 Staedte
und ihre Bildung war schon damals nicht unbedeutend (Bartram 353-60);
seit 1796 waren Baumwollenmanufakturen bei ihnen errichtet,
Luxusgegenstaende traf man hin und wieder und Einzelne hatten ein nicht
unbedeutendes Privatvermoegen. Die Polygamie wurde abgeschafft; ihre
Kinder zeigten sich "sehr lenksam, anhaenglich und bildungsfaehig" (Waitz
3, 295). 1820 fuehrten sie geschriebene Gesetze und eine
Repraesentativverfassung ein. Der oberste Haeuptling, dem nebst einem
hohen Rath die Exekutive zusteht, soll alle zwei Jahre das Land
bereisen, um dessen Zustand kennen zu lernen. Die richterliche Gewalt
wird vom obersten Gerichtshofe, dem wandernden Gericht und von
Friedensrichtern ausgeuebt. Geschworenengerichte und drei Instanzen sind
eingefuehrt, die Richter nur durch den Willen beider Haeuser absetzbar. Es
herrscht allgemeine Religionsfreiheit, doch kann Niemand ein Amt
bekleiden, der nicht an Gott und an Vergeltung in einem kuenftigen Leben
glaubt" (Waitz 3, 295-96). Es wurde dann ein Alphabet von 85 Zeichen
1821 von einem Cherokee erfunden und bald war die Kunst des Lesens und
Schreibens unter ihnen allgemein; seit 1828 erschien eine periodische
Zeitschrift in ihrer Sprache. Auch diese aufbluehende Kultur hat man
nicht geschont; man hat auch die Cherokees, trotz ihres heftigen
Widerstrebens, ueber den Missisippi vertrieben. Allein obwohl ihre Kultur
dadurch im hohen Grade gefaehrdet wurde, so unterlag sie nicht; sie erhob
sich bald wieder und seit 1841 allgemeiner wie frueher (296). Ebenso
verhaelt es sich mit den Choktaw, den Creek und einigen anderen Voelkern,
ueber die Waitz (296-99) ausfuehrlichere Nachrichten gibt.

Ebenso in Suedamerika: die Volkszahl der Abiponer nahm nach Dobrizhofer
bedeutend zu, als das Verstossen der Weiber, der Kindermord und die
Polygamie abgeschafft wurde (Waitz 1, 164); in Guatemala (nach einem
Bericht von 1771) vermehrten sich die Eingeborenen trotz des schweren
Drucks der Spanier so sehr, dass diese sie zu fuerchten anfingen (eb.
163). In Mexiko bilden nach Humboldt die Eingeborenen noch immer fast
die Haelfte der Einwohner (b, 3, 9) and in dieser Zahl haben sich die
Indianer ueberall erhalten, wo die Spanier organisirte Reiche vorfanden
(eb. 3, 8); die einheimische Bevoelkerung ist im Steigen (derselbe a 1,
83 und 107) und zwar in Folge eigenes Wohlstands, nicht fremden
Zuwachses (eb. 105) und diese "fuer die Menschheit sehr troestliche"
Zunahme der indianischen Bevoelkerung beweist Humboldt durch speciellere
Angaben a, 5, 6; 4/7 der gesammten Volkszahl sind Indianer (Waitz 4,
195).

Auch in Polynesien finden wir sehr wichtige Erscheinungen der Art. Von
Hawaii sagt Jarves 371-72: die Kultur zerstoert im Anfang; nachher wirkt
sie segensreich; so war auch auf den Sandwichinseln die Entvoelkerung
unter Tamehameha I. und Liholiho groesser als in spaeterer Zeit. "In dem
Verhaeltniss, in welchem Christenthum und Civilisation waechst, vermindert
sich die Sterblichkeit. Allerdings sind ihre Wirkungen jetzt noch zu
neu, um ihre Endresultate vorherzusagen, aber man kann sicher hoffen,
dass, wenn die boesen Einfluesse aufhoeren und anderen Platz machen, gute
Ergebnisse folgen werden. Der Despotismus der Fuersten ist voellig
abgeschafft und Gesetze wirken fuer das Anwachsen der Bevoelkerung.
Familien mit 3 Kindern sind von den Abgaben befreit; die, welche mehr
haben, bekommen Land und andere Geschenke, um sie zu heben. Die Abgaben,
obwohl immer noch hoch, sind gleich vertheilt und fuer das Volk
erleichtert. Ein Nationalgeist ist erwacht, Schulen und Kirchen
gegruendet, regelmaessige Handelsverbindungen und Gewerbe haben sich
gebildet: kurz das gerade Gegentheil der moralischen Versunkenheit, in
welcher noch vor Kurzem das Volk sich befand, faengt an sich zu
entwickeln; medizinische Kenntnisse und aerztliche Huelfe verbreitet sich;
Kleidung, Wohnung bessern sich allmaehlich. Freilich ist dies nur die
Morgenroethe eines besseren Tages: aber schon zeigt sich deutlich genug,
dass Christenthum und Bildung durch die Einwirkung der amerikanischen
Mission und die Intelligenz der Fremden diese segensreichen Folgen
haben. Noch schlagender zeigt sich das daraus, dass Kinder und
Erwachsene, welche die Schulen besuchen und unter der unmittelbaren
Leitung der Missionaere stehen, sich einer ausgezeichneten Gesundheit
erfreuen und rasche Fortschritte machen. Dasselbe gilt von den
Eingeborenen, welche unter dem Einfluss europaeischer Familien stehen."
Nach Virgin (1, 300) freilich scheint die Entwickelung nicht allzurasch
weiter gegangen zu sein; doch auch er gibt an, dass vor 1820 die Abnahme
der Bevoelkerung staerker gewesen sei, als nachher, und dass die Missionen
an verschiedenen Punkten die Abnahme ins Stocken gebracht haben durch
moeglichstes Hinwegraeumen der boesen Ursachen, welche sie veranlassen.
Auch Waitz 1, 177 erwaehnt einige Inseln und Distrikte dieser Gruppe, wo
die Bevoelkerung nicht nur nicht abnimmt, sondern in nicht ganz
unbedeutendem Anwachsen begriffen ist.

Ganz ebenso ist es in Tahiti. Auch hier hat die Volkszahl gleich nach
dem ersten Zusammenstoss mit den Europaeern sehr abgenommen, von 16,000
(Wilson) bis auf 8000 (Ellis) oder 9000 (Wilkes), denn Turnballs 5000
ist eine uebertrieben niedrige Angabe. Nachher aber ist die Zahl gleich
geblieben oder eher gewachsen; Virgin wenigstens gibt sie fuer 1852 auf
10,000 an (2, 41). Auf Raiatea dagegen nimmt die Bevoelkerung stark zu
(Waitz 2, 167 nach Journ. R. geogr. soc. III, 179). Auch Ellis (um 1830)
sagt 1, 169, dass vor 1819 das Abnehmen der tahitischen Eingeborenen
noch stark gewesen sei: 1819-20 seien Todesfaelle und Geburten einander
gleich gewesen und von da ab habe die Volkszahl stark zugenommen. Mag
Ellis auch, der so eifrig fuer das Wohl der Insel thaetig war, seine
Hoffnungen auf jene Angabe vielleicht etwas mit haben einwirken lassen:
bloss auf Uebertreibung beruht eine so sichere Behauptung eines so
zuverlaessigen Beobachters nicht. Allerdings klagt der franzoesische
Commandant der Insel, de la Ronciere, in seinem Bericht vom Dezember
1866 (Globus 12, 60-61) ueber die Traegheit, Indolenz und
Flatterhaftigkeit der Bewohner; allein wenn man die Vorgaenge waehrend und
nach der franzoesischen Okkupation der Insel und die ganze Haltung der
Franzosen wenigstens in der ersten Zeit ihres Aufenthalts bedenkt, so
ist es nur allzu begreiflich, dass die Entwickelung der Insel durch sie
nicht eben gefoerdert ist. Doch sind wir, wenn man sich wirklich
ernsthaft und ausdauernd der Eingeborenen annimmt, auch fuer sie zu guten
Hoffnungen berechtigt.

Was wir von Neuseeland zu berichten haben (nach Hochstetter 482-497) ist
noch merkwuerdiger. Gegen den Einfluss der Fremden bildete sich eine
Nationalpartei unter den Eingeborenen, welche, da sie Gott ebenso nah
staenden als die Weissen, mit diesen gleiche soziale und politische
Rechte verlangten. 1857 erwaehlten die Maoris, von diesen Gesichtspunkten
ausgehend, einen Koenig, den als Krieger und Redner beruehmten Potatau,
der sich den zweiten Friedenskoenig nach Melchisedek nannte, sich
thatkraeftige Haeuptlinge, so vor allen den Maori William Thompson aus dem
Stamm der Ngatihua, als Minister auswaehlte, und seinen Herrschersitz zu
Ngaruawahia, an der Hauptwasserstrasse ins Innere, an den Thoren von
Aukland in vortrefflich ausgesuchter Lage nahm. Die Grundprinzipien des
Koenigthums sollten Glaube, Liebe und Gesetzlichkeit sein. Man beschwerte
sich bitter ueber die englische Regierung, welche sich gar nicht um die
Maoris kuemmere, die Haeuptlinge nicht standesgemaess behandele, zwar
Protokolle ueber ihr Aussterben fuehre, aber nichts dagegen thue; man habe
die eingefuehrten Waaren mit ungerechten Abgaben gedrueckt, indem z.B.
wollene Decken nach dem Gewicht wie Seide und Spitzen versteuert wuerden;
Munition und Waffen verkaufe man ihnen gar nicht, um so lieber aber
Spirituosen. Und zu dem Allen benaehmen sich die Europaeer so hochmuethig
und grob! Diese Nationalpartei, welche sehr beredte Agenten im Lande
umherschickte, fand ueberall rasch Anhaenger; auch die Weiber und Maedchen
theilten ihre Gesinnungen. Freiwillige Abgaben fuer den Koenig floessen
regelmaessig und reichlich und dieser schlichtete zu Ngaruawahia alle
Streitigkeiten der Eingeborenen, trieb auch von den unter ihnen lebenden
Europaeern Abgaben ein und legte einen Zoll auf die an seiner Stadt
vorbeipassirenden europaeischen Schiffe; sein Einfluss war bald so gross,
dass sich auch die Missionaere, wenn sie etwas gegen einen Maori
vorzubringen hatten, an ihn wandten. Aehnliche Ziele hatte die
Landligue, eine Vereinigung der Maorifuersten, um den Landverkauf zu
verhueten, welchen die einheimische Regierung aeusserst ungern sah. Es war
klar, dass die Kolonialverwaltung durch diese selbstaendige Entwickelung,
namentlich aber durch die Beschraenkung der Landkaeufe, welche, um gueltig
zu sein, erst die Bestaetigung des Maorikoenigs nach der Auffassung der
Eingeborenen bedurften, in arge Verlegenheit kommen musste. Daher
erkannte denn England diese Beschraenkung des Landverkaufs durch die
Maorigesetze nicht an und so musste es zum gewaltsamen Zusammenstoss
kommen. Dies geschah unter Potatau II., dem Sohne Potataus I.; den 17.
Maerz 1860 begann der Krieg, in welchem die Maoris sich nicht nur
ausserordentlich tapfer, sondern auch so umsichtig bewiesen, dass sie
den Englaendern empfindliche Niederlagen beibrachten. Der Nationalpartei
schlossen sich jetzt alle Maoris, auch die frueher laessigen, an; es ist
besser, hiess es, fuers Vaterland zu sterben, als unterjocht von Fremden
zu leben. Auch im englischen Parlament erhoben sich Stimmen fuer sie, so
vor allen die Martins, des Bischofs von Aukland. William Thompson war
alleiniger Anfuehrer dieses Krieges und seiner Stelle sehr gewachsen;
denn der Kampf, der von den Maoris hauptsaechlich als Guerillakrieg
gefuehrt wurde, konnte nur durch die englischen Kanonen und die englische
Uebermacht (1861 hatten die Englaender 12,000 Mann zusammen) mehr und
mehr zu Gunsten der Englaender gewendet werden. Indess kam es durch
Einfluss der Missionaere und durch den an Brownes Stelle gesandten Lord
Grey zur friedlichen Vermittlung. Wir sehen also auch hier Anfaenge,
bedeutend genug, um in kurzer Zeit die Gruende, auf welchen wir das
Aussterben der neuseelaendischen Eingeborenen beruhend fanden, zu
beseitigen. Es ist sehr traurig, dass diese nationale Erhebung von
englischer Seite gleich im Anfang geknickt oder wenigstens gehemmt ist:
doch ist die Hoffnung nicht aufzugeben, dass sie abermals auch diesen
Stoss ueberwinden wird. Die Hauptsache wird sein, dass sie selber Muth
und Zuversicht gewinnen, dann werden sie die Kultur sich nicht bloss
aeusserlich und auf eine Weise, die ihnen nur schadet, aneignen, sondern
sie werden sich, da sie stets sich sehr faehig gezeigt haben, an ihr
emporheben und ein neues Leben zu fuehren im Stande sein. Zu dieser
Hoffnung berechtigt auch die innige Religiositaet, welche die meisten der
neu und wahrhaft Bekehrten zeigen. Ob sie aber auch in diesem Falle
spaeter nicht einmal durch Vermischung mit den Weissen aufhoeren als
Nationalitaet zu existiren? Ein solches Aufgehen wuerde indess nur
erfreulich sein, denn es bewiese zugleich, dass auch die Englaender der
Kolonie von ihrem starren Racenhochmuth nachgelassen haetten.

In Tonga nun, wo von jeher die Sitten strenger waren und namentlich nie
diese Luederlichkeit herrschte, welche in Polynesien an anderen Punkten
so gefaehrlich wirkte; wo man mit dem Menschenleben, wenigstens jetzt und
schon seit laengerer Zeit, nicht so verschwenderisch umging, ist ein
Sinken der Volkszahl nicht eingetreten. Das Christenthum hat die
Monogamie durchgesetzt und so ist denn trotz der vielen Kriege, welche
die Einfuehrung des Christenthums und die Befestigung der
Koenigsherrschaft mit sich brachte, die Bevoelkerung, die sich im
Allgemeinen einer sehr guten Gesundheit erfreut, im Wachsen (Erskine
160-61).

Die Bevoelkerung von Samoa schaetzt Erskine (104) auf etwa 37,000 Seelen,
doch glaubt er, dass sie abnehme (a.a.O. u. 60). Auch Turner erwaehnt die
grosse Sterblichkeit der Kinder daselbst, welche durch thoerichte
Behandlung derselben vor und bei der ersten Nahrung veranlasst wird.
Seitdem aber jetzt die Missionaere guenstig wirken, die Polygamie
abgeschafft und ausschweifende Lebensweise durch strenge Ueberwachung
sehr erschwert ist, nimmt die Bevoelkerung wieder zu (Turner 176). Doch
waren die Samoaner ueberhaupt weit weniger ausschweifend gewesen als die
uebrigen Polynesier und hatten den Werth des Menschenlebens hoeher
geachtet. Also auch hier dieselbe Erscheinung: der erste Zusammenstoss
mit den Weissen bringt durch Seuchen u. dergl. (doch fand Wilkes in
Samoa keine Syphilis 2, 73, 126, 138) eine arge Erschuetterung in der
Wohlfahrt des Volkes, ein Zurueckgehen der Kopfzahl hervor; allein sobald
diese ersten Folgen ueberwunden sind, hebt sich die Ziffer wieder. Gerade
die Samoaner sind besonders innige Christen (Turner 106-109, 166 ff.)

Zu den bestbevoelkerten Gegenden Polynesiens gehoeren die kleinen Inseln
noerdlich und westlich von Samoa und Tonga, die Uniongruppe, Tikopia,
Rotuma u.s.w., wo die Sitten unverderbt und die Bevoelkerung in bester
Wohlfahrt ist. Trotz des zahlreichen Kindermords auf Tikopia ist dort
die Kinderzahl in einer Familie meist drei bis acht (Gaimard bei Dumont
D'Urville b, 5, 309; vergl. ders. in Zoologie 23; u. 5, 306). Nur von
dem gleichfalls hierher gehoerigen Sikayana wird eine Abnahme der
Eingeborenen berichtet, welche durch eine sehr heftige Blatternepidemie
auf 171 Seelen zusammengeschmolzen sind (Nov. 2, 438-441).

Alle diese Beispiele beweisen schlagend, dass ein Hinschwinden dieser
Voelker aus mangelnder Lebenskraft, "weil sie von Natur dem Untergange
bestimmt seien", nicht stattfindet; wo es also eintritt, kann es nur
durch die besprochenen Gruende veranlasst sein. Sobald die Kultur nicht
feindselig, sondern friedfertig naht und diese Voelker zu sich
emporzieht, statt sie zu vernichten, so ist von den Naturvoelkern keins,
das nicht fuer sie gewonnen werden koennte, ja einzelne haben sich trotz
der feindseligsten Haltung der Weissen dennoch zur Kultur, wenigstens zu
guten Anfaengen, emporgeschwungen: eine That, deren Groesse man aus dem
Vorstehenden ermessen kann und die eine so ausserordentlich gute
Begabung und sichere Kraft beweist, dass sie ebenso sehr unser Staunen
als unsere Bewunderung erwecken muss. Allerdings wird aus einem
neuhollaendischen Stamm nicht sofort ein europaeisch civilisirter Staat,
aber es ist handgreiflich verkehrt, zu behaupten, wie noch Meinicke
thut, die Neuhollaender seien ueberhaupt der Kultur unfaehig. Denn wo sich
wirklich die Kultur ihrer angenommen (es ist selten genug geschehen), da
haben sie sich auch als friedfertige und bildsame Menschen gezeigt. Dass
sie sich und so noch manche andere Naturvoelker jetzt so viel als moeglich
von der Kultur zurueckziehen, das ist nach dem, was ihnen von ihren
Traegern zugefuegt ist, nur allzubegreiflich. Halten doch manche
Nordindianer auch das Christenthum nur fuer eine neue Art, sie zu
betruegen (Waitz 3, 289) "und, sagten sie, was sollen wir Christen
werden, da diese aergere Luegner, Diebe und Trinker sind, als die
Indianer" (eb. 287). "Die Christen wollen nicht arbeiten, sie sind
Spieler, Boesewichter und Gotteslaesterer," sagte ein Indianer von
Nikaragua; auf die Antwort, so handelten nur die schlechten, erwiderte
er: "wo sind denn die guten? ich wenigstens kenne nur schlechte" (Waitz
4, 280-81). Ein zweiter Grund, weshalb viele Naturvoelker so schwer die
Kultur, auch wenn sie ihnen friedlich naht, annehmen, liegt in ihren
Gewoehnungen. Es muss hier nochmals auf die Kraft der Vererbung erinnert
werden. Durch Jahrtausende langes Leben an ein unstaetes Umherschweifen
u. dergl. gewoehnt, wird es ihnen sehr schwer, so ploetzlich die
althergebrachte, tief in ihr leibliches und geistiges Wesen
eingewachsene Lebensart zu aendern.




Sec. 21. Die afrikanischen Neger.


Wir muessen, um einem moeglichen Einwand zu begegnen, noch einmal auf
einen Umstand zurueckkommen, den wir schon vorhin wenigstens beruehrten.
Wie ist es zu erklaeren, dass die Neger nicht aussterben? Sie sind doch
geplagt, gedrueckt, gemisshandelt wie kein zweites Volk, der Heimath
entrissen, oft ganz zum Lastthier herabgewuerdigt--und sie gedeihen doch.
Der Hang der Neger zu Ausschweifungen ist bekannt; wie gefaehrlich ihre
Kriege, die sie untereinander fuehren, fuer die Besiegten sind, wird nur
zu deutlich durch die massenhaft fortgeschleppten Sklaven bewiesen:
Menschenleben vergeuden auch sie ganz ruecksichtslos, wofuer schon der
eine Name Dahomey als Beweis genuegt. Und doch waren das dieselben
Gruende, welche wir als das Aussterben der Naturvoelker veranlassend
annahmen. Wie kommt es, dass sie dort wirken und hier nicht? Muss man
nicht doch also zu jenen Gruenden noch einen hinzufuegen und welcher
koennte das sein, als mangelnde Lebenskraft oder sonst irgend etwas
Geheimnissvolles? Aber trotzdem sind die Neger, nach einstimmigem
Urtheil aller Forscher, die leiblich am wenigsten vollkommen
organisirten Menschen, und es waere doch seltsam, wenn hoeher stehende
Voelker mindere Lebenskraft haetten als sie.

Allein diese Annahme ist auch durchaus unnoethig. Die groessere Ausdauer
des Negers beruht auf seinem anders gearteten Naturell, was wir zunaechst
nach der psychischen Seite hin verfolgen wollen. Vom Charakter des
Negers ist jeder melancholische Zug ausgeschlossen. Jeder momentane
Eindruck ist bei ihrer derb sinnlichen Natur so maechtig, dass der
folgende den vorhergehenden sofort ausloescht, und so vergessen sie
dadurch auch im tiefsten Elend ihre schlimme Lage rasch und gaenzlich,
wenn irgend eine ploetzliche Anregung zur Lust ueber sie kommt. So zwingen
sie die Sklavenhaendler, um sie ueber ihr oft toedtliches Heimweh
hinwegzubringen, bisweilen mit der Peitsche zum Tanz, der sie dann in
seiner sie nun ganz beherrschenden Ausgelassenheit alles Unglueck
vergessen laesst (Waitz 2, 203). Diese rasch wechselnde Gemuethslage hilft
ihnen ueber vieles Schwere hinweg und ist klar, wie sehr sie im Gegensatz
steht ebenso zu dem zaehen Festhalten eines Gedankens, wie wir es beim
Amerikaner und Polynesier so vorherrschend finden, als zu der
Melancholie dieser Voelker. Auch die sinnlichen Genuesse wirken auf den
Neger viel befriedigender, als auf die anderen Voelker; seine grosse
geschlechtliche Sinnlichkeit ist wiederum fuer die Fruchtbarkeit seiner
Race von grosser Bedeutung und so massenhafte und uebertriebene
Ausschweifungen wie bei den Polynesiern finden sich bei ihnen nicht.
Auch sein Hang zum Phantastischen muss erwaehnt werden, denn auch er
dient sehr dazu, ihm seine Lage oft in ganz anderem Lichte erscheinen zu
lassen, als sie ist. Hiermit vereinigt sich eine gewisse Stumpfheit und
Traegheit des geistigen Lebens sehr wohl, die vor Vielem und gerade dem
Schmerzlichsten den Neger beschuetzt: er wird sich fast nie moralisch
vernichtet und dadurch in seiner innersten Persoenlichkeit verwundet
fuehlen. Auch ist seine grosse Gutmuethigkeit und seine innige
Religiositaet hierbei nicht ausser Acht zu lassen.

Zweitens aber scheint auch die physische Natur weit minder empfaenglich
und empfindlich zu sein, als die der meisten anderen Voelker. Sei es,
dass er durch allmaehliche Gewoehnung, durch das Klima seines Landes oder
durch urspruengliche Anlage haerter ist: er vertraegt es, in ganz andere
Himmelsstriche verpflanzt zu werden; er haelt sogar die Luft der
Malariagegenden und noch dazu bei taeglicher oft sehr grosser Anstrengung
ohne Schaden aus, welchem allen die meisten anderen Voelker regelmaessig
erliegen. Er ist also schon durch seinen Koerper gesicherter.

Drittens ist nicht zu uebersehen, dass der Neger schon seit einer Reihe
von Jahrtausenden, seit der ersten Entwickelung der Kulturvoelker, mit
diesen in Beruehrung und oft in sehr enger steht und gestanden hat: so
ist er an die Einfluesse der Kultur ganz anders gewoehnt als Amerikaner
und Ozeanier, als Hottentotten und Kamtschadalen, und hat daher ihre
unguenstigen Folgen weit weniger zu fuerchten.

Hiermit ist der Einwand, welchen man von den Negern aus erheben koennte,
als beseitigt zu betrachten; wir muessen indess noch einen Blick auf das
Aussterben der freigewordenen Neger in den vereinigten Staaten werfen,
wie wir es im Ausland (1867, 1404) geschildert sehen nach Henry Lathams
black and white. Nach ihm sind seit der Emancipation von 4,000,000
Negern 1,000,000 zu Grunde gegangen, durch Unwissenheit, Huelflosigkeit,
Laster und Mangel. Unfruchtbarkeit trat ein, Kindermord nahm ueberhand,
"die Sterblichkeit war so gross, dass es Leute gab, welche eine Loesung
der schwierigen Negerfrage in dem Verschwinden der farbigen Race in den
naechsten 50 Jahren voraussagten". "In den Gebieten, wo sie waehrend des
Krieges in groesster Sicherheit lebten, wo man annehmen kann, dass sie
massenhaft vorhanden sind, und wo die groessten Beitraege zusammengebracht
wurden, um sie vor Hungersnoth zu schuetzen, sind sie in Abnahme
begriffen. In dem kaeltern Klima der Nordstaaten starben die farbigen
Familien nach einer oder zwei Generationen aus." Die Schilderung ist,
wie wir sie hier vor uns haben, entschieden parteiisch gefaerbt. Wir
betrachten daher nur die Thatsache, dass die emancipirten Neger
moralisch und physisch sich verschlechtern, ja geradezu verkommen. Diese
Erscheinung ist allemal da beobachtet, wo Neger emancipirt wurden, und
sie machte auch der Republik Liberia anfangs viel zu schaffen; allein
sie tritt bei jeder Sklavenemancipation naturgemaess jedesmal ein, moegen
die Sklaven nun Neger oder nicht sein. Sie haben nicht gelernt,
selbstaendig zu leben, fuer sich zu sorgen, fuer sich zu arbeiten; jede
Arbeit ist ihnen, in Erinnerung an ihr frueheres Loos, eine Last zugleich
und eine Entwuerdigung. Durch den langen Zustand der Unfreiheit haben sie
die Faehigkeit, der Natur gegenueber sich zu behaupten, welche sie in
ihrer Heimath besassen, verlernt; sie sind auch geistig herabgedrueckt
und dass sie lasterhaft werden, ist die Folge des Beispiels, was ihnen
allzuoft ihre eigenen Herren gaben, sowie des Mangels an Selbstachtung,
zu dem sie als Sklaven verurtheilt waren. In Nordamerika ist ihnen
ferner jede Emancipation noch durch die entschiedene und ruecksichtslose
Feindseligkeit unendlich erschwert, mit der die "gute Gesellschaft", die
Weissen, sich vor jedem Farbigen strenge verschliesst, fuer den sie
nichts als die bitterste Verachtung hat. Klimatisches mag sich
gleichfalls geltend machen; jedenfalls ist hier nichts, was unserer
Betrachtung irgend ein neues Moment zufuegen oder eine naehere Erklaerung
noch erheischen koennte.




Sec. 22. Folgerungen aus der Art, wie die Naturvoelker von den Kulturvoelkern
behandelt sind.


Ehe wir unsere Betrachtungen schliessen, ist es noethig, auch einen Blick
auf die Kulturvoelker zu thun, welche mit den Naturvoelkern in Beruehrung
kamen; denn ein solcher wird ethnologisch nicht ohne Ausbeute sein.
Zunaechst ist zu constatiren, dass alle Kulturvoelker sich ganz auf
dieselbe Weise grausam, ruecksichtslos und unmenschlich gegen die
Naturvoelker betragen haben, die mit ihnen in Beruehrung kamen: die
Spanier, die Portugiesen, die Hollaender, die Englaender und die
Franzosen. Die Englaender und Hollaender zeichnen sich durch
unaussprechlichen Hochmuth und Hass gegen jede farbige Bevoelkerung aus,
durch welchen sie den Naturvoelkern fast nicht mindern Schaden gethan
haben, als durch offene Feindseligkeiten. Wir Deutsche haben Eroberungen
nicht gemacht, aber trotzdem sind einzelne unserer Landsleute mit den
Naturvoelkern in Beruehrung gekommen. Diejenigen, welche zur Zeit der
ersten Entdeckung Amerikas mit den Spaniern dorthin kamen--so die
Abgesandten der Welser, welchen dort Laenderstrecken von Karl V.
verpfaendet waren--wuetheten nicht geringer als die Spanier selbst. Das
westliche Venezuela wurde um 1527 von Georg v. Speier und Ambrosius
Dalfinger verwuestet (Waitz 3, 398). Allein das sind vereinzelte Faelle;
im Ganzen haben die Deutschen den Naturvoelkern Segen gebracht, denn
gerade die einflussreichsten Missionen sind zum Theil in ihren Haenden
gewesen, wobei vor allen Dingen an die Wirksamkeit der Herrnhuter in
Afrika und Nordamerika (z.B. Heckewelder) erinnert werden muss. Auch
unter den Jesuiten waren viele Deutsche, z. B. Dobrizhofer unter den
Abiponen, Strohbach auf den Marianen. Die Missionsthaetigkeit ist auch
jetzt noch nicht vermindert und traegt ihre segensreichen Fruechte fuer die
Eingeborenen und fuer die Wissenschaft, denn eine Menge der bedeutendsten
Missionsschriften sind, freilich meist in englischer Sprache, von
Deutschen verfasst--Namen wie Koelle, Doehne, Teichelmann, Schuermann,
Dieffenbach (freilich kein Missionaer) u.a. sind bekannt genug.

Die fast immer ganz unmenschliche und mordgierige Art, mit welcher der
Europaeer die Naturvoelker bekriegte und meist deren Rohheit bei weitem
uebertraf, zwingt uns zu einem anthropologischen Schluss von nicht
geringer Bedeutung; denn wir sehen daraus klar, "dass die Kluft, die den
civilisirten Menschen vom sogen. Wilden trennt, bei weitem nicht so
gross ist, als man sich oft einbildet" (Waitz, 3, 259). Man hat ja
gerade die wilde Blutgier der Naturvoelker so wie ihr beharrliches
Fernbleiben von aller Kultur so besonders hervorgehoben, ja mit darauf
hin den Schluss gezogen, dass sie von geringerer Organisation und
Befaehigung, dass sie von Haus aus eine niedrigere Race waeren (Carus 28,
22 ff.). Wie will man das aber aufrecht halten, wenn die civilisirten
Voelker von einer viel wilderen und grauenvolleren Blutgier besessen
sind, die um so schrecklicher wird, als sie unvermittelt neben so hoch
entwickelten intellektuellen Faehigkeiten steht? Wenn die groessten und
bedeutendsten Maenner dieser civilisirten Voelker dieselbe Blutgier
theilen, wie Columbus, welcher die auf Menschen dressirten Hunde
einfuehrte, der Koenigin Isabella rieth, die Kosten seiner Fahrten durch
Menschenraub zu decken, Diebstaehle mit grausamen Verstuemmelungen strafte
und Hinterlist und gemeinen Verrath gegen die Indianer fuer erlaubt
hielt? (Waitz 4, 331). Wenn die blutgierig-rohesten wohl noch wegen
ihrer grauenvollen Bestialitaet als besonders hervorragend gepriesen
werden, wie die "Pioniere des Westens", die "Helden von Old-Kentucky"
(Waitz 3, 260), die nebenbei auch der intellektuellen Vorzuege der Kultur
sich begebend genau ebenso aberglaeubisch als die Indianer wurden, deren
Lebensweise, Vergnuegungen und Skalpirungen bald sich nur noch durch
groessere Rohheit von den Indianern unterschied? Ja d'Ewes (China,
Australia and the Pacif. Islands in 1855-56. London 1857, p. 150)
erzaehlt, dass einzelne Weisse auf den Fidschi-und Tonga-Inseln, neben
den graesslichsten Verbrechen aller Art, sogar den Kannibalismus der
Eingeborenen mitgemacht haben! Beispiele von Spaniern und Portugiesen,
welche unter die Bildungsstufe der Eingeborenen Suedamerikas
herabgesunken sind, findet man reichlich bei Waitz 1, 370 und bei v.
Tschudi an verschiedenen Stellen. Ehrlichkeit, Treue, Vertrauen,
Anstand, Gastfreundschaft, Menschlichkeit, reine Religiositaet, die
besseren moralischen Eigenschaften findet man meist nicht auf Seiten der
Europaeer, sondern der so tief verachteten Naturvoelker, und Seume's

  "Wir Wilden sind doch bessre Menschen"

hat seinen tiefen Grund. Man sage nicht, dass die von den Europaeern
veruebten Schlechtigkeiten nur von einzelnen ausgegangen und also auch
nur den einzelnen Individuen zur Last zu legen seien; sie sind so
ziemlich gleichmaessig von der gesammten Kolonistenbevoelkerung ausgefuehrt
und jedenfalls von ihr hoechlich gebilligt worden; ja es fehlt noch viel,
dass sie auch jetzt ueberall getadelt wuerden.

Es zeigt sich aus diesen Betrachtungen ferner, wie ungeheuer langsam die
Menschheit moralisch fortschreitet und wie wenig durch intellektuelle
Entwickelung ein Fortschritt nach jener Seite bedingt wird. Das eben von
Columbus Erwaehnte mag als Beleg dienen, er, der geistig so hoch ueber
seiner Zeit stand, hatte sittlich ganz dieselbe Stufe inne. Seine ganze
Zeit aber stand trotz des Christenthums, trotz der aeusseren Kultur noch
auf einem Standpunkt der geistigen Rohheit, die sich noch kaum von dem
Wesen des Naturmenschen unterscheidet, ja durch reicher entwickelte und
ganz zuegellose Leidenschaften noch tiefer als jenes erscheint. Wie
gewaltig nun die Entwickelung der Intelligenz in den letzten drei
Jahrhunderten zugenommen hat, weiss Jeder; blickt man aber auf die
Kulturvoelker des 19. Jahrhunderts--man denke an die Englaender in
Tasmanien, Neuholland, Nordamerika, die Portugiesen und Spanier in
Suedamerika--so wird man von einem moralischen Fortschritt noch gar wenig
bemerken, denn sie benehmen sich, allerdings nicht mehr in solcher
Allgemeinheit, gerade ebenso brutal und unmenschlich, als die Spanier im
16. Jahrhundert.

Auch kann man nicht behaupten, dass die heutige Propaganda und ihr
Verfahren in der Suedsee sich sehr zu ihrem Vortheil von den Missionaeren
des 16. und 17. Jahrhunderts unterschied; was sie etwa an
Gewaltthaetigkeit verloren hat, das hat sie an Unwahrheit gewonnen. Und
wenn man im 19. Jahrhundert mit demselben Leichtsinn wie im 16. nur um
zu taufen, tauft: so ist das in unseren Zeiten bei weitem schlimmer, als
in jenen frueheren. Bis jetzt also hat die Hoehe der intellektuellen
Entwickelung noch keineswegs durchgreifend und in dem Maasse, als man
denken sollte, auf die moralische Seite des menschlichen Charakters
gewirkt--aus Gruenden, deren tiefere psychologische Motivirung hier uns
zu weit fuehren wuerde.

Und doch laesst es sich nicht laeugnen, dass alles wirkliche Fortschreiten
der gesammten Menschheit, wodurch sie immer reiner und wirklich
menschlicher sich entwickelt, nicht sowohl auf intellektuellen als auf
moralischen Geistesthaten beruht. Die europaeische Gesellschaft ist zu
ihrer heutigen Hoehestufe emporgehoben erstens durch die Gleichstellung
der Frauen bei den Germanen, zweitens die rein moralische Macht des
Christenthums, drittens die Reinigung des Christenthums und die
Anerkennung der individuellen Geistesfreiheit durch die Reformation und
die Reinigung der sozialen Verhaeltnisse durch die Revolution des vorigen
Jahrhunderts. Letztere trug auch gleich den Naturvoelkern die besten
Fruechte: denn dass Polynesien wesentlich anders behandelt ist, als
Amerika, dazu trugen nicht wenig bei die Lehren von Maennern wie
Rousseau, der Gedanke, dass alle Menschen, mochten sie nun durch Staende
oder Hautfarbe und Sprache verschieden scheinen, in ihrem Wesen gleiche
Menschen seien; ja die Ansicht, welche man von diesen Voelkern lange Zeit
in Europa hegte, beruhte gleichfalls auf diesen Gedanken, da sie
hauptsaechlich durch die Werke der Forster hervorgerufen wurden, diese
aber eifrige Anhaenger Rousseau's waren.--Neben jenen Hauptfoerderungen
der Menschheit darf man einige andere zwar nicht in erster Linie
anfuehren, aber auch ebensowenig ganz uebersehen, und dahin gehoert die
Erweckung des reinen Schoenheitssinnes, der wahren Kunst durch die
Griechen. Waehrend nun im Leben der Voelker und der Einzelnen es sich nur
allzuhaeufig zeigt, dass die groesste Ausbildung der Intelligenz auf die
sittliche Vollendung eines Menschen gar keinen Einfluss hat, so foerdert
umgekehrt jeder sittliche Fortschritt der menschlichen Gesellschaft ihre
intellektuellen Leistungen und ist ohne eine solche Foerderung gar nicht
zu denken, da ja jeder wirklich bedeutende sittliche Fortschritt die
Menschheit in ihrem ganzen Wesen hebt und weiter entwickelt, und nur wo
dieser Doppelfortschritt geschieht, kann von einem wirklichen
Hoehersteigen die Rede sein. Man hebt nie ein Volk nur durch Industrie
und Lehranstalten, wenn man es dadurch auch reich und wohl unterrichtet
machen kann; man hebt es nur, wenn man seine idealen Anschauungen
laeutert und foerdert. Dass aber eine Foerderung nicht etwa dadurch
eintritt, dass man der Gegenwart das Ideal vergangener Jahrhunderte als
das einzig heilvolle aufzwingen will, das liegt auf der Hand.




Sec. 23. Zukunft der Naturvoelker. Mittel, sie zu heben.


Was wird nun die Zukunft der Naturvoelker sein? Geradezu vernichtet sind
nur wenige bis jetzt und noch koennen wir, und da wir Unfaehigkeit zur
Entwickelung, leibliche oder geistige, nirgends bei ihnen finden, noch
muessen wir hoffen. Freilich ist viel verdorben; und die Leichtigkeit der
Annaeherung, das Vertrauen, mit dem sie der Kultur entgegenkamen, ist bei
den meisten unwiederbringlich verloren.

Wie bisher die Missionaere die groessten Verdienste um diese Voelker haben,
so fallen auch, wenn wir nach der Zukunft fragen, unsere Augen zunaechst
auf die Missionaere. Wenn wir bedenken, dass die Polynesier man kann wohl
sagen ihre Rettung bisher ihnen verdanken, dass, die Hottentotten und so
mancher amerikanische Stamm nur und allein durch sie Gelegenheit hatten,
auch die guten Seiten der Kultur an sich zu erfahren; so koennen wir
nicht dringend genug wuenschen, dass ihr Werk sich segensreich immer
weiter ausbreiten moege. Dazu gehoert zunaechst Unterstuetzung durch die
weltlichen Maechte, freilich anders als sie von Frankreich den
katholischen Missionaeren zu Theil wurde: denn die Staaten muessten, im
Interesse der jedesmaligen Eingeborenen, jede segensreiche Wirksamkeit
gleichviel von welcher Confession gleichmaessig schuetzen. Und so hat
sich, um gar nicht vom Christenthum zu reden, auch vom anthropologischen
Standpunkt aus die katholische Kirche und Frankreich in ihrem Dienst in
der Suedsee schwer vergangen. Die Maechte, welche unter den Naturvoelkern
Kolonien haben, England besonders, haben den groessten Vortheil von einer
tuechtigen Wirksamkeit der Missionaere; denn einmal werden durch sie
unnuetze Kriege, die doch auch den Weissen oft schaedlich genug sind,
vermieden, und ferner die Eingeborenen selbst der Kolonie gewonnen. Man
sollte also von Staatswegen die Missionen mit allen Mitteln stuetzen
(nicht gewaltsam einfuehren, nur stuetzen), aber auch zugleich ein
wachsames Auge auf sie haben und sie noethigen Falles zur Rechenschaft
ziehen. Denn Menschlichkeiten koennen vorkommen und sind auch unter den
protestantischen Missionaeren der Suedsee vorgekommen, welche z.B. in
Neuseeland durch ihre Landankaeufe und Spekulationen sich und ihrer Sache
und den Eingeborenen gleichviel geschadet haben. Aber auch die
Missionaere muessen auf sich selbst das strengste Augenmerk haben. Sie
muessen immer mehr und mehr zu der richtigen und wichtigen Einsicht
gelangen, dass es nichts hilft, Voelker zu taufen oder sie auf abstrakte
und fuer jene Menschen ebenso unverstaendliche wie unbrauchbare
Lehrbegriffe hinzuweisen, wenn man nicht alle ihre Geisteskraefte weckt,
die Wahrheiten dieser Lehre sich anzueignen. Nach dieser Seite--wer
wollte es laeugnen? uebersteigt es doch auch hier ganz fehlerlos zu
handeln bei weitem menschliche Kraft--nach dieser Seite haben beide
Kirchen viel verfehlt; die katholische durch oft ganz beispiellos
leichtsinniges Taufen, wobei sie das Heidenthum ruhig bestehen liess
(Beispiele fuer diese harte Behauptung liefern die Annales de la
propagation de la foi, Michelis und Lutteroth genug; wir fuehren
einzelnes der Kuerze halber nicht an), die protestantische durch
allzustrengen Ernst und eigensinniges Steifen auf die abstrakten
Lehrsaetze. Doch wird jeder Unbefangene die bei weitem bessere
Wirksamkeit auf protestantischer Seite sehen muessen, wenn wir auch fern
sind, zu verkennen, was die katholische Kirche grosses geleistet hat.
Maenner wie Las Casas und so viele seiner Glaubensgenossen, welche fast
der einzige Schutz der unterdrueckten Amerikaner waren, so viele
Jesuiten, die mit dem groessten Glaubenseifer sich jeglicher Gefahr fuer
das Christenthum unterzogen, wie z.B. der gewaltige San Vitores auf den
blutgetraenkten Marianen: alle diese Maenner muessen in erster Reihe
genannt werden, wenn es sich um Darstellung der Verdienste der Mission
handelt.

Man mache die Naturvoelker erst zu Menschen, dann zu Christen; man bilde
sie langsam zu der und durch die Kultur vor, deren hoechste Bluethe das
Christenthum ja eben sein will. Nicht Wissen und Erkennen, und waere es
der hoechsten Weisheit, Thaetigkeit vielmehr und selbstaendiges Bauen des
eigenen Lebens gibt dem Menschen erst sittlichen Halt und sittliche
Kraft: diese wecke, gestalte, befoerdere man und man wird das
Christenthum foerdern. Ist es doch wahr, dass jene Verbrecher, welche aus
den Deportationsorten entsprangen und sich an verschiedenen Stellen
Ozeaniens niederliessen, durch die Bruchstuecke von Kultur, welche sie
den Eingeborenen mittheilten, dem Christenthum und den Missionaeren den
Weg gebahnt und sehr erleichtert haben, ohne dass sie es selbst wollten
und obwohl sie oft mit der Kultur zugleich manches Verbrechen lehrten.
Will man aber ohne genuegende Vorbereitung rasch Erfolge sehen, so wird
man nichts wirken; die Missionsberichte (beider Confessionen) beweisen
zur Genuege, wie thoericht ein solches Streben ist und wie es oft zu den
allergroebsten Selbsttaeuschungen fuehrt. Nur die liebevollste Arbeit und
aufopferndste Hingebung vieler Generationen kann hier wirklichen und
bleibenden Erfolg erringen. Man muthe doch nicht den Naturvoelkern zu,
die Hoehe der Bildung im Fluge zu ersteigen, welche die begabtesten
Kulturvoelker im Laufe von Jahrtausenden und mit so haeufigem Rueckfall, so
heissem Kampfe, so stetiger Arbeit sich errungen haben.

Aber auch die weltliche Macht muss Huelfe bringen; zunaechst negativ,
indem sie nicht duldet, dass andere, was die Missionaere bauen,
untergraben und einreissen; und ferner positiv, indem sie das von jenen
begonnene weiterfuehrt. Sie muss die Eingeborenen in ihren natuerlichen
Rechten schuetzen, das Eigenthumsrecht an den von ihnen bewohnten Boden
anerkennen und aufs Strengste darauf halten, dass ihnen von Seiten der
Kolonisten kein Unrecht geschieht. Freilich werden solche Maenner wie
Lord Grey, die mit der groessten Umsicht und Energie die reinste
Menschenliebe besitzen, nicht haeufig gefunden werden; aber man kann auch
in der Wahl einer obersten Kolonialverwaltung nicht zu viel thun.
Specielle Vorschlaege haben Grey fuer Australien, Dieffenbach fuer
Neuseeland, Andere fuer andere Voelker gemacht; und es liesse sich, bei
allen Schwierigkeiten, wenn die Maechte, welche Kolonien besitzen, also
vor allen Dingen England ernsthaft wollten, gewiss viel Elend verhueten,
viel Gutes stiften und viel Verdorbenes herstellen. Bis jetzt freilich
haben die englischen und ueberhaupt die europaeischen Matrosen meist nur
das eine Recht der Gewalt; die Frevel, die sie an jenen Voelkern begehen,
bleiben ungestraft, waehrend es mit den aergsten Strafen heimgesucht wird,
wenn die Eingeborenen irgend an Weissen freveln. Zum Theil ist diese
Ungerechtigkeit noethig, um die fernen Weissen zu schuetzen; theils aber
liegt sie auch in der selbst noch sehr mangelhaften moralischen
Entwickelung der Weissen, welche an solchen Gewalttaten im grossen
Ganzen kaum einen Frevel. sehen. Was soll man dazu sagen, wenn
Schandgeschichten wie die folgende unter Englands offiziellem Schutz
geschehen und in den Zeitungen, auch in deutschen, fast als Scherz
erzaehlt werden? Nach der Ermordung eines Kaufmanns[O] erschien das
englische Kriegsschiff Perseus, Capitaen Stevens, 1867 im Fruehjahr vor
der Palaus (Pelewsinseln, westliches Mikronesien), um Genugthuung zu
fordern: es zeigte sich, das der Kaufmann auf Befehl des Koenigs, auf
dessen Insel Koror er lebte und Grundeigentum besass, ermordet sei, weil
er an die Feinde desselben Feuerwaffen verkauft hatte. "Obwohl nun
Stevens einsah, heisst es, dass jener besser gethan haette, keine
Mordwaffen zu verkaufen", so glaubte er doch streng verfahren zu muessen
und verlangte Hinrichtung des Koenigs. Die Insulaner, von dem
Kriegsschiff bedraengt, beschlossen, sich nicht zu widersetzen--aber sie
baten, dass die Hinrichtung von Matrosen des Schiffes ausgefuehrt wuerde,
was Stevens nicht zuliess. "Insulaner sollten das Werk thun". So geschah
es denn. Und es geschah noch mehr. Die so behandelten Insulaner riefen
den Schiffscapitaen zu ihrem Koenig aus. "Er nahm auch sofort die Krone an
und bewies, dass er die koenigliche Praerogative in erspriesslicher Weise
zu nuetzen verstehe. Er befahl seinen Unterthanen, Huehner, Eier, Fruechte
und sonst noch mancherlei an Bord des Dampfers zu bringen und diesem
Befehl wurde willig Folge gegeben. Eine Verguetung fuer die gelieferten
Sachen blieb ausser Frage, doch war seine improvisirte Majestaet so
guetig, einige Geschenke, als da sind: Messer, Scheeren u. dergl.
verabfolgen zu lassen. Als dies geschehen war, dankte er ab und
ueberliess den Paleuinsulanern, sich nun einen anderen Koenig nach ihrem
Geschmack zu suchen" (Globus 12, 59, nach der Overland China Mail v. 30.
Mai 1867 und der "Presse" zu Manila). Heisst das nicht, jede
Selbstachtung eines Volkes mit Fuessen treten? nicht, der Gerechtigkeit
und Menschlichkeit ins Gesicht schlagen? Und das that ein Vertreter des
englischen Staates im Namen der Gerechtigkeit! Und eine solche
Geschichte erheitert als Anekdote ein europaeisches Publikum! Die
Insulaner mussten, trotz ihrer Bitten, ihren eigenen Koenig erschiessen,
weil er sich eines gegen ihn entschieden feindlich handelnden
Englaenders, allerdings auf frevelhaftem Wege, entledigt hatte! So lange
solche Geschichten noch moeglich sind, so lange ist allerdings fuer die
Naturvoelker noch nicht allzuviel zu hoffen. Und sie werden, wir
befuerchten es, noch lange moeglich sein; so lange wenigstens sicher als
die Kulturvoelker sich von ganz anderem Stoff duenken, als jene "Wilden",
denen man wohl die Gestalt, aber keineswegs die Rechte eines Menschen
zugesteht.

Gegen diese gaenzliche Ausschliessung von allem europaeischen Leben, wie
es die Eingeborenen in den Koloniallaendern fast immer zu dulden haben,
muesste der Staat, was in seinen Kraeften steht, thun, wenn er jene
wirklich heben wollte: denn das ist es, was sie jetzt am meisten von der
Kultur ab und im Elend zurueckhaelt. Aber das wird schwer, wo nicht
unmoeglich sein; und die Menschheit, so scheint es, wird erst noch
manchen Schritt vorwaerts thun muessen, ehe diese Gleichstellung (wenn sie
dann noch moeglich ist) auch nur annaehernd sich verwirklichen lassen
wird; so dass man in diesem Sinne wohl sagen kann, alles, was in Europa
zur Hebung der weissen Bevoelkerung und ihres sittlichen Lebens
geschieht, das kommt auch mittelbar den Naturvoelkern zu gut.




Sec. 24. Werth der Naturvoelker fuer die Menschheit und ihre Entwickelung.
Schluss.


Aber, so muessen wir noch fragen, kann man ueberhaupt einem Staat, den
civilisirten Voelkern zumuthen, so viel Mueh und Arbeit an die Naturvoelker
zu verwenden, die sie doch anderen Zwecken und vielleicht besseren oder
doch nuetzlicheren entziehen muessen? Kann man nicht mit Fug und Recht von
dem werthlosen Leben dieser rohen Nationen Talleyrands beruechtigtes je
n'en vois pas la necessite sagen? Wie man vom Standpunkte des
Christenthums hierauf antworten muss, welches lehrt, dass alle Menschen
Brueder und vor Gott gleich sind, liegt auf der Hand: und wo wird denn
ein strenges Christenthum mehr zur Schau getragen, als im oeffentlichen
Leben Englands und Amerikas? Aber auch vom Standpunkt der Philosophie
aus wird man die Erhaltung der minder entwickelten Voelker fuer eine
wesentliche Aufgabe der Kultur ansehen muessen. Der empirische Forscher
wird nach genauer historischer und naturwissenschaftlicher Betrachtung
der Welt sehen, dass die Gesammtheit der Natur als solche dem
Entwickelungsgesetze folgt, wie die einzelnen grossen Abtheilungen der
Natur, wie die Gattungen, Arten und Individuen. Das Gesetz dieser
Entwickelung besteht aber darin, dass Alles, Gesammtheit und
Einzelnwesen, eine groessere Vollkommenheit, Festigkeit und Sicherheit
der Existenz anstreben. In diesem Entwickelungsgange hat die Natur
selbst die Werthbestimmungen gesetzt, dass sie das Individuum der Art,
die Art der Gattung, die Gattung der Familie, kurz das Beschraenktere dem
Groesseren unterordnet, ja wenn es im Interesse des Groesseren noth thut,
aufopfert. Es wuerde spiritualistische Verkennung unseres Standpunktes
sein, welchen wir in der Stufenfolge des Ganzen einnehmen, wenn wir
Menschen fuer uns andere Gesetze beanspruchen wollten, als sie fuer die
gesammte Natur gelten; zeigt doch auch alle historische Entwickelung,
dass wir unter ganz denselben stehen, wie die uebrigen Organismen alle,
nur dass unsere Stellung verschieden ist. Wie nun also der Natur
Erhaltung und Foerderung des Ganzen Hauptzweck ist, so muss er es auch
uns Menschen sein, und zwar zunaechst Erhaltung und Foerderung der
menschlichen Gesellschaft, da unsere Thaetigkeit zunaechst unserer eigenen
Gattung naturmaessig gehoert. Das aber heisst schlecht dem Ganzen dienen,
wenn man lebensfaehige Keime desselben, bloss weil sie nicht im gleichen
Lenz und nach gleicher Art mit uns sich entwickelt haben, zertreten
wollte. Wer weiss, zu welchem Endzweck auch sie der Natur dienen koennen!
Und Niemand wird doch behaupten wollen, dass sie zu zertreten den
Voelkern von hoeherer Kultur Nutzen braechte. Wenn wir von diesem
philosophischen Standpunkt aus nach dem Zweck menschlicher Entwickelung
forschen, so werden wir die Civilisation als solchen bestimmen muessen
(Waitz 1, 478 f.). Denn einmal sichert sie erst durch engen
Zusammenschluss der Individuen, welche sich im Naturzustande
selbstsuechtig, also feindlich gegenueber stehen, die menschliche
Gesellschaft dauernd und fest, andererseits bringt sie erst, indem sie
auf diese Weise eine Menge ueberschuessiger Kraft frei macht, die
Menschheit zu hoeherer Entwickelung. Sie allein ist es, welche die
wichtigste Seite des menschlichen Lebens, die Thaetigkeit des Geistes
ueberhaupt erst ermoeglicht. Zu diesem Endzweck menschlicher Entwickelung
ist aber jedes Volk berufen und die einzige Aufgabe schon civilisirter
Nationen uncivilisirten gegenueber kann nur die sein, die Civilisation
auch zu jenen hinzutragen, nicht aber durch die reichlicheren und
wirksameren Mittel derselben jene zu vertilgen. Auch darf hierbei nicht
uebersehen werden, wie nichts der Civilisation selbst gefaehrlicher ist,
als Zuruecksinken in Rohheit, weil ein solches mit stets zunehmender
Geschwindigkeit, gleichsam nach den Fallgesetzen vor sich geht. Das
wueste Verfahren gegen die Naturvoelker ist aber ein solches Zuruecksinken
in Rohheit und wie beim laengeren Vernichtungskampf gegen sie jene
Rohheit schrecklich waechst, das haben wir schon gesehen. Ganze Staemme
civilisirter Nationen sind durch sie, zu der sich dann noch Faulheit und
Genusssucht gesellten, in die aeusserste Barbarei zurueckgesunken oder
doch wenigstens merklich in ihrer Entwickelung aufgehalten: so die
Hollaender am Cap, die Spanier und Portugiesen und zum Theil die
Englaender in Amerika. Das ewige Blutvergiessen und Morden musste sie
immer gleichgueltiger, immer roher machen und dadurch schwanden
selbstverstaendlich gar manche andere Interessen; Faulheit und so manches
andere, obwohl gar manche Kolonisten auch davon einen reichlichen
Vorrath mitbrachten, war die natuerliche Folge der fortgesetzten
Grausamkeit. Fuehrt uns dieser letztere Punkt schon aus dem theoretischen
und moralischen mehr ins praktische Gebiet, so gibt es auch noch andere
praktische Gruende, welche fuer Schonung und Hebung der Naturvoelker,
keinen aber, der dagegen spricht. Waitz (1, 484) setzt auseinander, dass
bei den grossen Unterschieden in der Naturumgebung der Menschen, bei den
mannigfaltigen Faehigkeiten und Eigenschaften, welche die verschiedenen
Voelker im und durch den Lauf der Zeiten entwickeln, die Civilisation der
gesammten Menschheit auch in hoechster Vollendung keine ganz gleiche zu
sein braucht, ja auch nur sein kann. "Ohne dass ein Volk dem anderen die
materielle oder die geistige Arbeit ganz abnehmen koennte, wuerde sich
doch das Verhaeltniss so gestalten, dass bei einigen die eine, bei
anderen die andere Art der Arbeit in ein entschiedenes Uebergewicht
traete, dass einige in der einen, andere in der anderen Richtung sich
produktiver zeigten und dem entsprechend auf die uebrigen wirkten und
ihnen mittheilten. Den Tropenlaendern wuerde alsdann mehr oder weniger
allgemein die ueberwiegende Produktion der materiellen, den gemaessigten
Klimaten die der geistigen Gueter zufallen. Eine hohe Stufe
intellektueller Bildung, tiefes Denken und eine durchgebildete, auf
feiner und vielseitiger Ueberlegung ruhende Sittlichkeit, scheint bei
der geistigen Erschlaffung kaum erreichbar zu sein, welche das Leben in
der heissen Zone fuer den Europaeer wie fuer den Eingeborenen mit sich
bringt" (1, 185). Gerade weil aber das Leben unter den Tropen
erschlaffend wirkt und auf den weissen Einwanderer noch mehr als auf den
Eingeborenen, so ist es fuer ersteren der groesste Vortheil, wenn ihm
Unterstuetzung von letzteren zu Theil wuerde. Von wie grossem Segen waere
es fuer alle Kolonien, statt wie jetzt in oft so blutiger Feindschaft mit
den Eingeborenen zu leben, in ihnen Helfer und freundliche und
intelligente Arbeiter zu finden und so empfiehlt sich schon von rein
praktischer Seite fuer den Europaeer die Schonung und Hebung der
Naturvoelker durchaus.

Auch haben diese letzteren manches und wenn es bloss die Kenntniss der
sie umgebenden Natur waere, was sie als nuetzliche Dankesgabe fuer eine
ihnen gewidmete treue Sorgfalt geben koennten. Hatten doch einige von
ihnen reiche und originelle Kulturen entwickelt, deren Zerstoerung ein
unersetzlicher Verlust fuer die Menschheit ist. Zunaechst ist es die Hoehe
und Reinheit der mexikanischen Moral, wovon Waitz (4, 125 ff.) Proben
gibt und die auch hinter den Lehren des Christenthums keineswegs weit
zurueckbleiben, was jene Behauptung rechtfertigt. Zugleich aber war in
Mexiko wie in Peru auch die intellektuelle Faehigkeit hoch entwickelt,
und was sie in industrieller Beziehung leisteten (Bauwerke, Goldarbeiten
u.s.w.) ist bekannt genug. Sicher ist uns vieles von dem, was sie
leisteten, durch die Art der Eroberung verloren; und was eine solche
Kultur geleistet haben wuerde, wenn sie durch freundliches und
allmaehliches Bekanntwerden mit der europaeischen erhoeht worden waere,
darueber haben wir kein Urtheil. Jedenfalls sind verschiedene Brennpunkte
der Kultur fuer die Menschheit nur ein Vortheil und zwar ein ganz
unschaetzbarer, wenn man bedenkt wie langsam im allgemeinen die
Entwickelung der Voelker ist. Auch ist kein geringer Werth auf die
originale Verschiedenheit solcher selbstaendiger Kulturen zu legen; durch
ihr Zusammentreffen, Wetteifern, selbstaendiges Schaffen wird mehr und
allseitiges ins Leben gerufen und der menschliche Geist mehr und
allseitiger entwickelt, als durch eine einzige in sich wesentlich
gleiche Kultur.

Moege denn von diesen Voelkern wenigstens gerettet werden, was noch zu
retten moeglich ist. Bis jetzt steht die Entwickelung der Menschheit auch
nach dieser Seite hin ganz unter naturalistischem Gesetz. Der "Kampf ums
Dasein", in welchem es der Staerkere ist, welcher siegt, zeigt sich im
vollsten Maasse; die erstarkten Racen breiten sich aus, gewaltsam und
zum Unterschied von der unvernuenftigen Natur mit Lust und ohne
Beduerfniss zerstoerend, und ihnen erliegen die schwaecheren. Allein der
Mensch ist der Vernunft und der Liebe faehig und gerade darin sollte der
staerkere des vernunftbegabten Geschlechtes seine Kraft zeigen, dass er
schwaecheres liebend zu sich emporhebt, statt es zu vernichten; dann
wuerde der Geist, die sittliche Wahl des Menschen herrschen und die
Gesamtheit haette einen grossen Schritt weiter gethan auf der Bahn, die
sie gehen muss, in der Befreiung des Geistes von den rohen Fesseln der
aeusseren Natur.




Fussnoten:


[A] Hale sagt ausdruecklich, dass sie ihm nicht zu hoch schiene; er hatte
die Angabe von Punchard, einem Englaender, der mehrere Jahre auf der
Insel gelebt hatte.

[B] Auch die Beispiele, welche Darwin a.a.O. zur Erhaertung seiner
Hypothese von dem schaedlichen Effluvium lang eingeschlossener Menschen
mittheilt, lassen sich aus Obigem, wie es scheint, erklaeren, ebenso das
Erkranken der Shropshirer Schafe. Jenes Effluvium ist weiter nichts, als
eben solche unbewusst mitgeschleppten Miasmen, an welche der, welcher
sie mitbringt, seine Natur nach und nach accommodirt hat.

[C] Diese Fruehreife der Weiber ist wohl nicht, wie Humboldt b 2, 190
will, Racencharakter. Einmal widerspricht dieser Behauptung, dass sich
mancherlei Beispiele von spaeter Entwicklung auch unter den
Amerikanerinnen findet; und sodann, dass fast bei allen Naturvoelkern die
Mannbarkeit so frueh eintritt. Wenn nun auch das Klima mannigfachen
Einfluss hierauf hat (Waitz 1, 45), so doch keineswegs einen ueberall
gleich bleibenden und sicher nachzuweisenden. Denn bei den Eskimos, bei
den Kamtschadalen und anderen Voelkern in so hohen Breitengraden finden
wir dieselbe Erscheinung und die Fidschis z.B. in der heissen Zone
zeigen sie nicht. Waitz 1, 125 fuehrt die animalische Nahrung und die
hohe Temperatur in den Huetten vieler dieser Voelker als Grund an. Allein
auch dies trifft nicht bei allen zu. Sollte nicht der Grund der fruehen
Mannbarkeit der sein, dass einmal bei der gaenzlichen Schrankenlosigkeit
der Naturvoelker die Wuensche frueher erregt und ferner die Maedchen zu
fruehe begehrt werden? Das konnte und musste im Laufe der Generationen
seine Wirkung zeigen. Die Gewoehnung vererbte sich immer mehr, setzte
sich durch Vererbung immer fester, und so entwickeln sich die
Geschlechtsfunktionen wirklich frueher, als es der menschlichen Natur
eigentlich normal ist. So wuerde sich diese Erscheinung bei allen
Naturvoelkern gleich gut erklaeren: und man lernt taeglich Gewoehnung und
Vererbung mehr in ihrer Bedeutung fuer die Geschichte der Menschheit
schaetzen. Dass Klima und sonstige Lebensweise mit gewirkt haben, soll
damit nicht abgelaeugnet werden; nur sind sie bei den Naturvoelkern von
untergeordnetem Einfluss, und die Einwirkung von Gewoehnung und Vererbung
ist gewiss die Hauptsache. Nirgends ist der Einfluss des Willens, der
Wuensche und Gedanken so gross, als gerade im geschlechtlichen
Verhaeltniss.

[D] Spuren von ihr finden sich auch in Suedamerika, so bei Azara 248, der
von den Mbayas erzaehlt, dass ihre Weiber nie Fleisch von Kuehen und Affen
essen; doch, da ihre Maedchen ueberhaupt kein Fleisch, nicht einmal grosse
Fische und zur Zeit der Periode nur Gemuese und Obst geniessen, so koennte
man diese Enthaltsamkeit auch einfacher erklaeren. Dagegen ist es gewiss
eine dem nordamerikanischen Totem urspruenglich verwandte jetzt nicht
mehr verstandene Sitte, wenn die Cariben z.B. nie Affen essen, dagegen
die Ameisenbaeren als Delikatesse aufsuchen, welche wiederum die Makusis
nur nothgedrungen essen wuerden (Schomburgk 2, 434). Thiere gelten auch
in Suedamerika als die Stammvaeter und Schutzgeister mancher Voelker. Und
nicht anders ist es in Afrika bei den Betschuanen, deren einzelne Staemme
unveraenderliche, ihre Abstammung von gewissen Thieren bezeichnende Namen
besitzen. "Diese Thiere werden von den Voelkern, die sich nach ihnen
nennen, heilig gehalten, weder gejagt noch gegessen und man pflegt durch
die Frage "was tanzt ihr" nach dem Namen desselben sich zu erkundigen."
So gibts Maenner des Loewen, Krokodils, Stachelschweins, Fischs, Affen,
doch auch des Eisens, Waitz 1, 352. 413. Die Frage "was tanzt ihr"? ist
merkwuerdig. Sie erinnert an manchen Thiere darstellenden Tanz
amerikanischer und australischer Voelker, und es liegt nahe anzunehmen,
dass die heiligen Taenze zuerst das Leben der Schutzgeister
versinnbildlichten, wie die Griechen die Geschichte ihrer Goetter
tanzten. Spaeter erblasste die Bedeutung solcher Taenze vielfach.

[E] Aehnliches findet sich auch bei indogermanischen Voelkern. Heilige
Thiere als Wappen und in Eigennamen waren sehr gebraeuchlich, vergl.
Grimm D.M. 633. Toedtete man sie auf der Jagd, oder beschnitt man einen
heiligen Baum, so waren auch dabei bestimmte versoehnende und abbittende
Gebetsformeln ueblich, eb. 618.

[F] Wenn hier Kadu nicht irrthuemlich einen rohen melanesischen Stamm
meint; oder, um etwas recht Entsetzliches zu erzaehlen, absichtlich oder
selbst getaeuscht aufbindet. Denn wahrscheinlich ist die Angabe fuer die
Palaus nicht.

[G] Zwillinge werden fast von allen Naturvoelkern getoedtet: auch von den
Negern (Waitz 2, 124).

[H] Obwohl auch Jarves 83 manche der Zahlen anzuzweifeln scheint.

[I] Dass uebrigens auch bei Indogermanen und Semiten die Kinder vielfach
getoedtet sind, ist ja bekannt genug. In Griechenland wurden die Kinder
umgebracht, welche der Vater, wenn sie die Hebamme ihm vor die Fuesse
legte, nicht aufhob; eine Sitte, die bei Plautus und Terenz, d.h. also
der spaeteren attischen Komoedie so vielfach erwaehnt wird. Namentlich
Toechter wurden umgebracht. Diese Toedtung geschah durch Aussetzung
zumeist (Schoemann griech. Alterthuemer 1, 562). Bei den alten Deutschen
herrschte durchaus derselbe Gebrauch. Aus semitischem Gebiet sei
zunaechst an Abrahams Opferung Isaaks erinnert, sodann an den
Molochdienst der Phoenicier, der so vielfach von den Juden nachgeahmt
wurde (Winer, bibl. Realwoerterbuch unter Moloch) so wie an die der
Astarte geschlachteten Kinder (Movers Phoen. 2, 2, 69). Allerdings ist
der semitische Gebrauch ein religioeser, also zum Kinderopfern gehoerig.
Doch liesse sich auch fuer blosses Aussetzen der Kinder manches
Semitische beibringen.

[J] Auch was Humboldt b5, 110-111 von den "Mysterien des Botuto", einer
Trompete von Thon mit mehreren kugelartigen Anschwellungen, die zu allen
feierlichen Ceremonien gebraucht wird, erzaehlt, gehoert hierher: "um in
die Mysterien des Botuto eingeweiht zu werden, muss man rein von Sitten
und unbeweibt sein. Die Eingeweihten unterziehen sich der Geiselung, dem
Fasten und anderen angreifenden Andachtsuebungen." Durch die Trompete
theilt der grosse Geist den Eingeweihten seinen Willen mit; sie stehen
also mit den Goettern in naeherem Verkehr als andere Menschen und das war
auch der Grundgedanke der Areois. Ganz aehnlich wird von Haiti berichtet.
"Die Caziken naemlich standen", erzaehlt Waitz 4, 329 nach Herrera,
Torquemada und Petr. Martyr, "ohne selbst Priester zu sein, doch an der
Spitze des Cultus: die Tempel und Opferplaetze, wo die Gottesverehrung
stattfand, waren entweder ihre Haeuser selbst oder Huetten, die als ihnen
gehoerig betrachtet wurden; dort waren die Bilder der Ahnen aufgestellt,
die von Holz, inwendig hohl und mit einem Rohre versehen nur von ihnen
um Orakel befragt werden konnten und nur aussprachen was sie ihnen
eingaben. Sie berauschten sich zu diesem Zwecke mit einer Art von
Schnupftabak und fuehrten die heilige Handlung allein aus, von der
natuerlich das Volk ausgeschlossen blieb." Auch Taenze gehoerten zu diesen
religioesen Mysterien, die sie allein kannten, auch dies wieder wie bei
den Areois.

[K] Jak. Grimm, Gesch. d. d. Sprache 1. Aufl. (1848) S. 143 ff. stellt
eine Menge Voelker zusammen, bei welchen derselbe Gebrauch vorkam:
Scythen (Issedonen, nach Mela 3. Auflage 1868), Kelten (3. Auflage),
Germanen verschiedener Staemme (Deutsche, Schweden) Romanen und Slaven.
Merkwuerdig ist, dass auch bei Heiligen-Schaedeln der Gebrauch vorkommt,
so zu Trier, zu Neuss, und nach Aventin (Ausg. v. 1566 fol. 33, a) zu
Ebersberg und Regensburg. Der Gebrauch ist also derselbe; man sieht, es
war wohl zunaechst eine Art von Kannibalismus, dann aber auch ein Zeichen
der Freundschaft, der Liebe, dankbarer Erinnerung. Zu beachten ist noch,
dass Aventin sagt, Niemand haette aus einem solchen Schaedel trinken
duerfen, wer nicht einen Feind erschlagen haette, da auch dieser Zug an
manches Aehnliche unter den Naturvoelkern erinnert. Doch koennen wir diese
hoechst merkwuerdigen Uebereinstimmungen hier nicht weiter verfolgen.

[L] Herod. 4, 26 (nach Grimm a.a.O.) sagt von den Issedonen [Griechisch:
epean andri apothane pater, hoi prosechontes pantes prosagousi
probata chai epeiten tauta thysantes chai chatatamontes ta chrea
chatatamnousi chai ton tou dechomenou tethneota gonea, anamixantes de
panta ta chrea daita protitheatai]. Auch die Wilzen und Skythen assen
ihre verstorbenen Eltern. Die Wenden toedteten noch im 16. Jahrhundert
ihre arbeitsuntuechtigen Vaeter unter besonderen Ceremonien (Kuehn,
maerkische Sagen und Maehrchen 335). Auch hier stehen wir vor einer
uralten und weit verbreiteten Sitte, die wir hier ebenfalls nur
beruehren, nicht abhandeln koennen. Vgl. was etwas weiter unten ueber Mare
und Neuguinea gesagt wird. Ueber dieselbe Sitte bei Roemern, Griechen,
Phoeniziern (Sardinien), spanischen, deutschen u.a. Voelkern siehe Merklin
in den Memoires de l'academie de Petersbourg 1852 S. 119 und Osenbrueggen
in der Vorrede zu Cicero pro S. Roscio p. 51 ff. Auch das litauische
Sprichwort (Schleicher lit. Maehrchen 179) "wie das Soehnchen heranwaechst,
hat es auch den Vater erwuergt", koennte auf eine aehnliche, jetzt laengst
abgekommene Sitte hinweisen.

[M] Bei Bechst. bekommen Knaben nach Genuss einer Zauberspeise die
Faehigkeit zu fliegen. In einem sehr aehnlichen indischen Maehrchen bei
Somadeva (Brockhaus 104) ist diese Speise Menschenfleisch. Ein
Zusammenhang beider Erzaehlungen waere nicht undenkbar.

[N] Die Menschenschaedel, welche am Eingange des Palastes, an den
Stadtthoren und allen wichtigen Plaetzen Dahomeys angebracht sind (Waitz
2, 130), kann man gewiss nicht anders deuten. Auch unter den Semiten war
der Gebrauch verbreitet: die phoenicischen Staedte wurden dadurch fest
gemacht, dass man an ihren Thoren und sonst Menschen eingrub (Movers
Phoenizien 2, 46). Bei den Indogermanen kommt er vielfach vor; er war bei
den Germanen sehr verbreitet, wie Ueberreste dieser Sitte noch heute
beweisen; so wird z.B. am Suedharz das kleinste Kind des Hauses barfuss
in den frischen Estrich hineingestellt, damit er halte u.s.w. Bei den
Slaven kommt er vor, wie sich in vielen ihrer Maehrchen und Sagen zeigt
(z.B. Talvj Volkslieder d. Serben 1, 117, die Erbauung Skodras); von den
Kelten wird er gleichfalls erwaehnt und Hahn albanesische Studien 1, 160
erzaehlt dasselbe von Albanien. Die Thiere, die man jetzt dort schlachtet
und ganz oder theilweise einmauert (wie auch in Deutschland viel
geschah), vertreten nur die frueheren geopferten Menschen. In Albanien
herrscht auch, um das zu Sec. 4 nachzutragen, ein ganz aehnliches
Heilverfahren, wie bei Hottentotten, Amerikanern und Australiern. Jedes
Uebel, das auch hier nur auf Bezauberung beruht, wird in Gestalt von
etwas Festem aus dem Koerper entfernt und dieses letztere dann
eingewickelt fortgeworfen. Wer auf das Eingewickelte tritt, auf den geht
die Krankheit ueber (ebend, 159).

[O] Der getoedtete Englaender hiess Cheyne und ist derselbe, welcher das
auch von uns vielfach benutzte Buch a description of islands in the
Western Pacific Ocean, north and south of the Equator geschrieben hat
(Petermann, Mittheil. 1868, 28). Obwohl nun dies und seine anderen
Schriften sehr werthvoll sind zur Kenntniss des sonst noch so wenig
gekannten westlichen Theiles des stillen Ozeans; so hat man doch bei der
Benutzung Vorsicht anzuwenden, da Cheyne, selbst Sandelholzhaendler (und
Trepangfischer) sich bei der moralischen Beurtheilung der geschilderten
Voelker sehr haeufig von seinen Handelsinteressen beeinflussen laesst. So
schildert er die Melanesier ohne Ausnahme (Fichteninsel, Lifu, Mare,
Uea, Tanna, Erromango u.s.w.) als wild und "hoechst verraetherisch" und
war selbst haeufig mit ihnen im Streit. Ebenso erzaehlt er von _allen_
Karoliniern, dass man ihnen nicht trauen duerfe. Er steht also selbst auf
dem Standpunkt der Sandelholzhaendler und beachtet nicht, was die
Eingeborenen von diesen an Ungerechtigkeit, Raub und roher Gewalt zu
leiden hatten. Nach der Lektuere seines Buches wundert man sich nicht,
dass er ein solches Ende genommen hat; das ganz einseitige Betonen
seiner Handelsinteressen liess vielmehr nichts anderes erwarten. Es
faellt daher von hier aus erst das wahre Licht auf die Vorgaenge in Koror,
sowohl auf sein Auftreten als auf den Racheakt des englischen
Kriegsschiffes.










End of the Project Gutenberg EBook of Ueber das Aussterben der Naturvoelker
by Georg Gerland

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electronic work or group of works on different terms than are set
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both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
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property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
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Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
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LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
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in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
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If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
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with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
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that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including including checks, online payments and credit card
donations.  To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.net

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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